Im Zwiespalt: Medien und die AfD
Die AfD hat ein gespaltenes Verhältnis zur Pressefreiheit und zu den Medien. Berichten sie nicht in ihrem Sinne, sind es Lügner. Journalist*innen hingegen stehen vor der Herausforderung: Wie umgehen mit einer demokratisch gewählten Partei, die sich des rechten Populismus bedient, um ihre nationalistische und rassistische Programmatik unters Volk zu bringen? Eine längst überfällige Debatte!
Mehr unter: https://mmm.verdi.de/medien-und-die-afd/
Erinnern Sie sich noch an den Begriff „Döner-Morde“? Erstmals verwendet am 31. August 2005 in den Nürnberger Nachrichten, wurde die Bezeichnung rasch von einer ganzen Bandbreite deutschsprachiger Medien übernommen – online und offline, von der Bild-Zeitung bis zur FAZ. Erst am 4. November 2011, als die Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt erschossen in einem brennenden Wohnmobil in Eisenach aufgefunden wurden, stieß der Ausdruck auf öffentliche Kritik. Sichergestellte Unterlagen und ein Bekennervideo des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) machten schlagartig und unmissverständlich klar, dass es sich bei den Morden nicht um „organisierte Kriminalität“ innerhalb eines „migrantischen Milieus“ handelte. Nein, hier hatte eine neonazistische Terrorgruppe aus rassistischem Hass neun Unternehmer und später eine Polizistin ermordet.
Deutsche Sicherheitsbehörden hatten fast ein Jahrzehnt lang einseitig in die falsche Richtung ermittelt – und an der Verbreitung und Etablierung einer Deutung, die aus Opfern potentielle Täter*innen imaginierte, hatten auch Medien einen maßgeblichen Anteil. Als „Döner-Morde“ zum „Unwort des Jahres 2011“ gekürt wurde, begründete die Jury ihre Wahl folgendermaßen: „Mit der sachlich unangemessenen, folkloristisch-stereotypen Etikettierung einer rechts-terroristischen Mordserie werden ganze Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt und die Opfer selbst in höchstem Maße diskriminiert, indem sie aufgrund ihrer Herkunft auf ein Imbissgericht reduziert werden“. Wie konnte es passieren, dass das offenbar niemandem in deutschen Redaktionen aufgefallen war, bevor die Terrorzelle im Herbst 2011 aufflog?
Heute stellt sich die Frage nach einem verantwortungsbewussten Umgang mit Sprache mit Blick auf die Berichterstattung zur AfD mit erneuter Brisanz. Damals wie heute sind Journalist*innen gefordert, stereotype Vorurteile und rassistische Denkmuster nicht einfach zu reproduzieren. Denn damals wie heute können Journalist*innen durch die Wiedergabe von Vorurteilen und einer diskriminierenden Rhetorik maßgeblich dazu beitragen, menschenverachtende Deutungsmuster zu verbreiten. Wenn Demonstrant*innen rassistische Parolen rufen, sind sie keine „besorgten Bürger“. Wenn eine völkisch-nationalistische Partei grundlegende Bürgerrechte für Muslim*innen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit in Abrede stellt, ist das keine „islamkritische Haltung“.
Es braucht keine Neuerfindung des Journalismus, um angemessen über die AfD zu berichten. Doch es braucht ein systematisches Bemühen, um „strukturelle Mechanismen und Defizite im Feld des Journalismus, die zu den zutage getretenen Mängeln der Berichterstattung beitrugen“, zu überwinden. Zu diesem Schluss kam bereits 2015 eine Studie zur Berichterstattung der NSU-Morde durch die Otto Brenner Stiftung. Darin verwiesen die Autor*innen unter anderem auf „strukturelle Defizite des Journalismus“, die eine flächendeckend fehlgeleitete Berichterstattung begünstigt hätten: „Hierzu gehören insbesondere fehlende Ressourcen für eigenständige Recherchen, fortbestehende Distanz zu migrantischem Leben, unzureichende Repräsentanz migrantischer Perspektiven in der Berichterstattung sowie ein ‚Schwarmverhalten‘, das – wie am Begriff ‚Döner-Morde‘ erkennbar, der als plakative Formulierung vielfach übernommen wurde – zur Verstärkung diskriminierender Berichterstattung beitragen kann.“
Wenn heute das Vokabular der AfD in der Berichterstattung teils wörtlich übernommen wird und rassistische Positionen von Moderator*innen aufgegriffen und breit diskutiert werden, wird schmerzlich klar, dass oft noch immer genau diejenigen Journalist*innen in deutschen Redaktionen fehlen, die rassistische, sexistische, islamophobe oder sonstige gegen Minderheiten gerichtete Hetze sofort erkennen und entsprechend klar benennen könnten: Journalist*innen mit Einwanderungsgeschichte, Journalist*innen of Color, Journalist*innen aus Arbeiterfamilien, Journalist*innen, die aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Religionszugehörigkeit, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Behinderung, ihres Alters etc. nicht der deutschen Mehrheitsgesellschaft angehören. Denn es sind genau diese Journalist*innen, die von den kontinuierlichen Tabubrüchen der AfD als erste bedroht sind – persönlich, direkt und systematisch.
Ich möchte mich daher mit vier Vorschlägen an die Entscheidungsträger*innen in deutschen Redaktionen wenden, wie sie Ihren Newsroom gegen die Übernahme menschenverachtender Stereotype wappnen und aus dem medialen Versagen der NSU-Berichterstattung lernen können. Die Vorschläge leiten sich ab aus dem Buch „Unbias the News. Warum Journalismus Vielfalt braucht“, das meine Organisation Hostwriter kürzlich in Kooperation mit CORRECTIV veröffentlicht hat.
1. Buchen Sie ein Antirassismus-Training für Ihre Redaktion!
„Critical Whiteness“, eine Auseinandersetzung mit stereotypen Denkmustern und Grundlagenwissen in Postkolonialer Theorie sind kein Orchideen-Training für Weltverbesserer. Solange Ihre Redaktion von deutschstämmigen Akademiker*innen aus der Mittelschicht dominiert wird, fehlen wichtige Perspektiven und Sie laufen Gefahr, manch rhetorische oder handlungsanleitende Gewalt der AfD zu übersehen oder falsch einzuschätzen
2. Machen Sie den Newsroom so vielfältig wie die deutsche Gesellschaft!
In Deutschland hat jede*r Vierte eine Einwanderungsgeschichte und rund die Hälfte der Bevölkerung ist weiblich. Je besser Ihre Redaktion diese real existierende Vielfalt der deutschen Gesellschaft widerspiegelt, desto relevanter können Sie berichten und – auch in Bezug auf die AfD – diejenigen Fragen stellen und Themen setzen, die tatsächlich die meisten Menschen in Deutschland bewegen.
3. Kooperieren Sie mit anderen Redaktionen!
Die AfD ist keine isolierte Partei, ihr Aufstieg erfolgt im Kontext von rechtspopulistischen Netzwerken, die die deutsche Landesgrenze überschreiten. Wenn Sie fundiert über die AfD berichten, Fakten überprüfen und Behauptungen verifizieren möchten, kommen Sie an grenzüberschreitenden Recherchen kaum vorbei. Vernetzen Sie sich mit deutschen Lokaljournalist*innen und Journalist*innen im Ausland, die zu rechtspopulistischen Parteien arbeiten. Gönnen Sie Ihren Mitarbeiter*innen eine Weiterbildung in „Cross-Border-Journalismus“ und bauen Sie diese journalistische Methode kontinuierlich in Kooperation mit Partnerredaktionen aus.
4. Schützen Sie Ihre Journalist*innen!
In prekären Zeiten wie diesen werden journalistische Recherchen oftmals von freien Journalist*innen geleistet. Wer über rechtspopulistische Parteien wie die AfD berichtet, ist sowohl körperlichen Angriffen als auch Verleumdungs- oder Hetzkampagnen in sozialen Medien in besonderem Maße ausgesetzt. Seien Sie dafür gerüstet, dass Ihre Mitarbeiter*innen zur Zielschreibe für Rechtspopulist*innen werden können! Erarbeiten Sie gemeinsam einen Notfallplan, wie Sie ihre Mitarbeiter*innen konkret online und offline schützen werden. Diese Unterstützung muss rund um die Uhr gewährleistet sein, denn ein Shitstorm kennt keine Bürozeiten.
Tabea Grzeszyk arbeitet als freie Journalistin v.a. für Deutschlandfunk Kultur. Sie ist Mitgründerin und Geschäftsführerin von Hostwriter.org, einem journalistischen Netzwerk, das Kolleg*innen aus 150 Ländern dabei hilft, einfach über Ländergrenzen hinweg zusammenzuarbeiten.
Alle Beiträge des Forums „Im Zwiespalt: Die Medien und die AfD“
Podiusmdiskussion der dju in ver.di am 16. Dezemeber 19 Uhr in der taz-Kantine in Berlin: „Berichten über AfD & Co.“ Bitte anmelden!