Der Shutdown hat hierzulande vor allem Selbstständige kalt erwischt. Die Bundesregierung stellt 50 Mrd. Euro für die „Soforthilfe für Solo-Selbstständige und Kleinstbetriebe“ bereit. Leider zu kurz gegriffen, viele Betroffene bleiben außen vor. Und bei den Landeshilfen kocht jeder sein eigenes Süppchen. Unterm Strich: Vieles geht an der Arbeitsrealität der Selbstständigen vorbei. ver.di fordert ein „passgenaues Hilfspaket“.
Solo-Selbstständige, etwa Künstler*innen oder Journalist*innen, sind Auftragsakquisiteur, Inhalteproduzentin, Vermarkter und Buchhalterin in einem und das quasi ohne Unterbrechung. Denn: An jedem Tag krank, frei oder Urlaub läuft nichts in die Einkommenskasse. In der Coronakrise wurde so mancher und mitunter über Nacht von hundert auf null Prozent Beschäftigung gesetzt. Keine Veranstaltung: kein Technikaufbau, keine Öffentlichkeitsarbeit, keine Berichterstattung …. Stop am Filmset: keine Maske, kein Licht, kein Ton, kein Schauspiel … Allein oder in kleinen Netzwerken arbeitende Freie betreiben in der Regel ein Homeoffice, oft ohne extra Arbeitszimmer, fahren selten Dienstwagen, der Computer ist abgeschrieben – das Honorar wird für die laufende Miete und den Lebensunterhalt genutzt. Privates und Geschäftliches durchmischen sich. Notwendige kleine Investitionen werden getätigt, nicht selten unter Verzicht auf Urlaub!
All das sollte man als Politiker*in wissen, noch dazu, da Medien- und Kulturschaffende ebenso wie ver.di und andere Gewerkschaften sowie Berufsverbände in den letzten Wochen immer wieder darauf aufmerksam gemacht haben. Da verwundert es schon, wenn die Politik diese Kleinst“unternehmen“ anderen Betrieben gleichsetzt und darauf pocht, in Anträgen lediglich „explizit liquiditätsmäßige Belastungen“, sprich laufende Betriebsausgaben, anzugeben. Nur diese sollten ersetzt werden. So geschehen bei den Bundeshilfen im März, die noch bis Ende Mai beantragt werden können. Für viele Solo-Selbstständige liefen sie ins Leere.
Deshalb werde es jetzt „Zeit, Pläne vorzulegen, wie die Corona-bedingten Einkommensverluste von Solo-Selbstständigen in Zukunft kompensiert werden sollen“, mahnt Christoph Schmitz. „Eine Einkommenshilfe für Solo-Selbstständige muss sich zukünftig viel passgenauer an ihrer Lebens- und Arbeitsrealität ausrichten“, fordert das ver.di-Bundesvorstandsmitglied von den Wirtschafts- und Finanzministerien von Bund und Ländern. Es gelte, ein „Hilfsprogramm für Solo-Selbstständige aufzusetzen“, das die beschriebenen Besonderheiten ihrer Arbeit berücksichtige „und bei dem die Hilfen unbürokratisch, bedarfsgerecht und schnell fließen“.
Einheitliche Regelungen: Fehlanzeige
Auch die Länder waren von Anbeginn der Coronakrise aufgefordert, zu unterstützen. Das tun sie, allerdings sehr unterschiedlich! Die Apelle, auch an den Bund gerichtet, einheitliche Regelungen zu finden, blieben bis heute ungehört. Berlin hatte ab März 5000 Euro Soforthilfe an Selbstständige und Kleinunternehmen mit bis zu fünf Angestellte über ein unkompliziertes Antragsverfahren verteilt. Nutzbar für alle Ausfälle, auch des Honorars und somit der Lebenshaltungskosten. In Baden-Württemberg können 1180 Euro monatlich als „fiktiver Unternehmerlohn“ beantragt werden. NRW zog – auf Druck – im Mai nach und erkannte für März und April jeweils 1000 Euro für private Ausgaben an, quasi als Honorarausfall. Begrüßenswert, jedoch „völlig unzureichend“, bewertet Christof Büttner, Landesfachbereichsleiter Medien, Kultur und Industrie ver.di NRW diese „notdürftige Lösung“ für zwei Monate. Denn „schon im Mai treibt die Landesregierung massenhaft Solo-Selbstständige in den Bezug von ALG II. Hier muss sie dringend nachbessern“, betonte Büttner.
In einem Offenen Brief vom 22. Mai an den Ministerpräsidenten Niedersachsens, Stephan Weil, und an den Bürgermeister Bremens, Dr. Andreas Bovenschulte, drängt ver.di, Solo-Selbstständige „angemessen zu unterstützen“. ver.di verweist auf die „mittlerweile existenzbedrohlichen Auswirkungen“ für viele Solo-Selbstständige im dritten Monat des Corona-Shutdowns. In den beiden Ländern Niedersachsen und Bremen bleibe Solo-Selbstständigen aufgrund ausgelaufener Landesprogramme nur der Weg in Hartz IV. »Oft nicht einmal das, wenn sie in einer Bedarfsgemeinschaft leben«, so Ute Gottschaar, stellvertretende ver.di-Landesleiterin. Andere Bundesländer wie Baden-Württemberg oder Hamburg hätten eigene Hilfsprogramme für Selbstständige aufgelegt. Ute Gottschaar appelliert in ihrem Schreiben daher eindringlich an Bovenschulte und Weil: „Wann gehen Niedersachsen und Bremen auch diesen guten Weg?“
Hamburg: Auch nach Wochen noch kein Geld
Der Gang ins Jobcenter, um ALG II (Hartz IV) zu beantragen, fällt nicht leicht, umso mehr, wenn man bisher seinen Lebensunterhalt „selbst“ und „ständig“ erfolgreich erarbeitet hat. Von der Politik war für diese Fälle in der Coronakrise ein vereinfachtes Verfahren ohne Vermögensprüfung beschlossen worden. Die Realität sieht leider in einigen Jobcentern anders aus. Ein krasses Beispiel liegt M aus Hamburg vor. Zunächst konnte der Antrag der Solo-Selbstständigen Beate Schwartau auf Zuschuss für Kleinstunternehmer an die Investitions- und Förderbank Hamburg wochenlang aufgrund komplizierter Verifizierungsanforderungen nicht bearbeitet werden. Nun machte man ihr Hoffnung, dass das Geld in etwa 6 bis 8 Wochen ausgezahlt werden könne.
Weil Mittel aus dem Bundeszuschuss für Kleinstunternehmer nicht für Miete, Lebenshaltungskosten und ähnliches, sondern nur für Betriebsausgaben verwendet werden dürfen, musste Beate Schwartau ALG II beantragen. Von einem vereinfachten Zugang zur Grundsicherung in Coronazeiten hat man im Hamburger Jobcenter offenbar noch nichts gehört. Die Unternehmensberaterin wird streng geprüft, ertrinkt in einer Flut von Formularen, die sie einzureichen hat. Es zieht sich hin. Ein Knackpunkt: ihre studierende Tochter lebt bei ihr und wird wie eine Partnerschaft gewertet. Letztlich wird Beate Schwartau ein Drittel der Leistungen bewilligt, keine Krankenversicherung, keine Miete. Nun zieht sie vor das Hamburger Sozialgericht.
Für sie sei das Hamburger Modell der Hilfe für Solo-Selbstständige gescheitert, sagt Beate Schwartau: „Ich habe einen Rechtsanspruch sowohl auf den Zuschuss, als auch einen Sofortanspruch auf ALG II ohne Vermögensprüfung. Wir sind berechtigte Antragsteller, keine Bettler. Was ich erlebe, ist ein Im-Stich-gelassen-Werden in großem Stil“. Kaum nachvollziehbar dabei der Umgang des Jobcenters mit ihr. Sie hat keine direkte Ansprechpartner*in im Jobcenter. Eine angegebene Telefonnummer, führe zu „freundlichen, sie bedauernden Bearbeiter*innen“, „die immer wieder weiter verbinden – bis ich aus der Leitung fliege“. Das i-Tüpfelchen dieser Odyssee: Dass ihr ALG II Antrag bewilligt worden ist, erfährt sie am 22. Mai aus der taz und auch in der Hamburger Morgenpost wird später online berichtet, dass eine Pressesprecherin des Hamburger Jobcenters mitgeteilt habe: „Das Jobcenter Hamburg hat das beantragte Arbeitslosengeld II von Beate Schwartau am 18. Mai auf ihr Konto überwiesen.“ Sie selbst hatte zu diesem Zeitpunkt weder den Bescheid noch Geld auf dem Konto erhalten (letzteres bis zum 25. Mai nicht).
Bayern: Für viele Freie noch keine Lösung
Völlig unbefriedigend ist die Unterstützung von Solo-Selbstständigen im Freistaat Bayern. Vorgeprescht mit dem bundesweit ersten, scheinbar einfachen, Antragsformular für Soforthilfen, setzte bei den Betroffenen schnell Ernüchterung ein. Denn auch diese Hilfe war nur auf die Betriebskosten fixiert. Mit einem kulturellen Rettungsschirm besserte die bayerische Staatsregierung nun endlich in der vergangenen Woche nach. Neben den Künstler*innen, die in die Künstlersozialkasse einzahlen, sollen nun auch weitere Kreative Anspruch auf Unterstützung bekommen. Dazu zählen auch freiberufliche Journalistinnen, Techniker, Maskenbildnerinnen und Kameraleute. Damit steige der Kreis der Berechtigten im Freistaat von 30.000 auf 60.000 Menschen, erklärte Luise Klemens, Landesbezirksleiterin von ver.di Bayern. Mehr als enttäuschend sei jedoch, dass für viele Solo-Selbstständige auch jetzt wieder keine Lösung gefunden wurde. Heilpraktikerinnen, Dozenten und Beraterinnen gingen beispielsweise immer noch leer aus und würden auf Hartz IV verwiesen. Hier erwarte ver.di weitere Nachbesserungen.
Zur Künstlerhilfe in Bayern ein Kommentar von Heinz Wraneschitz
Ein Minister kreißte und gebar ein Nichts
Die lang erwartete Künstler-Hilfe in Bayern kann seit letzter Woche beantragt werden: Für einen Großteil der Betroffenen ist sie ein Flop. Und das Nichtvorhandensein von Förderbedingungen wirft zusätzliche Fragen auf.
Genau vier Wochen haben Bayerns Kunstminister Bernd Sibler (CSU) und seine Ministerialbeamt*innen gehirnt über der „Künstlerhilfe Corona“. Drei Mal 1000 Euro Unterstützung für Kreative ohne eigene Betriebsstätte hatte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am 21. April in einer Pressekonferenz angekündigt. Und das Kunstministerium hat Siblers zentrales Versprechen tatsächlich eingelöst: „Noch im Mai“ werde die Förderung online zu beantragen sein.
Ja, das stimmt. Am 19. Mai ist die Webseite kuenstlerhilfe-corona.bayern online gegangen. Aber sofort danach ging im Internet ein Protesthagel derer los, die auf Söders und Siblers Hilfeversprechen vertraut hatten: Freiberufler aus Medien, Musik, Kabarett und vielen anderen Berufsgruppen.
Ein Arnd R. beispielsweise schrieb auf Facebook: „Wer Soforthilfe beantragt, aber keine bekommen hat – und ich kenne eine Menge Kolleg*innen, denen es so ging – tja, Pech gehabt!“ Denn schon im ersten Absatz des Formulars steht klipp und klar: „Künstlerinnen und Künstler, die eine andere Soforthilfe Corona des Freistaates Bayern oder des Bundes oder Leistungen zur Grundsicherung (SGB II oder SGB XII) erhalten oder beantragt haben, sind von einer Antragstellung ausgeschlossen.“
Genau dazu aber, einen Corona-Soforthilfe-Antrag via Wirtschaftsministerium zu stellen: Dazu hatten die Regierenden ja alle Soloselbstständigen aufgefordert, denen durch die Pandemie-Regeln ihre Arbeit untersagt worden war. Viele haben das schon Ende März getan. Und genau das wird ihnen offensichtlich jetzt zum Verhängnis: Selbst wenn dieser Antrag abgelehnt worden ist, dürfen sie jetzt keinen neuen mehr stellen.
Zwar hatte der Minister ganz schnell auf Facebook erklärt, das stimme so nicht. Er, Bernd Sibler höchstselbst verbürge sich dafür: Auch nicht Bedachte anderer Programme dürften trotz Förderantrag dort nun auch im Kunstministerium einen Antrag einreichen. Selbst eine Woche später steht das noch so im Haupttext auf der Seite kuenstlerhilfe-corona.bayern. Weiter unten dagegen ist in Kursivschrift zu lesen: Der obere Satz stimme so nicht. Aber was stimmt jetzt wirklich?
Als mindestens genauso fatal empfinden es die offiziell ja staatlich aufgeforderten potenziellen künstlerischen Empfänger*innen der neuen Hilfe: Es gibt bislang weder eine „Bedienungsanweisung“ für das Online-Formular, noch sind die Förderbedingungen irgendwo niedergeschrieben. Auch wir bekamen auf unsere dringende Bitte hin keine Unterlagen, sondern – ebenfalls am 22. Mai nach 16 Uhr die schriftliche Bestätigung einer Ministeriumssprecherin: „Noch sind die Förderbedingungen nicht veröffentlicht, selbstverständlich informieren wir Sie gerne, sobald dies der Fall ist.“ Heißt: Ein Förderprogramm ohne Förderbedingungen. Ob das rechtlich haltbar ist, könnten Gerichte zu prüfen haben.
Trotzdem haben innerhalb weniger Tage über 4000 Kreative beim Ausfüllen des Online-Antrags die „Hosen runtergelassen“, also die persönlichen Verhältnisse offengelegt. Dabei weiß niemand, worauf er oder sie sich tatsächlich einlässt, wenn der Antrag abgeschickt wird.
Und über das neue Programm urteilen einige sarkastisch: Vier Wochen kreißte Minister Sibler mit einem Hilfsprogramm – und er gebar ein Nichts.