Verschwunden – Aufklärung verlangen

Was kann im Alltag nicht alles verschwinden. Schlüssel aus Handtaschen, Dateien von Festplatten, Kopfschmerz nach einer Tablette. Doch wenn Menschen verschwinden, ist das Horror. Unerträglich für Angehörige, Freunde, Mitstreiter_innen, ein Verlust womöglich für die Sache, die eine Person vertritt. Im Fall von Jean Bigirimana trifft all das zu. Seit zwei Jahren herrscht Ungewissheit über das Schicksal des burundischen Reporters, der für das unabhängige Nachrichtenportal Iwacu gearbeitet hat.

Wo ist Jean Bigirimana? Lebt er noch? Wer ist für sein Verschwinden verantwortlich? Das fragt „Reporter ohne Grenzen“ zum Internationalen Tag der Verschwundenen die Behörden in Burundi und verlangt, das Schicksal des Journalisten endlich lückenlos aufzuklären. Familie und Kollegen leben im Ungewissen. Bekannt ist noch, dass Bigirimana am Morgen des 22. Juli 2016 sein Haus in der Hauptstadt Bujumbura verließ, um 45 Kilometer entfernt einen Informanten zu treffen. Er werde zum Mittagessen zurück sein, sagte der Journalist. Mehrere Zeugen berichteten später, dass Bigirimana kurz nach seiner Ankunft am Treffort von Männern des Geheimdienstes SNR festgenommen wurde; Polizisten gaben an, dass er gefesselt in eine Auto gezerrt wurde, in dem der regionale Geheimdienstchef saß. Der SNR bestätigte zunächst, den Journalisten festzuhalten, widerrief das aber bald. Zuvor hatte der Dienst Bigirimanas häufige Reisen nach Ruanda kritisiert, wo er auch an einem Journalistenseminar teilnahm. Wegen der Untätigkeit der Behörden recherchierten Kollegen auf eigene Faust und fanden in einem Fluss zwei kaum identifizierbare Leichen. Die wurden inzwischen ohne Untersuchung begraben. Bigirimanas Familie ging ins Exil, doch seine Frau dringt unermüdlich auf Antworten.

Leider ist der Iwacu-Reporter kein Einzelfall. Weltweit verschwinden kritisch berichtende Journalisten und Blogger spurlos. Auch Dawit Isaak in Eritrea. Seit 2001 wird er in einem Internierungslager des Präsidenten in Isolationshaft vermutet. Ein letztes Lebenszeichen gab es 2010. An solche Art von „Verschwinden“, das oft abschrecken soll, darf man sich nicht gewöhnen. Der internationale Gedenktag, der jährlich am 30. August begangen wird, soll an das Schicksal von Menschen erinnern, die gegen ihren Willen verschleppt wurden und deren Aufenthaltsort nicht bekannt ist. Die Initiative dazu kam aus Costa Rica. 1992 hat die UNO die „Deklaration über den Schutz aller Personen vor erzwungenem Verschwinden“ beschlossen. Eine UN-Arbeitsgruppe registrierte für 2016 rund 46 000 solche Fälle in vermutlich 30 Ländern, darunter auch den von Jean Bigirimana. Ich zumindest habe seinen Namen jetzt so oft buchstabiert, dass ich ihn behalten werde. Doch auch ganz anonyme Verschleppte verdienen unsere Fürsprache. Erst wenn niemand mehr nach ihnen fragt und Aufklärung fordert, sind sie wirklich verschwunden.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

Trump: Angriff auf kritische Medien

Donald Trump hat schon im Wahlkampf angekündigt, US-Medien, von denen er sich kritisiert und angegriffen sieht, auszuschalten, sollte er gewählt werden. Von welchen Möglichkeiten er dabei unter anderem Gebrauch machen kann, hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in einem Beitrag aufgeführt. Es zeigt sich: Trumps Drohungen sind alles andere als unrealistisch. Und sein Vorbild für diese sitzt in Europa.
mehr »

ARD: Durchbruch in Tarifrunde

In dem seit Januar andauernden Tarifkonflikt in ARD-Rundfunkanstalten gibt es erste Verhandlungsergebnisse. Zum Wochenende hin konnte am Freitag (15. November) ein Ergebnis im SWR erreicht werden. Für ver.di ist das ausschlaggebende Ergebnis, dass neben sechs Prozent Tariferhöhungen in zwei Stufen über eine Laufzeit von 25 Monaten auch eine für mittlere und niedrige Tarifgruppen stärker wirkende jährliche Sonderzahlung so stark erhöht wurde, dass es nachhaltige Tarifsteigerungen zwischen sechs und über zehn Prozent gibt.
mehr »