Deutsche Welle: Die Freiheit nehm ich Dir

Karikatur: Kostas Koufogiorgos

Vier Monate sind vergangen, seitdem die „Zeit“ über mehrere Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs gegen einen Starmoderator der Deutschen Welle (DW) berichtet hat. Der war zum Zeitpunkt des Artikels bereits entlassen worden, doch die Strukturen, die diese Vorfälle möglich gemacht haben, bestehen weiter. Gegenüber M spricht ein ver.di-Personalrat* des steuerfinanzierten Senders nun von massivem strukturellen Machtmissbrauch an freien Mitarbeiter*innen.

Und wirft der Geschäftsleitung Untätigkeit und Ignoranz vor. Ein professionell geregeltes Konfliktmanagement lehne diese ab, im Konfliktfall müssten freie Beschäftigte gehen, Führungskräfte dürften bleiben. Mehrere Beendigungen habe es bereits nach diesem Muster gegeben, so der Personalrat – dessen sämtliche Vorwürfe unserer Redaktion von einem Mitglied einer Sprachenredaktion der Deutschen Welle bestätigt wurden. Beide hoffen, mit dem Publikmachen der dortigen Zustände nun endlich einen Wandel in Gang zu setzen.

Freie in der Mehrheit, aber ohne Interessenvertretung

4.000 bis 4.500: so viele freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen bei der Deutschen Welle an den Standorten Bonn und Berlin gerade mal 1.500 Festangestellten gegenüber. Beim RBB etwa sind es dagegen 1.500 Freie und 1.900 Festangestellte. Und auch bei allen anderen Sendeanstalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks überwiegt die Zahl der Festangestellten (noch). Das liegt vor allem daran, dass der deutsche Auslandssender anders als die ARD-Anstalten sowie das ZDF nicht über den Rundfunkbeitrag, sondern aus Steuern finanziert wird, und zwar über einen Bundeszuschuss aus dem Etat der Beauftragten für Kultur und Medien (BKM) Monika Grütters. Für die Planbarkeit ist das schlecht: das Budget wird jedes Jahr neu vergeben, zusätzliche Stellen müssen von der Politik genehmigt werden.

Für das kommende Jahr habe man 100 Planstellen zugesagt bekommen, berichtet der Personalrat. 15 davon, so heißt es intern, würden vorgehalten für wahrscheinlich gewonnene Statusfeststellungsklagen. Mehrere ehemals Freie haben sich bei der Deutschen Welle bereits in eine Festanstellung geklagt. Denn die meisten freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den öffentlich-rechtlichen Sendern sind sogenannte arbeitnehmerähnliche Personen nach dem Paragraphen 12a des Tarifvertragsgesetzes (TVG). Das heißt: diese freien Beschäftigten sind von ihrem Arbeitgeber wirtschaftlich abhängig – ohne jedoch den gleichen Schutz wie ihre festangestellten Kolleginnen und Kollegen zu genießen. Zum Beispiel den Schutz einer Interessenvertretung.

Da die arbeitnehmerähnlichen Freien nicht unter das Bundespersonalvertretungsgesetz fallen, hat der Personalrat für diese Beschäftigten keine Zuständigkeit und kein Recht auf Mitbestimmung in Fragen, die die Freien betreffen – die bei der Deutschen Welle immerhin die absolute Mehrheit der Beschäftigten stellen. Hinzu komme bei der DW, so das Personalratsmitglied, dass viele freie Mitarbeiter*innen der fremdsprachigen Redaktionen im Ausland angeworben und unter den verschiedensten Versprechungen mitsamt Kind und Kegel nach Deutschland gelockt würden. De facto ist ihr Aufenthaltsstatus damit aber an ihre Arbeit bei der Deutschen Welle gebunden – und deshalb ein wirkungsvolles Druckmittel im Falle eines Konfliktfalls. Die DW teilt dazu auf Anfrage mit, dass dieser Vorwurf „haltlos“ sei. Man versetze jede*n Bewerber*in in die Lage, seine oder ihre Entscheidung für die DW als Arbeitgeberin zu prüfen und so zu einer eigenständigen Entscheidung zu gelangen. Die Nichtverlängerung von befristeten Beschäftigungsverhältnissen könne dann unterschiedliche Gründe haben und zähle „aufgrund des programmlichen Abwechslungsbedürfnisses“ zu einem normalen Vorgang in einer Rundfunkanstalt. „In keinem Fall jedoch hat die DW den Umstand instrumentalisiert, dass die Aufenthaltsgenehmigung mit Arbeitserlaubnis an eine Beschäftigung bei der DW geknüpft ist.“

„Wer Kritik übt, ist relativ schnell weg vom Fenster.“

Diese Strukturen, sagt der Personalrat dagegen, hätten mittlerweile zur Entstehung eines Arbeitsumfelds geführt, in dem „die Freien bis auf die tarifvertraglichen Regelungen weitestgehend der Willkür der Unternehmensleitung ausgesetzt“ seien. „Und das ist im Moment der richtig schlimme Knackpunkt, weil es in der Belegschaft in vielen Bereichen über Jahre immer rumort hat. Da sind viele Freie unzufrieden gewesen, gerade mit ihren Führungskräften. Aber wenn Kritik geäußert worden ist, dann waren diese kritikübenden Freien relativ schnell weg vom Fenster.“ Da seien dann eben Rahmenverträge nicht verlängert oder der Umfang der Dienste drastisch reduziert worden. Und Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren, habe es kaum gegeben – nicht zuletzt wegen der fehlenden Handhabe über das Personalvertretungsgesetz. Dem widerspricht die DW: Personelle Entscheidungen würden nicht auf Willkür beruhen. Auch müsse kein*e freie*r Mitarbeiter*in negative Folgen befürchten, wenn ein Machtmissbrauch jeglicher Art gemeldet werde. Reduzierungen im Umfang der Mitarbeit könnten verschiedene berechtigte Gründe haben, verteidigt man sich dort.

Geschäftsleitung ruft zu Transparenz-Offensive auf

Nach Ansicht des Personalrats hätten den zündenden Funken für das angehäufte Pulverfass bei der Deutschen Welle die #MeToo-Vorfälle beim WDR geliefert. Um einem solchen Debakel zuvorzukommen, habe die DW-Geschäftsleitung damals eine Kampagne im Sender gestartet und eine „Null-Toleranz-Politik“ proklamiert, erinnert sich der Personalrat. Die Beschäftigten seien aufgefordert worden, Missbrauchsfälle zu melden. Da es den Senderverantwortlichen aber offenbar ‚nur‘ um die Auseinandersetzung mit sexuell motiviertem Missbrauch ging, habe ver.di, so der Personalrat, darauf hingewiesen, dass das eigentlich dahinterstehende und viel dickere Brett der generelle Machtmissbrauch in allen Bereichen sei. Probleme gebe es dabei nicht nur, aber vor allem in der arabischsprachigen Redaktion, in der an beiden DW-Standorten insgesamt circa 150 Personen arbeiten.

Kritik von Mitarbeiter*innen wird als „Dolchstoß“ gegen die Redaktion bezeichnet

Dort hatten im Zuge der Transparenz-Offensive der Geschäftsleitung ungefähr zehn Beschäftigte einen Offenen Beschwerdebrief an die Senderführung unterschrieben, in dem sie die Arbeitsatmosphäre und den Umgang mit den Mitarbeiter*innen in der Redaktion anprangerten. Doch die DW-Chefs reagierten anders als erwartet, vor allem in Anbetracht der vorherigen Verlautbarungen einer angeblichen „Null-Toleranz-Politik“. Statt mit den von Machtmissbrauch betroffenen Kollegen zu sprechen, hätten die Senderverantwortlichen, erzählt der Personalrat, als erste Reaktion lediglich mit der vorgesetzten Person gesprochen, gegen die sich ein Großteil der Kritik gerichtet hatte, und dieser sogar gestattet, der Sache nachzugehen. Die Führungskraft habe einige der Kritiker daraufhin zu sogenannten Zielvereinbarungsgesprächen gebeten, die dann allerdings teilweise in regelrechte „Tribunale“ ausgeartet seien, in denen es fast ausschließlich um den Brief gegangen sei. Die Kritik der Mitarbeiter*innen sei dabei auch als „Dolchstoß“ gegen die Redaktion bezeichnet worden. Aus der DW heißt es dazu: „Der Beschwerdebrief mag in den turnusmäßigen Zielgesprächen mit Mitarbeitern der Redaktion thematisiert worden sein.“ Von turnusmäßig könne laut Personalratsmitglied aber keine Rede sein. Für gewöhnlich komme das Instrument der Zielvereinbarungsgespräche nur selten zum Einsatz.

„Kein Beschäftigungsverhältnis beendet“

In den hier zur Rede stehenden Gesprächen seien mehrere der beteiligten Personen massiv unter Druck gesetzt worden: „Da wurde den Kollegen angekündigt: Das geht gar nicht. Du bist jetzt hier raus. Ich werde dafür sorgen, dass Du kein Bein mehr auf die Erde kriegst.“ Eine Person habe man gar der Rädelsführerschaft bezichtigt und ihren Rahmenvertrag ohne Gelegenheit zur Stellungnahme beendet. Diese Aussage bezeichnet die DW dagegen als „schlicht falsch“. „Aufgrund der Mitautorenschaft an diesem Brief“ sei „kein Beschäftigungsverhältnis beendet worden“.

Bereits im Februar hatte sich die Leiterin des Bereichs Medien und Publizistik bei ver.di, Cornelia Berger, in einem Brief an den Intendanten der Deutschen Welle Peter Limbourg gewandt. Darin stellte sie fest, dass „die von Ihnen selbst angeregte Offenheit und Veränderungsbereitschaft der Deutschen Welle nicht in die Tat umgesetzt wird und offenbar an einer tatsächlichen Aufarbeitung von Missständen kein Interesse besteht“. Berger forderte Limbourg auf, die Beendigung des angeblichen Rädelsführers zurückzunehmen sowie „die ursprünglich angekündigten moderierten Prozesse zur Verbesserung des Arbeitsklimas […] in der arabischsprachigen Redaktion durchzuführen und auch persönlich dafür Verantwortung zu übernehmen, dass Kolleginnen und Kollegen von ihren Führungskräften nicht länger bedroht, eingeschüchtert und zur Strafe für ihr Engagement beendigt werden.“

„Führungskraft bleibt, Freie*r geht.“

Auch der ver.di-Senderverband in der Deutschen Welle habe die Senderleitung wiederholt aufgefordert – im Rahmen von Monatsgesprächen und Personalversammlungen –, ein professionelles Konfliktmanagement einzuführen und eine entsprechende Dienstvereinbarung auf den Weg zu bringen. Klares Signal des Intendanten darauf sei gewesen, so der Personalrat: „Wollen wir nicht, brauchen wir nicht, machen wir nicht.“ Eine Aussage, die so und so ähnlich auch von der Verwaltungsdirektorin Barbara Massing sowie dem Chef der Personalabteilung Gerd Vengels wiederholt worden sei. Der sei von der DW-Geschäftsleitung zudem zum „obersten Konfliktlöser“ befördert worden. Ob er über eine entsprechende Ausbildung oder Qualifizierung für solche besonderen Aufgaben verfügt, ist dem Personalrat nicht bekannt. Denn hier handele es sich immerhin um spezielle Konfliktfälle. Statt lösungsorientierter Gespräche mit den Betroffenen, beklagt das Personalratsmitglied, sei die klar erkennbare Devise der Personalverantwortlichen nämlich bislang gewesen: „Die Führungskraft hat vielleicht nicht Recht, aber sie ist ja festangestellt und die werden wir so leicht nicht los, also trennen wir uns von dem/der Freien.“

„Diese Behauptung ist eine Falschbehauptung“, widerspricht man bei der DW. „Es wird in jedem Einzelfall nach der Ursache von Konflikten geforscht und ggf. interveniert. Dies kann sich auch gegen Führungskräfte richten.“ Denn, so teilt man mit: Es gebe ja bereits ein sehr „umfangreiches und erfolgreiches Konfliktmanagement in der DW“. Dieses umfasse auch alle erdenklichen Möglichkeiten für Mitarbeiter*innen, Kritik geschützt vorzubringen. In diesem „umfassenden und auf die Bedürfnisse der DW ausgerichteten System“ agiere auch der Leiter der HR-Abteilung Gerd Vengels, dessen Qualifikationen „unbestritten“ seien. „Kernelemente der Führungskultur in der DW sind von ihm entscheidend mitentwickelt worden.“ So organisiere die HR-Abteilung etwa „fortlaufende Workshops in Bereichen, in denen Mitarbeiter*innen Anlass zur Aussprache haben, darunter ist die Arabisch-Redaktion“. Diese Workshops würden „teils“ auch ohne Beisein der Führungskräfte abgehalten.

Workshops zur Konfliktlösung geraten zur Farce

Tatsächlich habe es in der Deutschen Welle durchaus schon gute Erfahrungen mit Workshops zum Konfliktmanagement gegeben, erinnert sich auch das Personalratsmitglied. In einer Redaktion habe man damit zu einer Problemlösung beitragen und ein deutlich verbessertes Arbeitsklima erreichen können. Ganz anders hat es sich allerdings verhalten, als man einen solchen Workshop auch in der arabischsprachigen Redaktion durchführte. In dessen Rahmen waren die Mitarbeiter*innen aufgefordert worden, offen Kritik und Gesprächsbedarf zu äußern. Dies wurde vom Redaktionsleiter im Nachgang jedoch zum Anlass genommen, einen Brief an alle Beschäftigten zu verfassen, der der M-Redaktion in deutscher Übersetzung vorliegt. Darin bezeichnete er die im Rahmen des Workshops geäußerte Kritik als „Gift“, mit dem die Redaktion zerstört werden solle. Auch behauptete er, alle Kolleginnen und Kollegen in der Redaktion hätten „Ablehnung und Ekel“ vor diesen kritischen Äußerungen empfunden.

Geschäftsleitung verweigert öffentliches Bekenntnis zur Berechtigung von Kritik

Diese Episode widerspiegele leider eindrücklich, wie im Sender mit Kritik durch die Mitarbeiter*innen umgegangen werde, beklagt der Personalrat – wohlgemerkt einer Kritik, zu der die Senderleitung mit ihrer Transparenzkampagne selbst aufgefordert hatte. Auch die in besagtem Offenen Brief geäußerte Kritik der rund zehn Kollegen sei von der Führungskraft sowie anderen Kollegen aus der Redaktion als „ungesetzlich und illegal“ diffamiert worden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten die Geschäftsleitung deshalb aufgefordert, sich klar zu ihrer ursprünglichen Aufforderung zu Transparenz und Offenheit zu bekennen und die Kritik der Betroffenen öffentlich als berechtigt anzuerkennen.

„In Einzelfällen arbeitsrechtliche Maßnahmen“

Dies habe die Geschäftsleitung allerdings verweigert. Dazu heißt es aus dem Sender, „es ist nicht Stil der DW, einen internen Konflikt in einer Redaktion für das ganze Haus transparent zu machen“. Eine „restlose“ Prüfung der Kritikpunkte der Mitarbeiter*innen der arabischsprachigen Redaktion habe ergeben, dass „einige der vermeintlichen Kritikpunkte der Grundlage entbehrten“. Was die berechtigten Punkte angehe, habe man diese dagegen „in bilateralen Untersuchungen mit den Betroffenen und in den diversen Workshops“ klären können. „In Einzelfällen wurden arbeitsrechtliche Maßnahmen durchgeführt“, teilt die DW mit. Bisher schuldig bleibt sie indes eine Antwort auf die Nachfrage, welche dies gewesen seien und gegen wen sie sich gerichtet hätten – denn immerhin hatte es zuvor ja geheißen, „aufgrund der Mitautorenschaft an diesem Brief“ sei „kein Beschäftigungsverhältnis beendet worden“, und: „Kein*e freie*r Mitarbeiter*in muss negative Folgen befürchten, wenn ein Fall von Machtmissbrauch welcher Art auch immer gemeldet wird.“

Auch wenn die DW meint, dass Vertraulichkeit „im Sinne einer befriedigenden Lösung für die Beteiligten“ wichtig sei, ist sich der Personalrat mittlerweile sicher: Im Sinne – zumindest der kritikübenden –  Beschäftigten ist es, die Vorfälle nun endlich öffentlich zu machen. Denn selbst wenn, so wie im Falle des mutmaßlichen Vergewaltigers, von dem die „Zeit“ berichtete, der Leiter der arabischen Redaktion entlassen würde, so würde sich doch an den strukturellen Ursachen wenig ändern. Zumal, wenn sich die Senderführung weiterhin weigert, ein standardisiertes und professionelles Prozedere des Konfliktmanagements einzuführen. ver.di wäre jedenfalls bereit, dazu einen Tarifvertrag – auch gerade für die freien Mitarbeiter*innen –  abzuschließen

*die hier wiedergegebenen Informationen sind Informationen einzelner Personalratsmitglieder. Sie entspringen nicht einer Stellungnahme des gesamten Personalrats.


***Nach der Veröffentlichung des Artikels erreichte uns von Klaus Barm, Mitglied im GVV von ver.di DW) der Hinweis, dass mindestens 16 Kolleginnen und Kollegen, und nicht nur aus der arabischsprachigen Redaktion, den offenen Beschwerdebrief an die Senderleitung unterschrieben hätten. Circa fünf weitere Kolleginnen und Kollegen hätten die in dem Brief angesprochenen Probleme bestätigt, hätten mit ihrem Namen aber nicht nach außen gehen wollen. Zwei Unterschriften seien aus persönlichen Gründen zurückgezogen worden, so Barm.

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