Es ist „die zentrale Frage, die im Moment ansteht“, beglückwünschte Hans Dieter Heimendahl, Programmchef von Deutschlandfunk Kultur, die Initiative Qualität im Journalismus zu ihrer Themenwahl für das zehnte IQ-Herbstforum: „Qualität und Professionalität: Journalismus auf guten Wegen?“ In einer Zeit überbordender Informationen, in einer „schrecklich meinungstrunkenen Zeit“, sei Qualitätsjournalismus besonders wichtig, sagte er in Berlin.
Wo „Meinungstrotz statt Argumente“ dominiere, müsse Journalismus transparent sein, um das Vertrauen des Publikums (wieder) zu gewinnen oder zu erhalten, erklärte Heimendahl.
Den Auftakt des Referate-Reigens machte Siegfried Weischenberg, der die Rolle des Journalismus und der Journalist*innen seit rund 30 Jahren erforscht. Er sieht den Journalismus in einer „Identitätskrise“. Es sei sinnvoll das journalistische Berufsbild zu untersuchen und möglicherweise neu zu definieren. Journalismus stünde heute bei so manchen Bürgern unter Anklage, übe sich aber auch in „sensibler Eigenbezichtigung“. Die Selbstkritik im Journalismus nehme teilweise „masochistische Züge“ an.
Lokale Angebote seien auf Dauer nicht über den Markt finanzierbar: Öffentliche Unterstützung sei notwendig, damit da, „wo Politik eigentlich entsteht“, eine Berichterstattung weiterhin möglich sei, erklärte Weischenberg in der anschließenden Diskussion mit dem Medienjournalisten Daniel Bouhs, der Chefredakteurin von tagesschau.de Juliane Leopold und Cordt Schnibben, früher Zeit und Der Spiegel, heute Leiter der Reporterfabrik von Correctiv.
Auch Bouhs forderte, mehr über Medienförderung zu diskutieren, die im Ausland häufiger sei als in Deutschland. Er unterstrich, dass Online-Journalismus ein „anderes Handwerkszeug“ erfordere als der bisherige Printjournalismus, und dass die Produktdifferenzierung, die auch Nischen bediene, kleine Verlage häufig überfordere. Für die Qualitätssicherung gelte es, Technik und Inhalte zu verzahnen, wobei die Inhalte im Mittelpunkt stehen sollten, nicht die Reichweite.
Juliane Leopold, die vor ARD aktuell bei BuzzFeed war, betonte, dass tagesschau.de nicht so abhängig von Klicks sei wie ihr früheres Medium, Themen also nicht nach Klickverdacht, sondern nach journalistischer Relevanz ausgewählt werden können. Das Publikum von „Tagesschau“ und tagesschau.de sei „völlig verschieden“, die Nutzer*innen des Online-Auftritts sind im Schnitt 20 Jahre jünger. Und das sei auch gut so, denn es seien zwei Produkte, die bei unterschiedliche Zielgruppen ankommen. Darin bestünde eine Chance des Digitalen, dass Inhalte auch bei Verlagshäusern für sich selber stehen könnten und nicht lediglich zum Print-Produkt führen müssen.
Wie könne es gelingen, die professionellen Standards des Journalismus auf die Kommunikationskultur von Social Media zu übertragen, fragte Cordt Schnibben. Er wählte für die Unterscheidung von rund 41.000 hauptberuflichen Journalist*innen und den etwa 500.000 Blogger*innen den Vergleich eines Straßenverkehrs, in dem „90 Prozent ohne Führerschein unterwegs“ seien. Das Bild kommentierte Leopold mit der Bemerkung, Journalist*innen und Blogger seien „nicht auf derselben Autobahn unterwegs“. Während Schnibben früher in den Redaktionen eine „Leserverachtung“ gespürt habe, gebe es heute geradezu eine „Leserverehrung“. Man sehe den Leser jetzt eher als Unterstützer und versuche ihn auf seine Seite zu ziehen. Leopold forderte dann auch, zur Vertrauensgewinnung mit dem Publikum ins direkte Gespräch zu kommen, wie sie es bei „Tagesschau on Tour“ oder „Sag’s mir ins Gesicht“ bereits praktizieren.
Ähnliche Konzepte verfolgen auch Anton Sahlender, Leseranwalt der Main-Post, und Maria Exner, stellvertretende Chefredakteurin von ZeitOnline unter den Stichworten „Transparenz“ und „Dialog“. Transparenz und Nähe zum Publikum mache ein Medium nicht nur glaubwürdiger, so Sahlender, sondern es verbreite mit den Erklärstücken für das Medienhandeln auch Medienkompetenz im Publikum und erzeuge gleichzeitig mehr Kritikfähigkeit in der Redaktion.
Bei zeit.de dient der „Glashaus-Blog“ für Antworten auf kritische Leserfragen, berichtete Maria Exner. Und zum 20. Geburtstag von zeit.de habe man rund 100 Workshops mit dem jungen Publikum veranstaltet. Im Projekt „Deutschland spricht“, dem sich inzwischen etliche andere Medien angeschlossen haben, werden erfolgreich völlig konträre Diskussionsduos zusammengebracht, von deren Erkenntnissen auch die Redaktion profitiert. Antworten auf konkrete Fragen an die Leser*innen („Warum haben Sie heute AfD gewählt?“) lassen ein ganz anderes Motivationsbild erkennen als die üblichen Politikerinterviews. Dabei sei der Dialog mit dem Publikum kein Selbstzweck, sondern könne zum Besonderen des eigenen Medienhauses werden. Medien würden zu „Gastgebern, denen die Medien vertrauen“. „Die enge Beziehung zu Lesern ist die beste Wette auf die Finanzierung der eigenen Zukunft“, ist Exner überzeugt.
Die Suche nach Lösungen in einem positiven, konstruktiven Journalismus bedeute nicht, „alles rosa einzufärben“, erklärte Ursula Ott, Chefredakteurin der evangelischen Zeitschrift „Chrismon“, wo dieses Prinzip seit 20 Jahren praktiziert wird.
Eine Lanze für die kurzen, aber faktenreichen Nachrichten brach der Nachrichtenchef des Deutschlandfunks, Marco Bertolaso, denn gerade die Kurznachrichten seien häufig ausschlaggebend für Wahlentscheidungen. Der „sogenannte Haltungsjournalismus“ habe in Nachrichten nichts zu suchen. Dabei sei Künstliche Intelligenz schon im Sport- und Börsenjournalismus im Einsatz. „Wann gibt es den KI-Bericht über die Bundestagsdebatten?“, fragte Bertolaso, unsicher über die weitere Entwicklung im Journalismus. Sorge bereite ihm die schwierige Situation der Nachrichtenagenturen: „Sie sind unentbehrlich.“ Sicher aber sei: „Wer Sorgfalt walten lässt, hat ein Alleinstellungsmerkmal, aber es auch schwer im Netz.“ Fakten hätten in der öffentlichen Diskussion leider an Bedeutung verloren.
Über Professionalität im Journalismus sprach als letzte Beatrice Dernbach in der Rubrik „Wir wollen mehr…“. Sie plädierte für eine „Didaktik für Journalismus“. Sie sprach den immer wieder herangezogenen Artikel 5 des Grundgesetzes an, der die Meinungsfreiheit für jedermann sichere, nicht aber die journalistische Professionalität für jede Veröffentlichung beanspruchen wolle. Für die Diskussion über mehr Professionalisierung, das Alleinstellungsmerkmal professioneller Journalist*innen und das Berufsbild sei die Initiative Qualität die richtige Plattform. Der Journalismus müsse ein neues Selbstverständnis entwickeln.
In ihrem Schlusswort blickte Ulrike Kaiser, Sprecherin von IQ, auf 20 Jahre Initiative Qualität mit insgesamt zehn Herbstforen zurück. Hier gebe es einen Austausch über die Trennlinien der Verbände, über die Grenzen zur Wissenschaft und über die Institutionen der Ausbildung und der Medienorganisationen hinweg. „Wir haben in diesen Jahren wenig Aufhebens um unsere Arbeit gemacht, vielleicht zu wenig geworben“, gab Kaiser zu bedenken. Die Rahmenbedingungen für den Journalismus hätten sich in den zwei Jahrzehnten sehr verändert, konstatierte sie. „Uns erscheint es, als seien wir unter Druck von allen Seiten.“ Dennoch müsse IQ „weiterdenken, Alternativen sichten und bewerten“. Eines stehe jedenfalls fest: „Ohne solide und gesicherte Finanzierung gibt es keinen Qualitätsjournalismus.“
Dokumentation: zehntes IQ-Herbstforum: „Qualität und Professionalität: Journalismus auf guten Wegen?“