Die Zeit ist reif

Auf dem 33. Journalismustag von ver.di am 25. Januar gab es eine Vielzahl an Statements zum Thema „Haltung im Journalimus“. Hier eine kleine Auswahl.

Claudia Neumann, Sportreporterin der ZDF, geriet als Fußball-Kommentatorin, vor allem seit der EM 2016, in einen Shitstorm und ist seitdem Hetze- und Hasstiraden in den digitalen Medien ausgesetzt. In einer Keynote zum Journalismustag berichtete sie von ihrem Umgang mit den Angriffen zwischen Gelassenheit und intuitiven, konsequenten Reaktionen sowie von der Unterstützung durch Kolleg*Innen.

ZDF-Fußball-Kommentatorin Claudia Neumann Foto: Kay Herschelmann

„Wer je eine ähnliche Situation erlebt hat, wird erkannt haben, welch wunderbar starke Kraft Solidarität bedeuten kann. Je mehr Menschen aufstehen, Haltung zeigen, sich deutlich gegen populistische Strömungen oder blinden Hass positionieren, desto wirkungsvoller. … Egal wie aufgeräumt man ist, wie realistisch man die Situation einordnet, es tut einfach unheimlich gut zu sehen, dass man nicht allein ist. Ob von den eigenen Chefs, den Kollegen, von Freunden oder Familie, alle Solidarität ist willkommen, ist eine erhebliche Stütze. Am erstaunlichsten aber fand ich die vielen Nachrichten, Briefe oder Grüße von mir wildfremden Menschen, die auch klare Worte gefunden haben… Und, ich habe das Gefühl, dass gerade im Sport die Zeit reif ist, viel mehr Haltung zu demonstrieren. Entgegen der Befürchtung vieler Funktionäre, die möglicherweise Sorge haben, etwaige Sponsoren oder wohlwollende Wegbegleiter zu verärgern, erheben immer mehr Sportler, Fußballer das Wort gegen vermeintlich gesellschaftliche Fehlentwicklungen.“ Als „eindrucksvollstes Beispiel“ verwies sie auf die US-Fußballerin Megan Rapinoe, die sich im „Kampf gegen Ausgrenzung und für Gleichberechtigung“ mit Donald Trump angelegt hat.

Eine Lobby für die Wahrheit

Der Polnische Publizist Thomasz Piątek Foto: Kay Herschelmann

Der polnische Publizist Tomasz Piątek arbeitete bereits für verschiedene Radiosender und seit etlichen Jahren auch als Kolumnist der wichtigsten Tageszeitung „Gazeta Wyborza“. In seinem 2017 veröffentlichten investigativen Bestseller „Antoni Macierewicz und seine Geheimnisse“ enthüllte er Verbindungen des damaligen polnischen Verteidigungsministers zum russischen Geheimdienst und zur Mafia. Er wird in Polen mit Gerichtsprozessen „schikaniert“ und ist Ziel von Hassreden und Lügenkampagnen. Ungeachtet dessen hat Piątek „ein investigatives Onlineportal namens Arbinfo gegründet. Ohne jegliche Werbung hat es in weniger als vier Monaten über 100.000 Besucher gewonnen. Einfach weil wir die Wahrheit veröffentlichen. Ich schließe daraus, dass die Wahrheit immer noch für viele Menschen wichtig ist“, sagte er.

„Wir Journalisten müssen zu einer starken Lobby werden, die Druck auf die Regierung und Unternehmen ausübt. Zu einer Lobby für Journalismus, für Lesekultur, für faktenbasiertes, logisches Denken. Eine Lobby, die mit allen akzeptablen Mitteln kämpft, beginnend mit Erziehung. Aber wir müssen auch besser sein und mehr sein als nur eine Lobby. Wir müssen eine bürgerliche Widerstandsgruppe sein zur Verteidigung der Wahrheit. In diesem Geist und im Geist der Freiheit müssen wir uns auch selbst disziplinieren und der Versuchung durch Lüge und Korruption widerstehen.“

Johannes-Filous, Journalist und Gründer von „Strassengezwitscher“ Foto: Kay Herschelmann

Johannes Filous, Fotograf, Initiator und Autor von „Straßengezwitscher“ aus Dresden sieht die Gefahr nicht allein in der physischen Gewalt und dem Hass im Netz an sich – „selbst wenn der Mob lauter wird“. „Wir müssen sehen, was mit uns dabei passiert, dass wir abstumpfen und uns daran gewöhnen und sagen, es ist nichts Besonders, was da passiert. „Aber es ist was Besonderes, wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, sondern wir müssen nüchtern, klar und kontinuierlich darüber berichten.“ Filous ist mit seinen Kolleg*innen von „Straßengezwitscher“ in Sachsen unterwegs, dokumentiert und berichtet über Aktionen im rechten Milieu.

Arndt-Ginzel, freier Investigativjournalist Foto: Kay Herschelmann

Ebenso wie der freie Investigativjournalist Arndt Ginzel aus Leipzig, der im Workshop „Recherchieren am rechten Rand“ sagte: Es gebe keine grundsätzlich anderen Regeln für Recherchen auf AfD-Kundgebungen, Rechtsrock-Konzerten oder „Wutbürger“-Demos. „Rauskriegen was ist, wer dahintersteht, was dahintersteckt“, sei journalistischer Auftrag. Doch helfe Erfahrung und Teamarbeit, ihn zu erfüllen. Wachsamkeit und Selbstschutz seien wichtig. Denn die Polizei stehe „nicht immer an Deiner Seite“, belegte Ginzel an zahlreichen Beispielen.

Ingrid-Brodnig, Autorin von „Hass im Netz“ und Vertreterin der österreichischen Mediengewerkschaft GPA-dip Foto: ver.di TV

„Rechtspopulismus lebt davon aufzuregen“, sagt Ingrid Brodnig, Autorin von „Hass im Netz“ und Vertreterin der österreichischen Mediengewerkschaft GPA-djp. Sie regt an, „vieles nicht zu thematisieren, was nicht unbedingt thematisiert werden muss. Es sei denn, es ist strafbar in unserer Demokratie.“ Aber es werde „schon vorher vieles reflexartig aufgegriffen – also immer überlegen: Mache ich gerade das Geschäft der Provokateure?“ Sie glaube auch, dass Redaktionen mehr moderieren müssen, da strafbare Posts sogar auf Redaktionswebseiten in Facebook gemacht würden. Es ginge nicht immer nur ums Löschen, sondern man müsse „auch aktiv einschreiten“, beispielsweise um zu fordern „keine Beleidigungen zu posten“. „Ich glaube, da ginge noch mehr.“

Gemeinsam stark machen

Bjoern-Wiebke, freier Mitarbeiter im WDR Foto: ver.di TV

Björn Wiebke, freier Mitarbeiter NDR, gab am Ende ein positives Feedback über den Journalismustag ab – übrigens wie der überwiegende Teil derjenigen, die die Evalutionsbogen am Ende des Tages abgaben. „Die Anzeichen sind klar, wir sind unter Beschuss, die Journalisten insgesamt und die Demokratie. Die Verbindung ist sehr deutlich geworden: die Angriffe gehen gegen die Demokratie insgesamt. Deshalb war es ermutigend zu sehen, dass die Leute sich hier gemeinsam stark machen, sich das nicht gefallen lassen wollen. Insofern ist das Motto genau richtig gewählt, wir müssen Haltung zeigen.“


Ein ausführlicher Bericht

… über den 33. ver.di-Journalismustag auch mit den kompletten Videos und Auszügen aus dem regen Twitterverkehr auf M Online:

Eine Frage der Haltung mit klaren Antworten

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

KI darf keine KI-Texte nutzen

Die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der KI im eigenen Metier wird Journalist*innen noch lange weiter beschäftigen. Bei der jüngsten ver.di-KI-Online-Veranstaltung ging es um den Anspruch an Gute Arbeit und Qualität. ver.di hat zum Einsatz von KI Positionen und ethische Leitlinien entwickelt. Bettina Hesse, Referentin für Medienpolitik, stellte das Papier vor, das die Bundesfachgruppe Medien, Journalismus und Film zum Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz im Journalismus erarbeitet hat.
mehr »

Unabhängige Medien in Gefahr

Beim ver.di-Medientag Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen diskutierten am 20. April rund 50 Teilnehmende im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig die aktuelle Entwicklungen in der Medienlandschaft, die Diversität in den Medien und Angriffe auf Medienschaffende. Das alles auch vor dem Hintergrund, dass bei den kommenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg die AfD laut Umfragen stark profitiert. 
mehr »

Wie prekär ist der Journalismus?

„Daten statt Anekdoten“, das war das Ziel des Forschungsprojekts „Prekarisierung im Journalismus“ an der LMU München, das nun nach fast fünf Jahren mit einem internationalen Symposium in München endete. Zu den Daten aus Europa hatte auch die dju in ver.di ihren Beitrag geleistet, als sie ihre Mitglieder um Teilnahme an der Online-Befragung bat und in M über die Ergebnisse berichtete.
mehr »