Wie verändert sich politische Kommunikation im Netz? Und welche Bedeutung hat die „Gatekeeper“-Funktion traditioneller Medien noch, wenn politische Akteure ihre Botschaften heute direkt über Twitter, Facebook und Co. in die Gesellschaft streuen? Um Politik, soziale Netzwerke und Journalismus ging es am 31. Oktober beim Berliner Mediensalon in der taz-Kantine.
„Stargast“ des Abends: Die Leiterin der Online-Kommunikation bei der CDU Anja Pfeffermann. Weil Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern für Parteien ein Verfassungsauftrag sei, werde die digitale Kommunikation auch für politische Akteure immer wichtiger, betonte Pfeffermann. Deshalb sei die Veröffentlichung des Rezo-Videos ihr persönlicher 11. September gewesen, sagte sie – und weiß noch genau, dass sie an diesem Samstag gerade beim Minigolfen war. Am nächsten Tag habe es dann geheißen: Überzeugungsarbeit leisten. Nicht wenige CDUler*innen hätten die Tragweite dieses Kommunikationscoups überhaupt nicht erfasst, seien der Meinung gewesen, gar nicht reagieren zu müssen. Für die Online-Chefin eine Herkulesaufgabe, wenn nicht ein Kampf gegen Windmühlen. Denn am Ende war die Reaktion der CDU: ein elfseitiges PDF mit dem Titel „Offene Antwort an Rezo. Wie wir die Sache sehen.“
Die Mühlen mahlen langsam
Eine Antwort, die Kommunikationsberater János Joskowitz als völlig verfehlt kritisierte. „Mit einem starren System auf eine innovative Zeit antworten zu müssen“ ist für ihn aktuell die größte Herausforderung für Politik wie Journalismus. Er glaubt, die Politik müsse sich generell neu erfinden. „Wir wissen wie es geht“, verteidigte sich Pfeffermann. Doch solch ein starres System aufzubrechen, erfordere Zeit und Energie. Nicht nur bei der CDU, sondern auch in anderen Institutionen würden die Mühlen nun mal langsam mahlen. Die Herausforderung sei, Inhalte so divers zu produzieren, dass sie auf viele verschiedene Plattformen passen. Das erfordere mehr Ressourcen – und die müsse man sich gegen nicht wenige Widerstände erkämpfen. Das Verständnis von Öffentlichkeitsarbeit vieler Parteifunktionär*innen sei eben zum Teil noch sehr veraltet. Da heißt es dann: „Schicken wir halt `ne PM raus.“ Dass die PR-Arbeit rund um die Reaktion auf das Rezo-Video eher suboptimal gelaufen sei, weiß auch Online-Chefin Pfeffermann. Zumal das Antwort-Video von Partei-Youngster Philipp Amthor bereits fertig produziert gewesen sei. Verschiedene Umstände – die Pfeffermann verständlicherweise nicht näher erläutern konnte, die man sich aber leicht zusammenreimen kann – hätten dessen Veröffentlichung dann allerdings verhindert.
Raus aus der Twitter-Blase!
Dass die Bedeutung digitaler Kommunikation gestiegen sei und weiter steige, dessen waren sich auch die anderen Podiumsgäste einig. Spiegel-Politikredakteurin Ann-Katrin Müller, die selbst nur beruflich auf Twitter unterwegs ist, warf dem Journalismus aber vor, im medialen Diskurs ausschließlich Twitter-Debatten aufzugreifen. Denn im Gegensatz zu Facebook mit 32 Millionen aktiven deutschen Nutzer*innen seien hier nur 2,5 Millionen Deutsche zu finden. Für Relevanz spreche das nicht. „Twitter ist eine Blase, das muss man im Blick haben“, warnte Müller deshalb. Dieses Problem sieht auch Community-Entwicklerin Anna Koch. Redaktionen seien zu sehr getrieben von den sozialen Netzwerken, vor allem von Twitter. Dort geäußerte Meinungen würden allzu oft mit der Meinung der Mehrheit gleichgesetzt. Müller appellierte daher an die Journalistinnen und Journalisten, bei der Einschätzung, was relevant ist und was nicht, wieder mehr sich selbst zu vertrauen statt den Empörungsblasen im Netz.
Schulterschluss zur Rettung der Demokratie
„Twitter ist das Brandenburg des Internets“, findet dagegen Patrick Stegemann, Autor und Regisseur der Doku „Lösch Dich – So organisiert ist der Hate im Netz“ – und meint damit das Fehlen funktionierender Zivilgesellschaften (zumindest in den „ländlichen Gegenden“) und die daraus entstehende Dominanz der Rechtsextremen. Gerade deshalb, so glaubt Koch, müsse man es schaffen, die Medien zu einem sicheren Raum für diejenigen zu machen, die seriös und sachlich diskutieren wollen. Die flapsige und lustige Moderation, für die der Praktikant der Social-Media-Redaktion der Welt seinerzeit eine gewisse Berühmtheit erlangte, sei im Nachhinein betrachtet eher kontraproduktiv und wenig förderlich für eine konstruktive Diskussionskultur im Netz gewesen, räumte Koch ein. Medien müssten stattdessen Aufklärungsarbeit leisten und das Gegenhalten unterstützen – in den Kommentarspalten wie in den journalistischen Beiträgen. Das erfordere eine Besinnung aufs Handwerk, gut recherchierte Hintergründe und Reportagen. Dann fänden die Medien auch zurück zu ihrer „Gatekeeper“-Funktion, ein Prozess, der erfreulicherweise bereits eingesetzt habe. Nötig sei dafür aber auch „ein Schulterschluss über politische Themen hinweg, um die Demokratie zu retten“.
Keine „paternalistische Kackscheiße“
„Was müssen Journalistinnen und Journalisten nun tun, um ihre Gatekeeper-Rolle zu wahren?“, wollte dann zum Abschluss auch nochmal Moderatorin Alina Leimbach von ihren Gästen wissen. „Das, was sie immer getan haben“, erwiderte Stegemann und schloss sich Kommunikationsprofi Koch an: ihr Handwerk. Das sollten sie allerdings mit Empathie und auf Augenhöhe mit ihrem Publikum ausüben, ergänzte Müller, nicht aus einer bevormundenden Haltung von oben herab – „diese paternalistische Kackscheiße“.