Ein Jahr nach dem Mord an dem Journalisten Ján Kuciak hat sich in der Slowakei vieles verändert. Den Medien des Landes kommt bei den neuen gesellschaftlichen Diskussionen eine ganz besondere Rolle zu. Gerade das Fernsehen ist dabei, sich aus einem Filz von Politik und Wirtschaft zu emanzipieren. Doch die slowakische „Mafia“ übt weiter Druck aus. Über die Arbeit der Journalist*innen sprach M mit Matthias Settele, dem Generaldirektor des größten slowakischen Fernsehsenders „Markíza“.
Herr Settele, wie hat sich der Journalistenmord an Ján Kuciak auf die Arbeit der Journalist*innen in der Slowakei ausgewirkt? Arbeiten Ihre Teams heute anders?
Für die Journalisten war der Mord an Kuciak ein Schock. Aber die Slowakei hat zwei Gesichter: Ein Teil will in den Westen, ist modern und aufgeschlossen. Es gibt viele positive Beispiele in der Wirtschaft, Stichwort Automobilindustrie. Die Hoffnungen auf die neu gewählte progressive Präsidentin Zuzana Čaputová sind groß. Der andere Teil des Landes ist eher konservativ und will am Osten festhalten, orientiert sich an traditionellen Werten, Staatswirtschaft aber auch staatlichen Einfluss. Zudem ist ein Teil der Wirtschaft in den Händen reicher Familien, die in der Privatisierungszeit zu ihren Firmen gekommen sind. Das sorgt für Spannungen, die nach wie vor auf die Medien und die Arbeit der Journalisten ausstrahlen.
Vielleicht arbeiten wir heute bewusster, indem wir Fakten noch intensiver checken. Wir gehören zu den unabhängigen Medien, wir haben internationale Eigentümer mit slowakischen Mitarbeitern und Wurzeln. Wir können in Ruhe arbeiten und setzen dabei auf Standards. Heißt, wenn eine Sache gut ist, dann ist sie gut, wenn sie schlecht ist, ist sie schlecht. Wir sind weder für noch gegen die Regierung oder Opposition, wir sind für gutes Regieren und gegen schlechtes Regieren, das ist unser Grundsatz. Und nach dem schrecklichen Mord an Ján Kuciak halten wir uns noch strikter an diese Grundsätze, um uns nicht angreifbar zu machen.
Sind diese journalistischen Standards vergleichbar mit denen im westlichen Europa oder gibt es Besonderheiten in der Slowakei?
Wir unterscheiden uns nicht von westlichen Sendern. Unsere Standards sind ein „Best of“ von BBC, ARD und lokalen Regelungen. Allerdings ist es schon so, dass Wirtschaft und Politik nach wie vor von sehr starken Netzwerken regiert werden. Ich nenne dies das „Bulle-von-Tölz-Syndrom“. Es gibt da einen Pfarrer, einen Landrat und den Bauunternehmer. Und die machen alles untereinander aus. Und dann gibt es einen tüchtigen Polizisten, dem das so nicht passt und der etwas aufdeckt. Alles sehr friedlich, sehr christlich, sehr ländlich, aber im Wirtschaftsleben doch recht sportlich. Und mit der Politik ist es sehr anspruchsvoll, wenn man unabhängig bleiben will. Wir haben nur das Interesse, gutes Fernsehen zu machen und sonst keine anderen unternehmerischen Interessen in der Slowakei, keine Hotels, keine Banken, kein Waffengeschäft, keine Versicherungen.
Dem ehemaligen Besitzer des Senders, Pavol Rusko, gehörten viele Schlüsselunternehmen in der Slowakei. Zudem war er Wirtschaftsminister. „Markíza“ steht heute in einer Auseinandersetzung mit ihm und einer weiteren bekannten Person: Marian Kočner, der Mann, dem auch der Auftragsmord an Ján Kuciak vorgeworfen wird. Ihr Sender soll ihm 69 Millionen Euro schulden…
Ja. Das Verfahren ist komplex. Der Geschäftsmann, der die angeblichen Wechsel einlösen will, sitzt in Untersuchungshaft und der Gründer von „Markíza“, dessen Schulden es sein sollen, trägt Fußfesseln. Wir sind der angebliche Bürge. Darum gibt es nun die Anklage gegen Herrn K. und gegen Rusko. Letzterer spielt in der Politik die Rolle des „Karpaten-Berlusconi“. Wir hoffen auf ein faires Verfahren. Es geht um Schuldscheine, die aus unserer Sicht plumpe Fälschungen sind. Deswegen haben wir es auch angezeigt.
Im Ranking der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ ist die Slowakei um acht Plätze auf Platz 35 abgerutscht. Wie erleben Sie mit TV Markíza die Pressefreiheit im Land?
Ich glaube, dass das Fernsehen für die Politik in jedem Land von besonderer Bedeutung ist. Es wird immer Versuche der Einflussnahme geben. Etwas anderes zu glauben, wäre naiv. Jede Partei, jede Regierung und jede Organisation versucht, ihre Ideen zu verkaufen. Und wenn sich da jemand von uns schlecht behandelt fühlt, dann darf er das auch sagen. Die Frage ist nur, wie man darauf reagiert. Wir haben ein solides Team und wir sind freundlich, wir sind fair, aber wir packen auch heiße Themen an. Wenn wir Fakten und Beweise haben, dann decken wir auf.
Wie reagieren Sie denn, wenn Sie oder Ihre Journalistenkolleg*innen vom ehemaligen Premier Robert Fico als „dreckige antislowakische Huren“ bezeichnet werden?
Ich glaube, dass der ehemalige Premierminister über Jahre nicht gut beraten worden ist und seine Berater damit eine sehr negative Grundhaltung zu Journalisten aufgebaut haben. Mir ist der Dialog sehr wichtig, insofern reagiere ich auf Beschimpfungen oder Zurufe nicht. Aber ich sehe hier mit der neuen Regierung unter Pellegrini und Politikern wie der neuen Präsidentin Zuzana Čaputová einen neuen Stil und frischen Wind. Sie haben ein lockeres Verhältnis zu den Medien.
Sie bezeichnen „Markiza“ als „Mischung aus ARD und RTL“. Was macht Sie denn so „halb öffentlich-rechtlich“?
Wir haben zwar keinen Auftrag, aber: Wir machen innovatives Frühstücksfernsehen, wir senden über eine Stunde Nachrichten, haben sehr starke Informationsformate. Bei den Nachrichten erreichen wir die besten Werte, genießen das größte Vertrauen. Das heißt, wir haben im News-Bereich eine Stellung, die mit der von ARD oder ORF vergleichbar ist. Gleichzeitig sind wir in vielen Teilen des Programms auch sehr kommerziell, haben eine tägliche Seifenoper, die slowakische Version einer argentinischen Soap, die extrem erfolgreich läuft. Wir haben internationale Castingshows wie „Superstar“ und „The Voice“, in einer slowakischen Version, die wir zusammen mit den tschechischen Kollegen produzieren. Sehr unterhaltungsorientiert, aber mit starker Info. Das ist die Kombination, die unseren Brand ausmacht.
Ihr Sender erreicht einen Marktanteil von knapp 22 Prozent, mit Ihren beiden Ablegern „Doma“ und „Dajto“ sind es über 29 Prozent im Gegensatz zu den beiden Öffentlich-Rechtlichen der RTVS mit elf Prozent. Was hat RTVS falsch gemacht?
Unser Ziel sind dreißig Prozent Marktanteil und das werden wir dieses Jahr auch schaffen. Die öffentlich-rechtlichen Sender haben sich in den letzten Jahren entwickelt, sie waren noch viel schwächer. Aber das Vertrauen der Zuschauer fehlt teilweise, das reicht in die kommunistische Zeit zurück. Es wurde nur wenig in der demokratischen Ära zurückgewonnen. Das hat sicher auch damit zu tun, dass der Einfluss der Regierung relativ stark ist. Es ist offensichtlich, dass das Vertrauen der Zuschauer in „Markiza“ viel höher ist, dafür kämpfen wir aber auch jeden Tag.