Zeitungmachen in der Provinz ist kein Zuckerschlecken. Schon gar nicht, wenn es sich um die sächsische Provinz handelt. Davon kann Uwe Vetterick ein Lied singen. Seit 2007 ist er Chefredakteur der Sächsischen Zeitung, die in Dresden erscheint. Also in einer Region, in der die AfD bei der Bundestagswahl erstmals stärkste Kraft im Lande geworden ist. Wie arbeitet eine Lokalredaktion konstruktiv und lösungsorientiert, die nach wie vor regelmäßig mit „Lügenpresse“-Parolen beschimpft wird?
„Auch im konstruktiven Journalismus beginnt es immer damit, erstmal ein Problem zu erkennen, das Problem zu beschreiben und das Problem zu analysieren“, meint Uwe Vetterick. Für den Ostdeutschen und ehemaligen Vizechefredakteur der Bild-Zeitung ist klar: Statt sich am Geschrei der AfD abzuarbeiten, kümmert sich die Redaktion lieber um die realen Probleme im Lande.
Zum Beispiel Breitbandausbau. 70 Prozent der Sachsen, so ergaben Umfragen, wünschen sich schnelleres Internet. Das betrifft im Grunde alle außerhalb der Großstädte Leipzig, Dresden, Chemnitz. Die Bundesregierung hat dem Bundesland 2017 eine halbe Milliarde für digitale Aufrüstung zur Verfügung gestellt. Unter der Bedingung, dass die Gemeinden selbst einen Anteil der Kosten übernehmen. Aber nicht mal ein Prozent der Kommunen machte davon Gebrauch, auch wegen chronisch klammer Kassen, wie die Sächsische Zeitung herausfand und öffentlich machte. Damit kam Bewegung in die Sache. Unlängst beschloss die sächsische Landesregierung, einen Breitbandfonds aufzulegen, der die nötigen Zusatz-Investitionen aus der Landeskasse finanziert. Nur ein Beispiel, welche Rolle ein engagierter Lokaljournalismus spielen kann.
Vetterick bekennt sich zum lösungsorientierten Journalismus. „Die Zeitung kann zwar nichts entscheiden, aber wichtige Anstöße geben“, sagt er. In zahlreichen Workshops untersuchte die Redaktion, welche Probleme die Menschen im Alltag umtreiben. Etwa „Elterntaxis, die jeden Morgen für Stau sorgen im Ort – wie kann man das Problem beheben? Oder die letzte Kinderärztin, die in Rente gegangen ist, und es gibt keinen Nachfolger. Oder fehlende Toiletten in der Innenstadt, ein Problem insbesondere für ältere Menschen, wenn sie ins Zentrum fahren.“
Themen, die nicht unbedingt Pulitzerpreis-verdächtig sind, räumt Vetterick ein. Aber das beharrliche Nachfassen der Zeitung könne gelegentlich dafür sorgen, das Leben vor Ort angenehmer zu machen. Genau aus diesem Grund prallen auch die Anfeindungen der AfD und ihrer Hilfstruppen an der Redaktion ab. Gelegentlich gebe es noch Demonstrationen vor dem Haus, an den Montagabenden, wenn Pegida in der Stadt unterwegs sei, mit 20 Minuten Sprechchor „Lügenpresse“ oder „Schämt euch, schämt euch!“ Aber man habe inzwischen „gelernt, damit ruhig, sachlich und besonnen umzugehen“.
Eine Umfrage der Zeitung auf dem Höhepunkt der Pegida-Hetze 2015 ergab, dass eine Mehrheit der Leserschaft zumindest teilweise mit Positionen der Rechten sympathisierte. Dennoch blieb das Blatt bei seiner kompromisslosen Haltung gegenüber rechtspopulistischen Parolen und Inhalten. Und bekam dabei Rückendeckung von der Geschäftsführung.
Der Übergang in die digitale Zukunft fällt dem Regionalblatt alles andere als leicht. Soeben ist die verkaufte Auflage der Sächsischen Zeitung erstmals unter 200.000 Exemplare gesunken. „Es gelingt uns faktisch nicht mehr, Zeitungsabos bei Leuten jünger als 55 zu generieren“, sagt Vetterick. „Wir haben kein Content-Problem. Wir haben ein massives Monetarisierungsproblem. Weil wir das Geld eben in der Gruppe der über 55-jährigen verdienen.“
Erst in diesem Jahr hat sich die Verlagsleitung entschlossen, den Online-Auftritt in ein Paid-Content-Portal zu verwandeln. Für Vetterick funktionieren hinter der Paywall nur Geschichten mit den drei E: „Solche, die emotionalisieren, die exzellent geschrieben und zudem exklusiv sind“. Dazu gehören die großen Stories von Seite 3, alles über Dynamo Dresden, städtebauliche Debatten, auch Highlights aus dem Politischen Feuilleton, etwa zur Flüchtlingsfrage oder zur DDR-Vergangenheit.
Nach wie vor hält die SPD-Zeitungsholding, die DDVG, 40 Prozent an der Dresdner Druck- und Verlags GmbH. Dort erscheint neben der Sächsischen Zeitung auch das Boulevardblatt Dresdner Morgenpost. An eine politische Intervention des mächtigen Teilhabers kann Uwe Vetterick sich nicht erinnern. „In meinen elf Jahren bei der Zeitung hat es noch nie, wirklich noch nie, einen Anruf gegeben, über den eine politische Einflussnahme versucht worden wäre“, sagt Vetterick. Und: „Insofern bin ich einer der freiesten Chefredakteure, die man sich überhaupt vorstellen kann.“