Sie kamen mit Bus und Bahn, Fahrrädern und Rollern, sogar im Rollstuhl: 8500 Menschen haben am Sonnabendnachmittag in Hannovers Südstadt für Pressefreiheit und gegen Nazis demonstriert. Der Stadtteil war durch ein Großaufgebot von Polizisten und Polizeifahrzeugen so abgesichert, dass Rechte und Gegendemonstranten nicht aufeinanderstoßen konnten. Während die Demo des gewerkschaftlichen Bündnisses „bunt statt braun“ den Aegidientorplatz füllte, marschierte eine kleine Gruppe von 120 Rechten zum NDR am Maschsee.
Angeführt von Thorsten Heise, Bundesvorstandsmitglied der NPD, protestierten die Rechten vor dem Funkhaus gegen „steuerfinanzierte Hetze“ durch Journalist*innen, die regelmäßig über Aktionen und Vorhaben der Nazis aufklären. Nach dem vorangegangenen Gerichtsverfahren, in dem der von der Polizei verbotene NPD-Aufmarsch wieder zugelassen wurde, war dem NPD-Anführer Heise ein Redeverbot auferlegt worden. Er soll bei einer NPD-Veranstaltung im Juni dem NDR-Journalisten Julian Feldmann angekündigt haben „der Revolver ist schon geladen“.
Heises Anhänger wiederholten vor dem NDR-Funkhaus im Beisein der Polizei Drohungen gegen zehn namentlich genannte Journalisten. Sven Skoda von der Partei „die Rechte“ bezeichnete Journalist*innen als „Brunnenvergifter“ und „Schädlinge“. Andere drohten „Wir haben eure Namen, wir haben eure Adressen.“
Die freie Journalistin und Buchautorin Andrea Röpke, die seit fast 30 Jahren über Rechtsradikale berichtet und schon mehrfach angegriffen wurde, beobachtete die Kundgebung vor dem Funkhaus. „Sie drohen öffentlich hier vor einem Überangebot an Polizei, und nichts passiert“, erklärte sie. „Es macht mich wütend, dass das möglich ist.“ Solidarität mit Journalistinnen allein reiche nicht, wichtig sei es wie man damit umgehe, „dass einzelne Journalisten herausgepickt werden.“ Aussagen wie „Weg mit dem“ müsse man sehr ernst nehmen.
Die Organisatoren der Gegendemonstration „bunt statt braun“ sind sich dessen bewusst. Der Demo-Aufruf „Journalist*innen gegen Nazis verteidigen“ wurde von einem breiten Bündnis aus Gewerkschaften, Kirchen und Verbänden getragen, darunter der DGB und ver.di, zu der die Deutsche Journalist*innen-Union (dju) gehört. Auch der niedersächsische Journalisten-Verband (DJV) hatte sich der Demo mit einem Aufruf angeschlossen. Denn: Namentliche Nennung und öffentliche Hetze gegen kritische Journalisten gab es bisher nicht. Damit haben die Bedrohungen der Rechten eine neue Dimension erreicht.
Der Aufruf an die Bürger, sich solidarisch mit Journalist*innen zu zeigen und für die Pressefreiheit einzutreten, kam in einem Maß an, das die Organisatoren positiv überraschte: 8500 Menschen strömten in Hannover zusammen. Die Polizei hatte etwa 2000 Menschen erwartet. Unter den Teilnehmer*innen befand sich viel politische Prominenz – auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) war dabei.
Kein Platz für Rassismus und Antisemitismus in Hannover
Für Belit Oney, neu gewählter Oberbürgermeister von Hannover, war es der erste öffentliche Auftritt im Amt. „Ich kann mir einen schöneren Anlass vorstellen, aber keinen schöneren Rahmen“, erklärte Oney (Grüne) beim Anblick der Menschenmenge. Hannover sei eine Stadt, in der Rassismus und Antisemitismus keinen Platz haben. Es ist bitter, dass man das immer wiederholen muss.“ Onay selbst schlug nach seiner gewonnenen Wahl Hass in den sozialen Medien entgegen – wegen seiner türkischen Abstammung.
Bedrückend und beeindruckend waren der Auftritt von David Jansen und Andreas Speit. Der Fotograf und der Journalist sind Betroffene der Nazihetze. „Wir knicken nicht ein, wenn ihr uns namentlich nennt“, sagte Speit. Fotograf Jansen berichtete von Angriffen auf seine Wohnung, Farbschmierereien, und Drohungen gegenüber seiner Familie. Das sei der Beweis dafür, dass er mit seinen Reportagen richtig gelegen hätte, „sonst würden sie uns nicht so hassen.“ Und das wiederum mache auch Mut.
Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius erklärte: „Wenn Journalisten aufgeben, bricht eine Säule der Demokratie weg.“ Rechtsextremismus werde aber nicht kleiner, wenn man nicht drüber spricht, sondern größer. Der mangelnde Widerstand der Gesellschaft in der Weimarer Republik habe die Nazis ermöglicht. Das von der Polizei ausgesprochene Verbot der Nazi-Demo halte er nach wie vor für richtig, auch wenn die Gerichte es aufgehoben haben. Zu einer Demokratie gehöre neben Pressefreiheit auch die Unabhängigkeit der Justiz: „Das ist mir lieber, als wenn Gerichte von Staatspräsidenten gelenkt werden.“
Verbindung zwischen NPD und AfD
Hauke Jagau, Präsident der Region Hannover, zog eine Verbindung zwischen NPD und AfD. „Das Vorgehen der NPD, Kritikern Angst einzujagen, ist die gleiche Methode, die auch die AfD mit ihrem Denunzianten-Portal im Internet anwendet“, so Jagau. Die AfD hatte dazu aufgerufen, die Namen von Lehrer*innen, die sich kritisch über der AfD äußern, im Internet anzugeben.
Detlef Ahting, ver.di-Landeschef und Vorsitzender des Landesrundfunkrates Niedersachsen, betonte, es sei wichtig, dass die Journalisten ihre Arbeit fortsetzen. Und dass sie ihr Augenmerk auf alle aktuellen Bedrohungen richten,
DGB-Chef Mehrdad Payandeh rief den Demonstranten zu: „Heute sind wir alle Journalisten“. Den Rechten gehe es darum, Angst zu erzeugen, „damit Journalisten sich selbst zensieren“, sagte der Vorsitzende des DGB-Bezirks Niedersachsen-Bremen-Sachsen-Anhalt. Unfreiheit in einem Land beginne „mit der Unterdrückung der Pressefreiheit“ Er, der 1985 aus dem Iran flüchtete, habe das am eigenen Leib erlebt. Wer heute auf der Demo sei, solle allen andern davon erzählen, „damit wir noch mehr werden.“
Deutscher Presserat fordert wirksamen Schutz der Pressefreiheit
„Mit dem Urteil der Lüneburger Richter, die Demonstration der NPD in Hannover nicht zu verbieten, haben die Aktivitäten von Extremisten gegen freie und unabhängige Presse in Deutschland eine neue Qualität und Bedeutung erhalten“, sagte Matthias Wiemer, dju-Vertreter im Deutschen Presserat. „Wenn Hetze und eindeutig auf Einschüchterung bzw. Denunziation, Verfolgung und Bedrohung abzielende öffentliche Pranger-Veranstaltungen gegenüber einzelnen namentlich genannten Pressevertretern durch extremistische Organisationen in der Öffentlichkeit unter dem Segen deutscher Justiz stattfinden dürfen, berührt das auch die Grundlagen der Arbeit des deutschen Presserates“, betont Wiemer.
Volker Stennei, Sprecher des Deutschen Presserates hebt hervor, dass die Pressefreiheit in der Bundesrepublik Deutschland Verfassungsrang habe. „Der Grund dafür ist die historische Erfahrung, dass sich freie und demokratische Gesellschaften nur mit Berichterstattung und aufmerksamer Beobachtung in unabhängigen und vielfältigen journalistisch-redaktionellen Medien entwickeln können. Die Erfahrung in aller Welt zeigt auch, dass die Pressefreiheit insgesamt stets bedroht ist, wenn einzelne Journalisten und Journalistinnen bedroht werden.“ Daher fordere der Deutsche Presserat Politik und Sicherheitskräfte erneut auf, dem Schutzgut Pressefreiheit höchsten Rang einzuräumen und die dort Tätigen wirksam gegen Bedrohungen und Angriffe zu schützen. „Der Presserat appelliert zugleich an die Justiz, bei der Abwägung zwischen Grundrechten besonders sensibel zu beachten, dass die öffentliche Brandmarkung einzelner Personen in radikalen politischen Konzepten eine propagandistische Vorstufe zur Anwendung körperlicher Gewalt sein kann“, heißt es in einer Pressemitteilung.
Aktualisierung am 9. Dezember 2019
Bedrohungen durch Neonazis während der Nazi-Demo werden nicht verfolgt. Die Polizei verweist Journalist*innen auf Strafanträge
„Wir haben Namen und Adressen und vergessen nicht. Gott mag Gnade kennen, wir nicht.“ Oder: „Feldmann muss weg“. So drohten rechtsextreme Demonstranten auf einem Plakat und in Reden am 23.11.2019 vor dem Funkhaus Hannover, allen voran Sven Skoda von der Partei Die Rechte.
Die Antwort der Polizeidirektion Hannover auf die Anfrage der Deutschen Journalist*innen-Union (dju) Niedersachsen-Bremen, ob die Bedrohungen strafrechtlich verfolgt werden, lautet: „Nein“
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