Die Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) wird nicht müde, darauf hinzuweisen, dass in den Medien „erhebliche Unterscheide gemacht werden, was berichtenswert ist und was nicht“. Am 6. Juni luden INA, die Kampagne #Nichtvergesser und das Auswärtige Amt in Berlin als Gastgeber zu einem Workshop mit anschließender Podiumsdebatte. Es ging um die Frage: Warum machen einige humanitäre Krisen keine Schlagzeilen?
Das Podium, moderiert von INA-Vorstand Prof. Hektor Haarkötter, versammelte geballte Kompetenz, war aber zu groß für Interaktion. Doch stellten die Beteiligten ihre Botschaften klar heraus. „Keine Krise ist eine Insel“, erklärte Dr. Bärbel Koefler, MdB und Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe. Es gäbe immer verschiedene Akteure und Lösungsansätze. Die Bundesregierung versuche, effektiv „zu helfen, auch wenn keine Kameras dabei sind“. Doch ganz ohne Öffentlichkeit ginge es nicht. Medien sollten danach streben, Berichterstattung noch „spannender zu machen“, zugleich weitere thematische Bögen zu ziehen, auch um möglicher Verzweiflung über ein Zuviel an Krisen entgegenzuwirken. Anke Reiffenstuel, Referatsleiterin Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt, sprach über ein Krisenreaktionszentrum für akute Situationen, vor allem aber über langfristige Hilfsprojekte, für die 2017 mehr als 1,7 Milliarden Euro eingesetzt wurden. Krisen gingen ja „nicht weg, wenn man sie vergisst“. Dr. Oliver Müller, Leiter von Caritas international, warb für einen Blick auf schwierige Konflikte, wo es „doch immer Auswege“ gäbe, „Menschen, die sich einsetzen und denen es lohnt, eine Stimme zu verleihen“. Instrumentalisieren lassen dürfe man sich und andere jedoch nicht.
Nähe als Kriterium für Interesse
Streitbar zeigten sich auch die geladenen Medienvertreter. So stellte Lutz Haverkamp, Politik-Ressortchef beim Berliner Tagesspiegel, zügig die These in den Raum, dass die große Masse der Leserschaft an humanitären Krisen in entlegenen Weltgegenden schlichtweg nicht interessiert sei. Bei aktuell etwa 30 Kriegen weltweit hätten die Redaktionen zwar eine Dokumentaristenpflicht, müssten aber auch darauf schauen, „was die Leser wollen“ und dürften sie nicht überfordern. „Kulturelle Nähe“ sei ein „wichtiges Kriterium für Interesse“. Stefan Kornelius, Ressortleiter Außenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung, sprach ebenfalls von „Nachrichtenwert“ und „Selektionskriterien“, „Nähe und Distanz“, dem emotionalen Wert entsprechender Bilder, aber auch davon, die „journalistische Unabhängigkeit zu wahren“. Eigene Berichterstattung aus Krisengebieten sei in der Regel sehr teuer. Dennoch habe die Süddeutsche etwa 30 Korrespondenten im Ausland: „An guten Tagen bringen wir vielleicht ein Drittel ihrer Angebote in der Druckausgabe unter.“ Kornelius räumte ein, dass journalistische Produkte nicht dafür gemacht seien, Lesern eine „Wundertüte für ihre Wohlfühlbalance“ zu liefern. Doch warnte er angesichts der gegenwärtigen Krisen- und Ereignisdichte auch davor, Unsicherheit zu mehren und „Abstoßeffekte“ beim Rezipienten hervorzurufen. Auf die Kosten angesprochen, zeigte sich Lutz Haverkamp überzeugt, dass man „gar keine andere Chance“ habe, als auch künftig „hochqualitativen Journalismus zu finanzieren“. Nur dafür gäbe der Leser Geld aus, Qualitätsjournalismus sei quasi „Überlebensgarantie“.
Den deutschen Blick auf die Dinge erweitern
Stefan Kornelius erklärte für die Süddeutsche, dass man in den vergangen Jahren zunehmend versuche, Berichterstattung über humanitäre Krisen „aus eigener Kraft zu stemmen“ oder aber nötige Kooperationen mit Hilfsorganisationen transparent mache: „Unser Geschäft ist nicht, für Spendengelder zu werben, sondern Berichterstattung.“ In der Öffentlichkeit werde „viel zu wenig über Außenpolitik geredet“. Vielfach habe man „mit enormer Unkenntnis“ und einem „deutschen Blick“ auf die Dinge zu tun. Es gelte deshalb, sich mehr „in die Rolle der Leute hineinzuversetzen, über die wir in der Welt berichten“, um Bereitschaft bei Leser oder Zuschauer zu wecken, „zu verstehen und zu ertragen“.
Wie das praktisch geschehen könne, dazu hatte RTL-Reporterin Dr. Antonia Rados in ihren Wortmeldungen Anregungen gegeben. Immer mehr verschleppte Krisen fänden ja „nicht auf einem anderen Planeten“ statt. Sie brach eine Lanze für die journalistische Beschäftigung mit „Armen, die noch ärmer werden“, zeigte sich überzeugt, dass Reportagen über „Menschen die Zuschauer immer interessieren“. Berichterstattung vor Ort solle sich auf Lösungsansätze richten: „Ich sehe da vor allem eine gewachsen Aktivität der Frauen. Sie spielen in Konflikten und bei neuen Entwicklungen überall eine viel größere Rolle.“ Solche Themen müsse man verstärkt anbieten und zu Empathiebildung „ausnützen“.