„Tatsächlich bin ich naiv an das Projekt herangegangen. Ich dachte mir: Besorg dir eine Kamera, fahr hin und mach Interviews.” Diesen Entschluss fasste die Berliner Kamerafrau Jana Kaesdorf, nachdem sie 2012 eine Urlaubsreise nach Kuba gemacht hatte und das Land sie über Jahre nicht mehr losließ. In ihrer Doku-Fiktion „Experiment Sozialismus – Rückkehr nach Kuba“ untersucht sie den kubanischen Sozialismus der Gegenwart.
Menschen und Alltag auf der Insel hatten Jana Kaesdorf tief berührt, auch weil sie sich an ihre eigene Herkunft und an das Leben in der sächsisch-anhaltinischen Provinz der späten 70er und frühen 80er Jahre erinnert fühlte. Sie entwickelte die fiktive Figur des Arsenio, ein Kubaner, der als Kind die Insel verlässt und nach Jahren im Exil zurückkommt, um das Land neu zu entdecken.
Nach ausführlichen Recherchen zu Geschichte, Politik und Wirtschaft der Insel, einer mäßig erfolgreichen Kampagne auf der internationalen Crowdfunding-Website Indigogo und dem vergeblichen Warten auf eine offizielle Drehgenehmigung der kubanischen Botschaft startete Kaesdorf ihr Herzensprojekt in kompletter Eigenregie. Sie finanzierte alles weitgehend aus eigener Tasche vor, suchte sich ein kleines Team, besorgte sich eine mobile kleine Kamera- und Tonausrüstung und reiste ohne offizielle Drehgenehmigung und quasi als filmende Touristin über die Insel. Immer auf den fiktiven Spuren ihres fiktiven Charakters Arsenio.
„Um mit Arsenio, der fiktiven Hauptperson, durchs Land zu reisen, brauchten wir ja lediglich eine sich permanent bewegende, quasi atmende subjektive Kamera” beschreibt Kaesdorf ihre Arbeitsweise.
Viele Kontakte und Interviewpartner*innen ergaben sich erst während der Reise. In touristischen Zentren fiel sie nicht auf – an abgelegenen Drehorten beobachteten die Behörden das Filmteam durchaus misstrauisch.
M – Der Medienpodcast: einzigartig anders, denn wir fragen genauer nach
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Kaesdorf, ihr Dolmetscher und ihr Kamera-Assistent trafen Fischer und Bauern bei der Arbeit, junge Kubaner*innen beim Ausgehen, aber auch eine Redakteurin der Tageszeitung Granma, einen Wirtschaftswissenschaftler und altgediente Parteifunktionäre.
Alle öffnen sich vor Kaesdorfs Kamera, sprechen sehr offen über ihre persönlichen Probleme und Hoffnungen und gleichzeitig auch kritisch über die politische und wirtschaftliche Entwicklung Kubas. Trotzdem klingt in den Interviews auch der Stolz an, auf die errungenen Leistungen, die Unabhängigkeit von der Kolonisierung durch fremde Staaten und multinationale Konzerne – und die Hoffnung auf einen eigenen Weg zum Sozialismus. In „Experiment Sozialismus“ werden aber vor allem auch die vor Jahren von der Regierung eingeleiteten Reformen kritisch unter die Lupe genommen.
„Ich empfinde den Film nicht als regimekritisch”, sagt Jana Kaesdorf und fügt hinzu: „Er ist lediglich der Versuch, eine politische und wirtschaftliche Situation aus der Perspektive des Volkes zu beschreiben. Die meisten Menschen, mit denen wir gesprochen hatten, wollen ja den Sozialismus – nur in Verbindung mit Rede-, Presse- und Reisefreiheit und einem gewissen materiellen Mehrwert.”
In seiner Mischung aus fiktionaler Erzählung und Reportage schafft es „Experiment Sozialismus” sehr natürlich und unangestrengt, die Neugierde, Faszination und Sympathie, die Kaesdorf zu dem Projekt bewegt haben, auf die Zuschauer*innen zu übertragen. Der Film erzählt die kubanische Gegenwart nicht als sperrigen Theoriediskurs, wie der Titel vielleicht befürchten lässt, sondern als überraschend warmherzige, lebensnahe und menschliche Unterhaltung zwischen dem fiktiven Protagonisten, dem Land, seiner Geschichte und seiner Bevölkerung. Sehenswert!
Filmpremiere ist am 17. Dezember um 20:00 Uhr im Filmtheater am Friedrichshain in Berlin.
Weitere Informationen unter https://experiment-sozialismus-film.com/