Eine Frage der Haltung mit klaren Antworten

Fishbowl "Raus aus der Blase und miteinander reden! - ein neues Format, das ankam, auf dem 33. Journalismustag im ver.di-Haus in Berlin Foto: Kay Herschelmann

„Hinschauen, Weghören, Einstehen? Alles eine Frage der Haltung“ – ein Thema, dass zu spannenden Debatten und einem interessanten Erfahrungsaustausch führte unter den mehr als 200 Teilnehmer*innen des 33. Journalismustages von ver.di am 25. Januar in Berlin. Zur Eröffnung ein klarer Appell für mehr Haltung im Journalismus zur Verteidigung demokratischer Werte und von bedrohten Journalistinnen und Journalisten von Christoph Schmitz, im ver.di-Bundesvorstand zuständig für den Medienbereich.

„Wir alle spüren, dass sich unsere Gesellschaft zunehmend polarisiert“, erklärte Schmitz. „Die Debatten werden heftiger, Auseinandersetzungen aggressiver.“ Er verwies auf „die Gewaltandrohungen gegenüber Journalistinnen und Journalisten aus dem rechten Milieu, die zunehmend und lauter werden.“ Doch auch Demonstrationen gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sah er als antidemokratische Angriffe und Teil einer „gruseligen Entwicklung, der wir entschlossen entgegentreten.“

Christoph Schmitz, im ver.di-Bundesvorstand für Medien zuständig, bei seiner Keynote Foto: Kay Herschelmann

Zur demokratischen Basis von humaner Gesellschaft gehöre es, dass Journalist*innen die Vielfalt der Gesellschaft abbilden, über alle, auch extreme, politische Strömungen berichten. Dabei sei die Frage nicht neu, stelle sich aber akut und verstärkt: Können sich Berichterstatter leisten „auch einmal wegzuhören, nicht über jedes Stöckchen zu springen, was etwa die AfD mit hoher Professionalität in die Speichen des Medienrades wirft“? Schmitz ging auf die Debatte um das Satire-Video „Umweltsau“ ein. Die Entschuldigung von WDR-Intendant Tom Buhrow, der inzwischen auch als ARD-Vorsitzender fungiert, habe gezeigt: „Der Sender steht nicht hinter seien Journalistinnen und Journalisten und opfert die Freiheit der Presse und der Kunst einem pöbelnden Mob.“ Diese Strategie halte er für falsch und gefährlich, so das ver.di-Bundesvorstandsmitglied. Auch das Beispiel des Kollegen Richard Gutjahr – Redner auf einem der letzten Journalismustage – der jetzt erklärtermaßen wegen mangelnder Unterstützung und Solidarität des Bayerischen Rundfunks den Sender verlassen habe, sowie viele andere Fälle belegten, dass im Journalismus mehr Haltung gebraucht werde. Haltung sei unverzichtbar für das Funktionieren der Pressefreiheit, nötig, um Selbstzensur und Resignation zu verhindern.


Fußball potenziert alles

Claudia Neumann, Sportreporterin beim ZDF, war angetreten zu Ermutigung: „Haltung haben, Haltung zeigen, Angriffe abwehren“, so das Thema ihrer Keynote. Die erfahrene Reporterin steht seit längerem im Fadenkreuz von Hasskommentaren und Shitstorms im Netz – erst recht, seit sie 2016 bei der Fußball-EM in Frankreich als erste Frau in einem Männerturnier auch live kommentierte. Sie sei damals auf extreme Reaktionen gefasst gewesen, erläuterte Neumann, habe sich auch in kollegialen Gesprächen vorbereitet. „Was ich nicht hatte, war eine Strategie.“ Auch heute kenne sie „kein Patentrezept, wie man Hass in unserem Beruf erfolgreich begegnet“. Sie habe stets intuitiv gehandelt, sich „auf ihren inneren Kompass“ verlassen. Als Basis dienten ihr dabei Selbstvertrauen und die Fachkenntnisse, die sich seit ihrer Jugend als aktive Fußballerin und seit 1991 im Beruf angeeignet habe. Deshalb wisse sie auch: „Fußball potenziert alles“, vor allem die Emotionen von Fans. Zugleich helfe Einordnung. Es ginge in diesem Metier „weder um den Weltfrieden noch um Hungersnöte“, sondern einfach um Sport.

ZDF-Sportreporterin Claudia Neumann
Foto: Kay Herschelmann

Freilich fielen Zuschauerreaktionen, früher noch in Leserbriefen oder Anrufen artikuliert, heute wesentlich extremer aus: in Beleidigungen und Beschimpfungen, speziell in den sozialen Medien. Sie selbst sei dort – „aus Überzeugung“ – nicht aktiv, sie konzentriere sich auf Face-to-face-Kommunikation im realen Leben. Glücklicherweise habe sie sich durch Hate Speech und selbst sexistische Kommentare, die zumeist „komplett am eigentlichen Inhalt vorbei“ gingen und oft in die Schublade Neid und Missgunst gehörten, nie persönlich provoziert gefühlt. Obwohl sie kaum solche Posts lese, mache sie sich Gedanken über die Motivation ihrer Urheber. „Lust auf Protest; Verunsicherung und Angst, auf der Stecke zu bleiben; der Wille, Teil einer Community zu sein und sich dort durch Überbieten von Gemeinheiten zu etablieren“, spielten gewiss eine Rolle. Die Gesellschaft müsse sich fragen, wie Menschen mit solchem Verhalten wieder eingefangen werden könnten. Ihr falle da vor allem Bildung ein.

Den Medien legte sie nahe, sich nicht auf Hate Speech zu kaprizieren. Unkontrolliertes Zitieren aus dem Netz sei inakzeptabel. Besser totschweigen, missachten, nicht der Schlagzeile nachhecheln, kurz: „weniger wäre mehr!“

Solidarität von Kolleg*innen

Ihr selbst habe Solidarität sehr geholfen, mit Hass umzugehen. Die Unterstützung durch den Sender, die Kollegen, aber auch viele Unbeteiligte sei eine starke Kraft und ein positiver Impuls für sie selbst. Erfreut konstatiere sie, dass Sportler selbst, auch Fußballer und Fußballerinnen wie die Amerikanerin Megan Rapinoe versuchten, mehr Haltung zu zeigen und mit ihrer Popularität auszustrahlen.

Als Reporterin sei sie nach wie vor „drin im Raster der Hater“. Doch habe sie inzwischen die Rolle angenommen, ihre Stimme zu erheben, aufzuklären und bewusst auf Kursänderung hinzuwirken. Sie trete in Journalistik-Studiengängen auf, halte Vorträge und habe zur eigenen Überraschung selbst „Mehrwert daraus gezogen, statt Verbalschlachten einen vernünftigen Dialog zu führen“. Jeder dürfe sie und ihre Arbeit kritisieren. Doch Abweichungen, die dem demokratischen Verständnis von Meinungsfreiheit nicht entsprechen, trete sie offen entgegen. Jeder sei aufgefordert zu solchen Gegenreaktionen und „willkommen, seinen Beitrag dazu zu leisten“, ermunterte Neumann das Auditorium.


Eine Lobby für die Wahrheit

Eine weitere Keynote richtete den Blick ins Ausland. Der polnische Publizist Tomasz Piątek arbeitete bereits für verschiedene Radiosender und seit etlichen Jahren auch als Kolumnist der wichtigsten Tageszeitung „Gazeta Wyborza“. In seinem 2017 veröffentlichten investigativen Bestseller „Antoni Macierewicz und seine Geheimnisse“ enthüllte er Verbindungen des damaligen polnischen Verteidigungsministers zum russischen Geheimdienst und zur Mafia.

Tomasz Piątek, polnischer Publizist und Schriftsteller
Foto: Kay Herschelmann

Seither sieht sich Piątek verstärkt Anfeindungen und Verfolgung ausgesetzt. In zehn verschiedenen Gerichtsprozessen, „nicht durch die angegriffenen Minister oder Regierungsbeamten selbst, sondern durch deren Gewährsleute und zwielichtige Organisationen“, solle er mundtot gemacht werden. Er sei Opfer von Hasskampagnen im Internet und in den Medien, die sowohl von „anonymen Trolls als auch von Journalisten geführt werden, die von der polnischen, vielleicht auch der russischen Regierung bezahlt werden“.

Wenig Unterstüzung im eigenen Land

Er werde nur von einigen wenigen, aber prominenten Journalistenkollegen unterstützt. Auch die kleinste Journalistengewerkschaft im Nachbarland helfe solidarisch. Die Masse der Kollegenschaft und die beiden großen Berufsverbände in Polen unterstützten ihn nicht. Zeitungen zensierten gar seine früher veröffentlichten Artikel und nähmen sie von ihrer Webseite, auch da von ihm bloßgestellte Personen dafür offenbar zahlten. Mitunter wende sich selbst das Publikum in den sozialen Medien gegen ihn, beklagte Piątek. Er habe deshalb das digitale Investigativportal „Arbinfo“ gegründet, das in weniger als vier Monaten 100.000 Nutzer rekrutierte – ganz ohne Werbung.

„Wir müssen eine starke Lobby bilden, die die PiS-Regierung unter Druck setzen kann, ja gar eine Art Zivil-Guerilla von Wahrheitsverteidigern, die gegen Korruption und Lüge vorgehen“, so  Piątek. In einer gegen ihn vorgebrachten Klage – er werde auch als vermeintlicher Terrorist verleumdet – werde er jetzt vor den Europäischen Gerichtshof ziehen, erklärte er auf Nachfrage. Um ihn und konstruktiv-kritische Kolleg*innen in Polen zu unterstützten, könnten Briefe an die polnische Regierung nicht schaden. Die effektivste Unterstützung sei es aber, aus dem Ausland über die Verhältnisse zu berichten und sie bewusst in den Kontext der Europäischen Gemeinschaft zu stellen. In Polen scheine sich in den momentanen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen eine Art Frontlinie zu etablieren. „Solcherart Krebs kann sich ausbreiten und bald auch Länder befallen, die bereits längere demokratische Tradition haben“, warnte Piątek.

Resolution


Mit Blick auf die fragwürdigen Verkaufsszenarien von DuMont in Bezug auf die „Hamburger Morgenpost“ haben die Teilnehmenden des ver.di-Journalismustages folgende Resolution verabschiedet: Sie „fordern die DuMont Mediengruppe auf, ihrer Verantwortung als Verleger und Arbeitgeber gerecht zu werden und die Einheit von Zeitung und Onlineportal der Hamburger Morgenpost bei Verkaufsverhandlungen beizubehalten. Ein alleiniger Verkauf des lukrativen Online-Portals bei Einstellung der Zeitung kommt nicht in Frage, sowohl für die Angestellten, wie auch für die Hamburger Leser und Leserinnen, die damit so gut wie alle publizistische Vielfalt in ihrer Stadt einbüßen würden.“


Rein in die Fishbowl und raus aus der Blase

Hinein ins Goldfischglas und mitgeschwommen! Korrekter gesagt, mitdiskutiert zum Thema „Raus aus der Blase und miteinander reden: Über den Umgang mit Andersdenkenden“. Beim Fishbowl-Format gesellen sich zu festen Diskutanten im Innenkreis spontan Beobachtende aus dem Außenring, reden von einem extra freigehaltenen Platz aus und räumen ihn wieder nach abgeschlossenem Gedanken. Dieses offene, von der Hamburger Gewerkschaftssekretärin Tina Fritsche moderierte Diskussionsformat wurde beim Journalismustag erstmalig erprobt und sofort angenommen. Franzi von Kempis, Historikerin, Videojournalistin und Bloggerin gegen Verschwörungstheorien, falsche Infos, Hass und Sexismus, Autorin von „Anleitung zum Widerspruch“ und Macherin von „Die besorgte Bürgerin“ sowie Gilda Sahebi, Ärztin, Politikwissenschaftlerin, freie Journalistin, u.a. für die taz und bei den Neuen deutschen Medienmacher*innen, agierten im „Goldfischglas“. Sie berichteten von Situationen, in denen sie ihre schützende „Blase“ verlassen mussten. Franzi von Kempis wurde nach ihrem Buch – und auch als „besorgte Bürgerin“ – mit einer Vielzahl von Meinungen überflutet. Diese Leute zu treffen sei spannend, auch belastend und werde manchmal zu viel.

Fishbowl-Moderatorin fordert zum Mitdiskutieren auf und die Buchempfehlung „Anleitung zum Widerspruch“ (Franzi von Kempis) gibt es gratis dazu Foto: Kay Herschelmann

Wo liegen Grenzen des Dialogs? Gilda Sahebi hatte sie nach zwei Jahren moderierter online-Plattform gespürt, „es war zuletzt die Hölle. Ich habe erfahren, wie Leute denken über Juden, Israel, Russland“. Sie habe aufgehört, ihren Namen unter die Beiträge zu setzen. „Es kamen persönliche Anwürfe, ich musste mich schützen, auch weil ich nicht so tun kann, als wäre ich weiß“. Bei den Medienmacher*innen bekomme sie ein Gefühl, „mit wem kann man sprechen, mit wem nicht“.

Einordnen und aufklären

Soll ich meine „Blase“ öffnen, fragte ein ins „Goldfischglas“ gesprungener Kollege. Wenn ich das tue, und mich ständig auseinandersetze, kann ich nicht weiterarbeiten. Oder mache ich weiter und schmeiße alles raus, was mir auf den Geist geht? Im persönlichen Raum, bei ihrem facebook-account sei sie inzwischen mit ihren Posts sehr streng geworden, meinte von Kempis, aber im öffentlichen Raum dürfe man nicht aufhören, zu diskutieren. Man müsse bei Andersdenkenden jedoch Zurückhaltung üben, sonst sagen die Leute nichts, berichtete eine Journalistenkollegin über Interviews mit Nazi-Leuten. Doch so Erfahrenes müsse in der Wiedergabe eingeordnet werden, so Sahebi. Es sei journalistische Pflicht, aufzuklären.

Vielen fehle es an Infos und Wissen, meinte eine ehemalige Lokalredakteurin und jetzige Rentnerin aus Gera. Ihr sei durch geduldiges Überzeugen gelungen, Menschen von Hasstiraden gegen Flüchtlinge abzubringen. Sie gibt Flüchtlingen jetzt eine eigene Stimme und bringt mit ihnen in Gera die Zeitschrift „nig“ („neu in gera“) heraus.


Eindrücke vom Journalismustag:

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Respekt und Streitkultur

„Mit Menschen zu reden, die ich nicht leiden kann, braucht Respekt und Demut, ich habe nicht die totale Wahrheit“, bekannte ein weiterer Kollege. Aber jede Redaktion sei eine Blase. Einfacher und oft dem Redaktionsalltag geschuldet sei, zu einer PK mit Profis zu gehen anstatt auf die Straße und zu hören, was die Leute reden. Oder, ergänzte eine Kollegin, Menschen zu erreichen, die in Abschiebehaft sitzen. Durch Facebook und Twitter werde – so weitere Einlassungen – die Blasensituation befeuert. Gefahren liegen darin anzunehmen: Alle sind meiner Meinung. Oder – siehe Trumps Methode: Je mehr du etwas hörst oder liest, desto mehr meinst du, dass es stimmt. Digitale Verblödung? Ich weiß nix und schreibe über alles? Wie kommen wir da raus?

Wir müssen raus! „Wir müssen mehr miteinander streiten“, so der Appell der Stamm-Diskutantin von Kempis. Und dabei „radikal freundlich und höflich“ bleiben. „Man muss nicht auf alles eingehen,“ erwiderte Sahebi, „zum Beispiel nicht auf rechtsextreme Parolen, auch als Journalistin nicht“. Es braucht eine innere Routine, ist von Kempis Erfahrung. „Bis hierher diskutiere ich und dann nicht weiter.“ Wo liegt meine Grenze – das müsse jede und jeder letztlich für sich entscheiden.“


Warum differenzierte Worte wichtig sind

Konstantina Vassiliou-Enz, Neue deutsche Medienmacher*innen, im Workshop zu Sprache und Haltung
Foto: Kay Herschelmann

Die Neuen deutschen Medienmacher*innen – ein bundesweiter Zusammenschluss von mehr als tausend Medienschaffenden mit unterschiedlichen kulturellen und sprachlichen Kompetenzen und Wurzeln – streiten für Vielfalt in den Medien und Einwanderungsperspektiven im öffentlichen Diskurs. Wertfrei, korrekt und präzise sollten Berichte die Sachverhalte wiedergeben. Konstantina Vassiliou-Enz demonstrierte in einem der vier angebotenen Workshops anhand zahlreicher publizierter Beispiele, wie sich durch Überschriften, Bildtexte oder Synonyme Aussagen verändern oder Klischees bedienen. „Wir wollen politisch korrekt sein. Doch dabei kann man ziemlich viel falsch machen.“ Was erzählen, was schreiben wir? Journalistinnen und Journalisten – so Vassiliou-Enz – seien nie objektiv. „Wie sie berichten, einordnen und aufklären zeigt Haltung.“ Ein von den Medienmacher*innen erarbeitetes und ständig aktualisiertes Glossar bietet Alternativen zur Wortwahl.

Welche Sprache verwenden die Rechten

„Worte sind wie winzig kleine Arsendosen“, zitierte Simone Rafael, Mitarbeiterin der Amadeu-Antonio-Stiftung und Chefredakteurin von Belltower.news, den jüdisch-protestantischen Intellektuellen Viktor Klemperer. Er überlebte die Zeit des Nationalsozialismus und veröffentlichte 1947 eine Abhandlung über die Sprache im Dritten Reich. Die Begriffe und sprachlichen Strategien der Nazizeit würden heute von Rechten weiter benutzt, auch von Politkern der AfD, erklärte Rafael im Workshop „Wording und Framing: Welche Sprache verwenden die Rechten?“. Die Wortwahl funktioniere innerhalb der rechten Sphäre als Erkennungsmerkmal Gleichgesinnter. Außerhalb dieser Sphäre ziele sie auf die Mehrheitsgesellschaft um Diskurse nach rechts zu verschieben und Andersdenkende einzuschüchtern. Rechte seien sehr kreativ, so Rafael, neue Begriffe zu erfinden, um die Diskussion in ihrem Sinne zu lenken („Gutmensch“, „linksversifft“) oder um Sperrungen auf Plattformen zu umgehen. Sie versuchten, durch stete Wiederholung eine „Normalisierung“ menschenfeindlicher Argumentationen zu erreichen, sie quasi „salonfähig“ zu machen, damit sie auch von anderen verwendet werden. Es sei aber sinnlos, referierte Rafael, diesen Begriffen zu widersprechen, da sie sich bei positiver wie negativer Erwähnung immer in den Köpfen verfestigten (Framing-Forschung von Elisabeth Wehling). Sinnvoll sei es daher, diese von Rechten benutzten Begriffe ganz zu vermeiden.

Investigatives Arbeiten im rechten MiIieu

Arndt Ginzel, freier Investigativjournalist u.a. für das ZDF im Workshop. Recherche am rechten Rand Foto: Kay Herschelmann

Recherchieren am rechten Rand war Thema eines weiteren Workshops, den der freie Investigativjournalist Arndt Ginzel aus Leipzig leitete. Es gebe keine grundsätzlich anderen Regeln für Recherchen auf AfD-Kundgebungen, Rechtsrock-Konzerten oder „Wutbürger“-Demos. „Rauskriegen was ist, wer dahinter steht, was dahinter steckt“, sei journalistischer Auftrag. Doch helfe Erfahrung und Teamarbeit, ihn zu erfüllen. Wachsamkeit und Selbstschutz seien wichtig. Denn die Polizei stehe „nicht immer an Deiner Seite“, berichtete Ginzel an zahlreichen Beispielen. Sonja Volkmann-Schluck vom Deutschen Presserat erinnerte an eine alte Vereinbarung zum Verhältnis Polizei-Presse. Man sei mit der Innenministerkonferenz im Gespräch, sie zu aktualisieren. Von Fortschritten in Sachsen durch Schulungserfolge und geänderte Polizeistrategie berichtete auch Johannes Filous vom Twitter-Projekt „Straßengezwitscher“.

Lösungen anstelle von Hysterie und Skandalen

Katharina Wiegmann von Perspektive Daily im workshop über konstruktiven Journalismus Foto: Kay Herschelmann

Den Workshop „Konstruktiver Journalismus. Visionen und Lösungen anstelle von Hysterie und Skandalen“ leitete Katharina Wiegmann, CvD beim Online-Nachrichtenportal „Perspektive Daily“ mit Schwerpunkten Europa, Demokratie und Feminismus. Das Portal, das sich über rund 11.000 zahlende Abonnent*innen finanziert, bietet täglich einen längeren Artikel, der über Hintergründe informiert und nicht nur negative Entwicklungen benennt. Wiegmann betonte, dass konstruktiver Journalismus nicht mit einem schönfärberischen Journalismus zu verwechseln sei, der stets nur das Positive sehen will. Es gelte aber Abschied zu nehmen von der alten Regel „Only bad news, are good news“ und einen Schritt weiter zu gehen: nämlich ebenfalls existierende gute Beispiele und Lösungsansätze für Missstände auch zu nennen.

Die Referentin warnte davor, dass das in der Gesellschaft vorherrschende – und laut Umfragen bei Journalist*innen besonders ausgeprägte – negative Weltbild zu Stress, Passivität, Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit führe. Das Team von Perspektive Daily wolle hingegen einen realistischen Journalismus, der aktiviert und „empowered“. Nach Wiegmanns Input entspann sich eine lebhafte Diskussion über die Leistbarkeit eines konstruktiven Journalismus im Redaktionsalltag und seine Vereinbarkeit mit den journalistischen Grundsätzen.


Oder soll man es lassen?

dju-Bundesvorsitzende Tina Groll mit Cindy Boden, Leon Willner, Robert Hofmann und Henriette Löwisch von der Deutschen Journalistenschule in München
Foto: Kay Herschelmann

Wie seit Jahren üblich, hatten sich wieder Schüler*innen der Deutschen Journalistenschule (DJS) mit dem Thema des Journalismustags beschäftigt. Cindy Boden, Leon Willner und Robert Hofmann stellten die Frage “Haltung im Journalismus? Oder soll man es lassen?“. Sie näherten sich dem Thema von der medienethischen, -historischen und -rechtlichen Seite und interviewten für ihren kurzen Film Lehrende der Uni München. Dabei prallten auch in der kleinen Gruppe der Filmemacher anfangs verschiedene Ansichten aufeinander: Wie neutral können Journalist*innen, die ja selbst auch eine Meinung haben, überhaupt berichten? Cindy Boden, die zu Beginn des Projekts für strikte Neutralität plädiert hatte, fasste ihre Erkenntnis aus dem Projekt so zusammen: Haltung beruhe auf den Vorgaben des Grundgesetzes, die für Journalist*innen in jedem Fall die Richtschnur sein müssen. Henriette Löwisch, Leiterin der DJS, erläuterte, dass „Haltung“ an der DJS nie ein Seminarthema gewesen sei. Das Thema werde aber bei der konkreten Projektarbeit im Team diskutiert.

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Erweiterte Grundausstattung: Helm und Personenschutz

Ein hochkarätig besetztes Podium stellte sich der Frage, was Journalist*innen von ihren Arbeitgebern angesichts der Bedrohung von rechts erwarten können und wie sich Sender und Verlage aufstellen. Denn eines ist unverkennbar: Journalist*innen, die über gesellschaftlich brisante Themen wie Migration und Rechtsextremismus berichten, sind zunehmend verbalen Attacken und tätlichen Übergriffen ausgesetzt – im Netz und „draußen“ bei der Recherche. Was kann getan werden, um Festangestellte und Freie vor physischer und psychischer Gewalt zu schützen? Unter der Moderation von Miriam Scharlibbe, stern.de, debattierten darüber Jana Hahn, Chefredakteurin bei MDR aktuell; David Whigham, Nachrichten-Chef bei n-tv; Oliver Haustein-Teßmer, Chefredakteur der „Lausitzer Rundschau“; Johannes Filous, Fotograf und Gründer des Twitter-Projekts „Straßengezwitscher“ sowie Rechtsanwalt Jasper Prigge als Medienrechtsexperte.

Filous hat keine klassische journalistische Ausbildung absolviert, er studiert Medizin und ist als Quereinsteiger zum Journalismus gekommen. Als er 2015 Zeuge wurde, wie Geflüchtete in einem Protestcamp vor der Dresdner Semperoper angegriffen und mit Parolen wie „Weg mit dem Dreck“ beschimpft wurden, merkte er, dass das Ereignis medial kaum beachtet wurde. „So etwas rührt an den Grundfesten unseres Zusammenlebens und ist unbedingt berichtenswert“, sagte sich der junge Fotograf und beschloss, selbst etwas zu tun. Im gleichen Jahr reiste er als Berichterstatter nach Freital, wo Bürger*innen und Sympathisant*innen gegen die Unterbringung von Asylbewerbern protestierten. „Das war ein schlimmes initiales Erlebnis, es war düster und bedrohlich, aber die Polizei negierte die Bedrohung total.“ Sogar einen in der Nähe explodierenden Sprengkörper habe sie ignoriert. „Das war prägend.“

Oliver Haustein-Teßmer, Chefredakteur „Lausitzer Rundschau“; Rechtsanwalt Jasper Prigge; Jana Hahn, Chefredakteurin MDR aktuell; Moderatorin Miriam Scharlibbe, stern.de; Johannes Filous, Fotograf, Straßengezwitscher und David Whigham, Nachrichtenchef n-tv (v.l.n.r.)
Foto: Kay Herschelmann

Nur noch in Teams unterwegs

Haustein-Teßmer begrüßte innovative journalistische Gründungen wie „Straßengezwitscher“, er müsse selbst oft auf frei agierende Kolleg*innen zurückgreifen. Um Journalist*innen zu unterstützen, die an heiklen Themen arbeiten, gebe es bei der „Lausitzer Rundschau“ ein Hintergrundteam. Generell schicke er zu schwierigen Terminen niemals Einzelne, sondern immer nur Teams. Auch juristisch muss sich die Zeitung zur Wehr setzen: Beispielsweise sei ein fremdenfeindlicher Verein in Cottbus regelmäßig aktiv geworden, die „Lausitzer Rundschau“ habe oft darüber berichtet. Der Verein hat dagegen ein Unterlassungsbegehren gestartet. Dafür müsse man gewappnet sein. „Die Rechten gehen mit guten Anwälten gegen uns vor.“ Teilweise sei auch die Polizei in Sachsen im Umgang mit dem Rechtsextremismus in der Vergangenheit zu nachlässig gewesen. „Dass Ermittlungsbehörden ihren Pflichten nicht nachkommen, können wir nicht akzeptieren.“

„Unterlassungsbegehren sind nichts Neues, aber zunehmend werden Einzelpersonen juristisch angegangen“, ergänzte Prigge. In seiner Praxis hat er außerdem oft mit Verleumdungen und unmittelbarer physischer Bedrohung zu tun. „Das Spektrum ist breit, wir müssen individuell schauen, wie man am besten dagegen vorgehen kann.“ Dabei hätten es freie journalistische Einzelkämpfer schwerer als Journalist*innen, die einen großen Apparat wie den Öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Rücken haben.

Schläge und Reizgasattacken

Jana Hahn betonte, dass auch dem Öffentlich-rechtlichen Rundfunk keine roten Teppiche mehr ausgerollt werden, wie es in den ersten Jahren nach der Wende der Fall war. Im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise habe sich ein tiefgreifender Wandel vollzogen, Kolleg*innen würden sowohl verbal angegriffen als auch tätlich attackiert. Es habe Ohrfeigen, Schläge und Reizgasattacken gegeben, Kameraleuten wurde die Kamera entrissen, ein Kollege sogar eine Treppe hinuntergestoßen. Seit 2015 sehe sich der Sender teilweise gezwungen, den Reporter*innen Personenschutz an die Seite zu stellen. Inzwischen habe man etliche Maßnahmen getroffen: Bei Pegida-Demonstrationen gelte die Helmpflicht, in Workshops werden Kolleg*innen auf Anfeindungen vorbereitet. Außerdem habe man ein Anzeige-Formular entwickelt, um schnell juristisch tätig werden zu können. Zwischenzeitlich habe sich die Intendanz an die Staatskanzleien gewendet, in allen MDR-Bundesländern wurden „runde Tische“ initiiert, um gegenzusteuern. Die Verfahren seien jedoch meist im Sande verlaufen.

Auch für n-tv ist die Frage, wie Journalist*innen geschützt werden können, dringlich geworden. „Immer öfter entscheiden wir uns für den Einsatz von Personenschützern“, so Whigham. „Viele Kolleginnen wollen das eigentlich nicht, sie fühlen sich dadurch in ihrer Bewegungsfreiheit eingeengt, außerdem sind sie so sehr schnell erkennbar.“ Dennoch habe es sich manchmal als bitter nötig erwiesen. Während früher vor allem Einsätze in ausländischen Krisengebieten als kritisch galten, liege der Schwerpunkt inzwischen bei rechtsextremen Aufmärschen hierzulande. „Ich bin jedes Mal froh, wenn die Kolleg*innen wieder heil zuhause sind, das liegt in meiner Verantwortung als Arbeitgeber.“ In manchen Situationen mussten Journalist*innen einen Dreh abbrechen, weil es für sie zu gefährlich wurde. „Die Entscheidung, ab wann eine Arbeit nicht mehr möglich ist, obliegt aber den Kolleg*innen vor Ort“, betonte Whigham. Aus der Redaktion heraus könne man kaum einschätzen, was passiert, immer wieder entstünden überraschende und eskalierende Situationen.

Ein eigenes Sicherheitskonzept

Johannes Filous berichtet per „Straßengezwitscher“ über Gewalt gegen Geflüchtete in Sachsen, hier mit Miriam Scharlibbe
Foto: Kay Herschelmann

Filous und seine Kollegen von „Straßengezwitscher“ haben Konsequenzen gezogen und ein Sicherheitskonzept entwickelt. So sorge man stets für eine gesicherte An- und Abfahrt und arbeite in Tandems. Außerdem habe man – orientiert an einem Konzept der „Journalism School“ – eine Trauma-Bewältigung sowie eine schnelle Rechtshilfe installiert. Zum Positiven habe sich die Zusammenarbeit mit der Polizei gewendet, diese komme, wenn auch teilweise zögerlich, zunehmend ihren Pflichten nach.

Der Umgang mit verbalen und physischen Angriffen sowie die Recherche in einem heiklen Umfeld sei auch in der journalistischen Ausbildung Thema, berichtete Haustein-Teßmer. „Wir können nicht nicht berichten, müssen aber manchmal abwägen, wie weit wir gehen.“ Weil die Rechten Journalist*innen nicht mögen, greife man auch auf Informant*innen zurück. Zum Teil frage man vor bestimmten Veranstaltungen bei der Polizei an und warne Kolleg*innen entsprechend vor. „Die Rechten führen Listen unliebsamer Journalist*innen. Bei denen wurden schon Scheiben eingeworfen und Wände beschmiert.“ Auch die Redaktion selbst habe schon „Besuch“ erhalten, der Diffamierungen á la „Lügenpresse“ hinterließ und Reporter konkret bedrohte. Früher sei das Verlagshaus frei zugänglich gewesen, inzwischen wurden Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Haustein-Teßmers ist sich dennoch sicher: „Publizität hilft, aber man muss heutzutage um die Freiheit kämpfen, berichten zu dürfen“. Besonders brisant sei in diesem Zusammenhang der hohe Frauenanteil in der Redaktion der „Lausitzer Rundschau“. Denn „Frauen werden massiv sexualisiert angegriffen. Das ist schlimm und pervers.“

Trainings für Feste und Freie

Für freie Journalist*innen ist die Lage besonders schwierig. Der MDR beschäftigt rund 4000 freie Mitarbeiter*innen. Dennoch werde nicht unterschieden, ob man Freie oder Feste zu heiklen Einsätzen rausschickt, sagte Jana Hahn. Allerdings beauftrage sie in solchen Fällen keine Video-Journalisten mehr, die allein agierend besonders angreifbar seien. Man sei sich bewusst, dass die Rechtslage unterschiedlich ist; sozialversicherungspflichtig Beschäftigte seien besser geschützt. Vorbereitende Workshops, Trainings etc. stünden jedoch allen offen. Auch habe sich in den letzten Jahren die Zusammenarbeit mit der Polizei verbessert.

Dass Bedrohungen nicht nur im Zusammenhang mit konkreten Aufträgen an der Tagesordnung sind, sondern auch vorkommen, wenn Journalist*innen längere Zeit an einem Thema arbeiten, erklärte Prigge. Leider bestehe dann wenig Handhabe. Für einzelne freie Kolleginnen seien die Möglichkeiten, sich im Vorhinein zu schützen, begrenzt. Die Strafanzeige sei ein Weg, den er aber auch kritisch sehe: „Sie ist kein Heilmittel für gesellschaftliche Prozesse und Schieflagen.“ Insgesamt komme der Staat seiner Schutzpflicht zu wenig nach, Verfahren etwa zu Übergriffen von Polizist*innen werden allzu oft ohne Gerichtsverfahren eingestellt.

Zusammenarbeit von Medien und Pädagogen

Fragen aus dem Plenum gab es jede Menge
Foto: Kay Herschelmann

Aus dem Publikum kamen im Anschluss Hinweise, es sei eine Illusion, dass im Westen alles besser ist. Eine Kollegin berichtete von Recherchen für eine Sendung über Reichsbürger: Sie sei im Amtsgericht München von einem „Fanclub“ verbal attackiert und massiv bedrängt worden. „Direkt unter den Augen der Polizei, die nichts getan hat. Ich habe mich vom Staat alleingelassen gefühlt.“

In der Diskussion wurde auch eine stärkere präventive Zusammenarbeit von Medien und Pädagogen angeregt. Bei der „Lausitzer Rundschau“ und bei n-tv existieren dafür Teams, die Schulbesuche machen. Leider würden diese bisher zu wenig angefragt. „Aber, wenn es den Schulen angeboten wird, ist das Interesse groß“, sagte Whigham. Beim MDR gibt es eine eigene Abteilung „Medienkompetenz“, die die Arbeit von Medien und Journalist*innen vorstellt. Filous und seine Kollegen wollen mit einer YouTube-Reihe aufklären. „Wir müssen lernen, welche Medienkanäle junge Menschen wie konsumieren“, so der selbst noch junge Medienmacher. In einer „idealen Welt“ sieht Filous hinter berichtenden Kolleg*innen ein kompetentes Social Media-Team zur Unterstützung. Dazu meint Haustein-Teßmer, dass in den Redaktionen Social Media oft zu geringgeschätzt werde. Bei der „Lausitzer Rundschau“ kümmere sich der Bereich „Community“ um den Kontakt zur Leserschaft. „Der hat immer sehr viel zu tun.“

In Ihrer Reihe „Journalismus Konkret“ hat die dju in ver.di einen neuen Ratgeber heraus gegeben: „Journalismus und Polizeiarbeit“


Haltung ermöglichen und Journalist*innen schützen 

Um die politischen Rahmenbedingungen, die Journalismus Haltung ermöglichen und Journalist*innen in ihrer Arbeit schützen, ging es in der abschließenden Podiumsdebatte. Cornelia Berger, dju-Bundesgeschäftsführerin, begrüßte dazu als Moderatorin zwei Landessprecher und eine Bundespolitikerin. Rudi Hoogvliet (Bündnis 90/Grüne), Sprecher der baden-württembergischen Landesregierung, berichtete von aktuellen Bemühungen, die Vielfalt der Medienlandschaft trotz wirtschaftlicher Krise zu erhalten. Das sei ein Auftrag aus dem Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg, dem man mit einem Runden Tisch und einem Medienkongress nachgekommen sei. Das Ergebnis: 68 Vorschläge, um Qualitätsjournalismus im Land zu fördern. Dazu gehöre die Unterstützung regionaler Fernsehanstalten genauso wie das Projekt ZiSCH „Zeitungen in den Schulen“, mit dem Medienkompetenz ausgebaut werden soll. In Journalistenausbildung solle ebenso investiert werden wie in Start-ups im Mediensektor – alles freilich, ohne in die journalistische Unabhängigkeit einzugreifen.

Für die Förderung von Medienkompetenz sei in Schleswig-Holstein nicht die Landesmedienanstalt, sondern der Offene Kanal mit Sitz in Kiel zuständig, erläuterte Jan Marcus Rossa (FDP), Sprecher für Medien im Landtag. Man nehme diese Aufgabe sehr ernst und erörtere mit Schüler*innen etwa die Frage, wie Fake-News in sozialen Medien erkannt werden können.

Kein Medienauskunftsrecht auf Bundesebene

Klara Geywitz vom SPD-Bundesvorstand (Mitte) mit Rudi Hoogvliet, Regierungssprecher Baden-Württemberg, Bündnis 90/Grüne (links), Jan Marcus Rossa, Sprecher für Medien im Landtag, Schleswig-Holstein, FDP und Cornelia Berger, dju-Bundesgeschäftsführerin (ganz links) Foto: Kay Herschelmann

Zum aktuellen Stand in Sachen Medienauskunftsrecht sagte Klara Geywitz, Mitglied des SPD-Parteivorstands: „Generell ist das sehr wichtig, weil es den Paragraphen 5 Grundgesetz mit Leben füllt“. Sie erinnerte an einen bereits länger zurückliegenden SPD-Gesetzesentwurf, der Auskunftsrechte in den mehr als 100 Bundesbehörden sichern sollte. Zwar stehe das Thema auch im aktuellen Koalitionsvertrag mit der CDU und damit auf der Agenda, doch befinde sich „die Bunderegierung noch in der Meinungsbildung“ dazu.

Angesprochen auf die Bestrebungen der AfD, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu zerschlagen, versicherte Hoogvliet, dass man sich in Baden-Württemberg klar dagegen stelle. Doch sei das nicht überall so, selbst in der Ministerpräsidentenkonferenz zeige sich Skepsis. Konsens zu finden sei schwierig. Dabei gingen die Angriffe nicht allein von der AfD aus. Doch solange man in manchen ostdeutschen Ländern „mit Furcht auf die Ausstrahlung von rechts“ blicke, sei die „Sache schon halb verloren“. Wenn öffentlich-rechtliche Programme nach dem Willen der AfD Bezahlfernsehen werden sollen, bedeute das ihren Tod, zeigte sich auch Amtskollege Rossa überzeugt. Obgleich vorrangig „von rechts geschossen wird“, müsse jedoch über Reformbedarf bei den Öffentlich-Rechtlichen debattiert werden können.

Er „unterstütze unabhängigen seriösen und investigativen Journalismus, wo es geht“, versicherte Hoogvliet. Doch die Frage, wie ein Bundesland den Schutz einzelner Journalisten sichern könne, mache ihn „etwas ratlos“. Wenn Medienvertreter bedroht würden, möge man ihm das persönlich melden. Er sehe „jeden Angriff auf Journalisten als Angriff auf die Demokratie“. Wie Polizei, aber auch Justiz sich bundesweit verhielten, sei – etwa im Fall von Renate Künast wegen Hasspostings – oft nicht nachvollziehbar.

Initiative zum Schutz von Journalist*innen

„Gesprächsbedarf mit der Polizei“ machte Jan Marcus Rossa aus. Die Gefahr für die Zivilgesellschaft durch Anfeindungen vom rechten Rand sei „lange Zeit unterschätzt“ worden. In Schleswig-Holstein sei eine Initiative gebildet, die Personen des öffentlichen Lebens als besonders schutzwürdig in den Blick nehme. Dazu gehörten auch Berufsträger wie Journalist*innen.

Das Prinzip der Staatsferne betonte Klara Geywitz auf die Frage, wie in Bund und Ländern Pressefreiheit gefördert und Vielfalt erhalten werden könne. Journalisten dürften nicht dem Vorwurf ausgesetzt werden, keine neutralen Beobachter, sondern „Systemvertreter“ zu sein.

Journalistische Inhalte zu fördern sei deshalb sehr kompliziert. Obwohl der politische Wille vorhanden und sogar Geld im Bundeshaushalt dafür eingestellt sei, habe man die Quadratur des Kreises, eine staatsferne Umsetzung, bislang nicht geschafft. Relativ einfach sei dagegen technische Förderung. Die Länder könnten etwa Kosten für Aus- und Weiterbildung übernehmen oder für die Satellitenausstrahlung von Lokalfernsehen. Problematischer stelle sich das angesichts des Mindestlohns und des Auflagenrückgangs bundesweit für den Vertrieb von Printmedien dar. Die Verlage erwarteten Unterstützung, „bis ihre digitalen Modelle sich rentieren“. Unter Bedingungen des abgesenkten Mindestlohns hätten die Verlage es jedoch nicht geschafft, eine digitale Transformation auf den Weg zu bringen.

Kritik am neuen Telemedienauftrag

„Ernsthafter und guter Journalismus kostet, das muss auch so sein“, zeigte sich der schleswig-holsteinische Mediensprecher überzeugt. Doch habe sich die Politik mit dem neu definierten Telemedienauftrag selbst „Knüppel zwischen die Beine geworfen“. Auf die Frage, ob Journalismus nicht gemeinnützig gemacht werden oder durch Stiftungsmodelle finanziert werden könne, zeigte sich Rudi Hoogvliet für Baden-Württemberg überfragt, da Derartiges „nicht in der politischen Reichweite von Landespolitik“ liege. In Schleswig-Holstein begrüße man alles, „was den Erhalt von Vielfalt unterstützt“. Rossa gab aber zu bedenken, dass Stiftungslösungen „nur begrenzte Handlungsrahmen“ schafften und Lösungen für das Internet ausschlössen.

Ob nicht ein harter Schnitt sinnvoll sei und statt ständiger Nachbesserungen ein grundsätzlich besseres System für neue Verbreitungswege gebraucht würde, fragte die Moderatorin. Klara Geywitz verwies auf die Regulierungshoheit der Länder, gestand aber für bundesweite Regelungen die Schwierigkeit zu, dass ein „extrem langsames System über Staatsverträge 16 zu Null vereinbart“ werden müsse. Obwohl auch er die Fahne des Föderalismus hochhalte, stelle sich für Rudi Hoogvliet „tatsächlich die Frage, ob dieses Konstrukt noch in allen Bereichen adäquat“ sei. Online-Angebote überwänden Ländergrenzen ohnehin, man solle deshalb zumindest Debatten zulassen.

Medienumgang gehört in Polizeiausbildung

In der Diskussion mit dem Plenum wurde nach dem laufenden Konzentrationsprozess speziell bei den Printmedien in Baden-Württemberg gefragt. „Wir können unterstützen, aber nicht garantieren, dass einzelne Verlage überleben und Geschäftsmodelle funktionieren“, so die eher schlichte Antwort von Hoogvliet. Der stellvertretenden dju-Vorsitzende Peter Freitag bekräftigte die Forderung, Journalist*innen in ihrer Arbeit gegen Angriffe besser zu schützen und die Rechte der Medien konsequent zu vertreten und damit die Pressefreiheit zu gewährleisten. Polizeipressestellen müssten zudem den Pressekodex anwenden. Diese Themen gehörten verstärkt in die Polizeiausbildung, betonte Freitag. Zustimmend erklärte SPD-Politikerin Geywitz: Nirgends dürften Polzisten ihre Aufgabe darin sehen, rechten Kräften oder der AfD „eine journalismusfreie Zone zu sichern“.

Solidarität mit Julian Assange

Auf den lebensbedrohlichen Zustand des Wikileak-Gründers Julian Assange und die Notwendigkeit zu handeln, wies Cornelia Berger, dju-Bundesgeschäftsführerin hin. Nichts rechtfertige den Umgang mit ihm und damit den Umgang mit der Pressefreiheit. „Wer wird noch Verantwortung übernehmen und Informationen leaken, sich als Quelle einem Medium anvertrauen, wenn zu befürchten ist, dass die Auslieferung in die USA und Anklagen drohen. Wenn psychische Folter droht?, fragte sie. „Ich bitte daher, lasst uns ein Signal für die Freilassung und für das fallen lassen aller Anklagen gegen Julian Assange senden an die Politik in Deutschland, an die EU, an die britische Regierung, als Signal für eine starke und unangreifbare Pressefreiheit!“ Das fand breite Zustimmung durch die Teilnehmer*innen des Journalismustages.

Haltung ist auch in Tarifverhandlungen gefragt

dju-Bundesvorsitzende Tina Groll und Stellvertreter Peter Freitag
Foto: Kay Herschelmann

„Nicht wegsehen, sondern gegenhalten, nicht nachgeben, sondern alles geben für Qualitätsjournalismus“, forderte Tina Groll zusammenfassend am Ende des Tages. Dafür notwendig seien „gute Arbeitsbedingungen für Journalist*innen und die entsprechenden rechtliche Rahmenbedingungen“, betonte die dju-Vorsitzende auch mit Blick auf die anstehenden Tarifverhandlungen für Zeitungsredaktionen. Stichwort für Peter Freitag: Auch wenn es um die eigenen Arbeitsbedingungen gehe, sei Haltung gefragt, betonte er. Bewiesen hätten das im vergangenen Jahr die Kinobeschäftigten ebenso wie die Beschäftigten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit ihren Streiks für bessere Tarifverträge. „Deshalb engagiert Euch! Lasst uns gemeinsam Haltung zeigen in der anstehenden Tarifauseinandersetzung in Zeitungsverlagen.“


Und das sagt das Publikum:

 

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