Wenn Journalisten über die AfD reden, dann lässt sich der Eindruck gewinnen, ein Wettbewerb findet statt. Wer sagt am lautesten, „was ist“? „Rechte Hetzer“, „Faschisten“, „Anti-Demokraten“, schallt es durch die Medien. Das Ziel ist klar: Im Sinne aufrechter Demokraten klare Kante zeigen, Nazis als Nazis benennen. Gut. Nur: Die AfD mit der gebotenen Härte anzugehen und zugleich jene Eliten, die mit zur Spaltung des Landes beigetragen haben, in Watte zu packen – das passt nicht zusammen.
Im Zweispalt: Medien und die AfD
Die AfD hat ein gespaltenes Verhältnis zur Pressefreiheit und zu den Medien. Berichten sie nicht in ihrem Sinne, sind es Lügner. Journalist*innen hingegen stehen vor der Herausforderung: Wie umgehen mit einer demokratisch gewählten Partei, die sich des rechten Populismus bedient, um ihre nationalistische und rassistische Programmatik unters Volk zu bringen? Eine längst überfällige Debatte!
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Aber der Reihe nach. Zunächst zum Offensichtlichen: Es gibt in unserer Gesellschaft Rassismus. Auch über sieben Dekaden unermüdlicher Aufklärung und Sensibilisierung gegenüber den Verbrechen der Nazis konnten daran nichts ändern. Es gibt in unserer Gesellschaft auch Klassismus. Er geht von jenen Zeitgenossen aus, die sich gegenüber den Angehörigen der unteren Klassen in etwa so verhalten, wie Rassisten gegenüber den Angehörigen anderer Ethnien und Kulturen. Es gibt in unserer Gesellschaft Armut und Kinderarmut (je nach Statistik werden 2,5 bzw. 4,4 Millionen arme Kinder angeführt). Es gibt 678.000 Menschen ohne Wohnung (laut der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslose (BAG)). Es gibt circa 4 Millionen Menschen, die prekär beschäftigt sind, also trotz Arbeit arm dran sind. Und ja: Es gibt Menschen, denen geht es recht gut. Zu ihnen zählen sicherlich auch die 1,4 Millionen Millionäre, die in Deutschland leben. Vor kurzem erst hat eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung dargelegt, dass die reichsten 10 Prozent in Deutschland mehr als die Hälfte des gesamten Vermögens besitzen.
Bereits diese holzschnittartige Zusammenstellung verschiedener Lebenswirklichkeiten lässt erkennen, dass die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Oben und Unten, hierzulande Realität ist.
Was hat diese Feststellung mit der Frage zu tun, wie Medien mit der AfD umgehen sollten? Sehr viel – wenn wir bereit sind, die Oberfläche der Analyse zu verlassen und tiefer zu schauen.
Der Reihe nach.
Armut, Abstiegsängste (gerade auch in den mittleren Schichten), prekäre Lebenssituationen tragen zumindest mit dazu bei, dass radikalere politische Kräfte gestärkt werden. Auch wenn die AfD eine Partei ist, deren Wähler aus allen Einkommensgruppen kommen, also längst nicht nur Arme der AfD ihre Stimme geben, ist die Frage zu stellen: Wo waren eigentlich die Journalisten, die sich im Umgang mit der „Alternative“ für Deutschland gerne als Wächter der Demokratie inszenieren, als jene neoliberale, die Gesellschaft spaltende Politik hätte in Frage gestellt werden müssen, die den Aufstieg der AfD begünstigt hat? Wo ist die klare, die eindeutige Sprache von Medienvertretern, wenn es um fatale Entscheidungen und ein hochgradig fragwürdiges Verhalten der Eliten unserer Zeit geht?
- Ist es nicht so, dass der Umgang vieler Medien mit den Schattenstrukturen der Demokratie, aus denen die demokratische Öffentlichkeit grundsätzlich rausgehalten wird, von Desinteresse geprägt ist? Man denke nur daran, wie ignorant viele Medien mit der Teilnahme hochrangiger deutscher Politiker an der Bilderberg-Konferenz umgehen.
- Ist es nicht so, dass viele Medien recht unbeeindruckt davon waren, dass 15 Jahre lang Arme in unserem Land aufgrund von Hartz-IV-Sanktionen in die Obdachlosigkeit getrieben wurden? Die teils zustimmende, die teils zurückhaltende Berichterstattung vieler Medien hat dazu beigetragen, dass Unrecht lange Zeit die tägliche Praxis war.
- Ist es nicht so, dass Medien auch im Hinblick auf die Halbierung der Sozialwohnungen in den letzten 15 Jahren eher zurückhaltend berichtet haben? Wo waren Medien, die mit Nachdruck, nicht nur halbherzig, auf die Gefahren dieser Entwicklung für unsere Gesellschaft hingewiesen haben?
- Ist es nicht so, dass gerade dann, wenn die Demokratie von innen, von den „Guten“ angegriffen wird, viele Medien erstaunlich kleinlaut sind? Wo waren Medien, als der UN-Sonderbeauftragte für Folter von einem Treffen mit dem Auswärtigen Amt kam und sich danach einigermaßen fassungslos darüber zeigte, dass von hoher Deutscher Stelle sein Bericht über Julian Assange nicht einmal gelesen wurde? Immerhin geht es, wie Nils Melser festgestellt hat, um „psychologischer Folter“. Wo waren Medien, als die Linksfraktion unter dem Titel „Medien unter Beschuss“ zur öffentlichen Anhörung im Bundestag einlud und mit dem Vater von Julian Assange sprach? Man gebe einmal bei Google News die Begriffe „Assange“, „Vater“ und „Bundestag“ ein. Ergebnis: Beiträge von taz, RT Deutsch, Sputnik. Wie soll man die Nichtberichterstattung bezeichnen?
Als Arbeitsverweigerung zum Wohl der Demokratie?
Bei Lichte betrachtet haben wir es mit einer schizophrenen Situation zu tun. Wir sehen, einerseits, einen Journalismus, der die Fahne der Demokratie beim Anblick der AfD nicht hoch genug halten kann. Andererseits begegnen Medien einer zwingend zu kritisierenden Politik im Wesentlichen mit Beifall, Zaghaftigkeit und Passivität. Die weitreichenden Konsequenzen aus dieser Politik für einen Teil der Bürger, für unsere Demokratie, ja, die Verärgerung und die Wut, die so entstanden sind und den Weg für eine Partei wie die AfD mitgeebnet haben, haben Journalisten über lange Zeit abgetan – und tun es, teilweise, noch immer. Und nun wird seit geraumer Zeit darüber diskutiert, wie Journalisten mit der AfD umgehen sollen? Ja wie sollen sie mit ihr umgehen? Rechte Hetzer als rechte Hetzer benennen? Selbstverständlich! Sollten Medien nicht viel deutlicher ansprechen, dass die AfD im Grunde genommen eine Partei ist, die gerade nicht auf Seiten der Armen und Schwachen in unserer Gesellschaf steht? Unbedingt. Aber wie sollen Journalisten mit einer Kanzlerin umgehen, die vom US-Magazin Forbes sieben Mal in Folge zur „mächtigsten Frau der Welt“ gekürt wurde, die es aber in 15 Jahren Amtszeit „nicht geschafft“ hat, das Problem der Kinderarmut im reichen Land Deutschland zu beseitigen? Wie spricht die Presse über sie? Als Frau „mit dem wunderbaren Habitus“ (taz). Als Kanzlerin, die „Augenringe des Vertrauens“ (Die Zeit) aufweist. Als eine Person, die im Hinblick auf ihre Entscheidung, bei der nächsten Wahl nicht mehr zur Verfügung zu stehen, „Größe zeigt“ (Focus Online).
Wir sind beim Kern des Problems: Es ist geradezu absurd, und es spricht für die Betriebsblindheit weiter Teile der Medien, wenn Journalisten sich über die demokratiefeindlichen Tendenzen der AfD empören, und zugleich so tun, als seien jene Parteien, die in den letzten Jahrzehnten die Politik und das Klima im Land maßgeblich gestaltet haben, die unbefleckten Freunde der Demokratie. Stellen wir doch die Ketzerfrage: Wie schädlich für unser demokratisches Gefüge war eigentlich das Agieren der politischen Weichensteller in den letzten Jahrzehnten? Wer die Realität mit Nachdruck leugnet, mag behaupten, dass der massive Verlust an Wählerstimmen aufseiten der „Volksparteien“, die Spaltungen in der Gesellschaft, die Wut auf die herrschenden Eliten einfach nur damit zu tun hat, dass viele Bürger schlicht nicht erkennen, wie gut die Politik zu ihnen ist, wie wunderbar es ihnen doch geht. Wer so die Realität wahrnimmt, stärkt unweigerlich jene Kräfte, die nun bedauerlicherweise wieder auf der politischen Bühne stehen. Wer als Journalist Macht- und Herrschaftskritik den Rechten überlässt – und das ist der Fall -, darf sich nicht wundern, wenn unter den gegebenen Bedingungen Bürger mit denjenigen liebäugeln, die demagogisch die Kritik an „denen da oben“ ansetzen. Wer sich als Journalist über den Umgang mit der AfD Gedanken macht, muss über den Tellerrand hinausblicken. Es gilt dort publizistisch anzusetzen, wo die Ursachen für das Erstarken solch einer Partei liegen. Wenn das endlich verstanden ist, muss man nicht einmal in die Trickkiste greifen. Es genügt das zu gebrauchen, was man gelernt hat und im Grunde genommen doch auch beherrscht (wenn man will): das Handwerk.
Wie sieht es aus, wenn Journalisten ihr Handwerk gekonnt einsetzen? Erinnern wir uns. 2009 fragte der niederländischen Journalist Rob Savelberg bei der Bundespressekonferenz, wie Angela Merkel Wolfgang Schäuble zum Finanzminister ernennen könne. Schließlich habe dieser doch 100.000 Mark in seinem Schreibtisch im Zuge der CDU-Spendenaffäre geparkt.
Savelberg hat durch eine kritische Frage, die auf der Hand lag, bewiesen, dass er sich als Journalist nicht durch handzahme Fragen zum Komplizen der Mächtigen macht. Er hat sich einfach nicht den impliziten Spielregeln, die gerade auf höchster Ebene des politischen Journalismus zwischen Politikern und Journalisten wirkmächtig sind, unterworfen. Wer das als Journalist unter Beweis stellt, gewinnt Vertrauen – mit Sicherheit auch aufseiten derjenigen, die aus Protest die AfD wählen.
Hier liegt der Schlüssel. Ein kritischer Umgang mit den Eliten und Machteliten verleiht der eigenen kritischen Berichterstattung über die AfD mehr Glaubwürdigkeit. Und schließlich: Der Partei wird es wesentlich schwerer fallen, sich als „Opfer der Medien“ zu inszenieren. Wer als Journalist „nur“ sein Handwerk, so wie es eigentlich zum Einsatz kommen sollte, gebraucht, kann Politik bereits schonungslos dekonstruieren. Das gilt für die Politik der etablierten Parteien genauso wie für die „Politik“ der AfD.
Alle Beiträge des Forums „Im Zwiespalt: Die Medien und die AfD“
Podiusmdiskussion der dju in ver.di am 16. Dezemeber 19 Uhr in der taz-Kantine in Berlin: „Berichten über AfD & Co.“ Bitte anmelden!