„Lügenpresse halt die Fresse” – solche Hass- und Schmährufe bekommen längst auch Reporter auf Sportplätzen und in Fußball-Arenen zu hören. Sportjournalisten gelten nicht unbedingt als sonderlich kritisch. Zu große Nähe zu Verbänden und Klubs, zu anfällig für Gefälligkeiten – so lauten einige der häufig erhobenen Vorwürfe.
Es geschah beim DFB-Pokalspiel zwischen Dynamo Dresden und Borussia Dortmund. Marcel Reif, Sportreporter des Bezahlsenders Sky war auf dem Weg zu seinem Kommentatorenplatz. „Plötzlich flogen Bierbecher an mir vorbei, und ich sah Leute über mir hinter der Glaswand. Die Gesichter waren hasserfüllte Fratzen, spuckend und geifernd. Solchen Hass habe ich ehrlich gesagt zuvor noch nicht erlebt”, berichtete Reif später in einem Gespräch mit der Welt. Dass Fans gelegentlich ausrasten und pöbeln, kam auch früher immer mal wieder vor. Neu ist die Militanz, mit der radikalisierte „Fans” im Schutze der anonymen Masse Journalisten attackieren, gelegentlich auch körperlich. Das bekam im Umfeld des Ruhrpott-Derby zwischen Schalke 04 und Borussia Dortmund ein ZDF-Team zu spüren, als es mit Böllern beworfen wurde. Eine Tonassistentin erlitt dabei Brandwunden am Bein.
ZDF-Kommentator Béla Réthy mag solche Vorfälle nicht dramatisieren. Er selbst ist regelmäßig Objekt wüster Shitstorms im Netz, wird beschimpft von TV-Konsumenten, die sich für die einzig wahren Experten halten. Er nehme das inzwischen hin „wie jeden Tag die Wettermeldungen”, gibt sich der ZDF-Mann gelassen. Sky-Sportchef Burkhard Weber dagegen hielt nach den Angriffen auf Marcel Reif die Grenze für überschritten: „Wir Journalisten, und da schließe ich auch die Hörfunk- und Printkollegen mit ein, sind kein Freiwild – nur weil irgendeinem Fan ein Kommentar zu seinem Fußballverein nicht passt.” Manche Fans erwarteten offenbar, dass sich Kommentatoren und Reporter wie „Fans mit Stift und Mikro” verhielten.
Widersprüchliches Image.
Warum haben Journalisten so ein schlechtes Image? In einschlägigen Rankings liegen sie, da machen auch Sportreporter keine Ausnahme, auf den unteren Plätzen, dicht gefolgt von Politikern. Während politische Reporter oft als zu angepasst oder unkritisch empfunden werden, haben Sportjournalisten ein widersprüchliches Image: Den einen gelten sie als zu kritisch, zu illoyal, als diejenigen, die immer einen Haken an einer Geschichte suchen, im Zweifel einen Doping-Skandal. Für andere wiederum erscheinen sie als Vertreter einer Spezies, die zu wenig Distanz zum Gegenstand ihrer Berichterstattung halten, als „verkappte Fans”, die es irgendwie über die Absperrung geschafft haben. An beidem ist etwas dran.
Der Sport, namentlich der Hochleistungssport braucht die Medien, und die Medien brauchen den Sport. Sportler und Vereine steigern ihren Marktwert und die Sender hofieren erfolgreich Athleten als Quotenbringer. Am Beispiel des Radsports konnte man jahrelang exemplarisch beobachten, wie groß die Versuchung ist, erfolgreiche Athleten kritiklos zu nationalen Helden hochzujubeln, wenn es dem Marktanteil oder der Verkaufsauflage dient. Erinnert sei an den Sündenfall der ARD, ihre jahrelange enge Verquickung mit dem „Team Telekom” und dessen einstigen Star Jan Ullrich. So sponserte der Sender die Radprofis von T-Mobile, verlängerte einen Exklusivvertrag mit Ullrich selbst dann noch, als längst ein hinreichend begründeter Doping-Verdacht auf ihm lastete. In der Erwartung, vom Ruhm des Radlers zu profitieren, investierte die ARD sogar Gebührengelder, um ihr Logo auf den Trikots von Team Telekom zu platzieren. Gestoppt wurde der Deal erst, als bereits ein gravierender Glaubwürdigkeitsverlust eingetreten war. Nicht zuletzt unter dem Eindruck dieses Skandals entstand seinerzeit beim WDR Fernsehen „Sport Inside”, ein wöchentliches halbstündiges TV-Format mit kritischer Hintergrundberichterstattung. Es waren investigative Reporter von „Sport Inside”, die den Dopingfall Ullrich systematisch aufarbeiteten – eine späte Wiedergutmachung des Senders für die langjährige Kumpanei mit der Telekom. Die WDR-Sportredaktionen verabschiedeten obendrein eine Selbstverpflichtungserklärung, in der sie sich zu einer qualitätsbewussten und unabhängigen Berichterstattung bekannten. Unter anderem heißt es da: „Der WDR sponsert keine Wettbewerbsteilnehmer. Wir als BerichterstatterInnen gehen keine Geschäfte mit Akteuren des Sports ein – insbesondere nicht mit Sportlern, Vereinen, Sportverbänden und Sportsponsoren.”
Wie schmal der Grat zwischen hehren Vorsätzen und den ökonomischen Gesetzen des Gewerbes ist, zeigte sich auch bei der diesjährigen Tour de France. Erstmals seit 2012 wagte sich die ARD wieder an eine Liveübertragung, als „Presenter” gewann man den Kochplattenproduzenten Bora. Normalerweise ein eher unwichtiges Detail, aber: Dasselbe Unternehmen nahm gleichzeitig als Namenssponsor des deutschen Rennstalls „Bora-Argon 18” an der Tour teil. Das Objekt der Berichterstattung als Sponsor dieser Berichterstattung? Das sei so ähnlich, „als würde die Elefantenrunde nach politischen Wahlen eingeleitet mit: ‚Diese Sendung wird präsentiert von CDU und SPD’”, kommentierte der Tagesspiegel.
Versierter Rechercheur wechselt die Seiten.
Mitunter gibt es erstaunliche Personalrochaden. Im April trat der langjährige Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung Christopher Keil seinen neuen Job beim FC Bayern München an: die neu geschaffene Position des Leiters Public Affairs. Keil soll demnach künftig „den Vorstand bei der Gestaltung von relevanten gesellschaftlichen Themen unterstützen”. Was immer das bedeuten mag: Mit Keil wechselte ein versierter Rechercheur, der zuletzt im Investigativ-Ressort unter Leitung von Hans Leyendecker arbeitete, die Seiten.
Akribische Recherche, selbst allzu kritisches Nachfragen sind im Sportjournalismus nicht unbedingt die Regel. Und wenn es dann doch mal passiert, kommt es gelegentlich zu Kollisionen. Wie beim berühmtesten Zoff des Fußballjahres 2014, als nach dem glücklichen 2:1-Sieg über Algerien der deutsche Abwehrhüne Per Mertesacker ZDF-Reporter Boris Büchler rüde abmeierte („Was wollnse?” „Is’ mir völlig wurscht!”). Ein Verbalgefecht, das auf Youtube mittlerweile an die vier Millionen Mal geklickt wurde. Nicht unbedingt ein typisches Beispiel für den Umgang zwischen Sportlern und Berichterstattern, aber doch ein Indikator dafür, dass sich das Machtverhältnis zwischen beiden Parteien verschoben hat. Es traue sich kaum noch jemand, einen Spitzensportler hart anzugreifen, weil er als Konsequenz keinen Zugang mehr zu ihm bekomme, urteilte unlängst Professor Thomas Schierl, Geschäftsführender Leiter des Instituts für Kommunikations- und Medienforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln. „Unliebsame Journalisten kann man im Sport komplett aushungern, und das wird auch ganz konsequent gemacht.” Der Spitzensport steuere über seine Gunst sehr genau, wie Journalisten sich zu verhalten hätten.
Auch die Athleten stehen unter Druck. Medienschulungen sollen dazu beitragen, dass unerfahrene Jungspieler sich gegenüber den Kommunikationsprofis nicht verplappern. Das Ergebnis ist eine Stilblütensammlung der immer gleichen sprachlichen Versatzstücke („von Spiel zu Spiel denken”, „müssen unsere Leistung abrufen”, etc.), die die Feldreporter nach jeder Bundesligapartie einsammeln. Wie groß das Misstrauen vieler Sportler gegenüber den Berichterstattern inzwischen ist, belegt auch die jüngere Praxis, bei Gesprächen auf dem Spielfeld oder auf der Ersatzbank die Hand vor den Mund zu halten – ein Selbstschutz gegen speziell geschulte Lippenleser, die unbotmäßige Sprüche oder taktische Weisungen an die Medien weitergeben und Spieler auf diese Weise kompromittieren.
Den Rest erledigt der Markt. Das lässt sich im Fußball, aber auch in anderen populären Sportarten gut an der Interviewpraxis nach Bundesliga- oder Länderspielen ablesen. In der „Mixed Zone” herrscht eine klare Hierarchie, die sich an der Wertigkeit der jeweiligen Übertragungsrechte orientiert: Zuerst kommt der Hauptzahler und Pay-TV-Sender „Sky”, dann ARD und ZDF. Auf der anschließenden Pressekonferenz für alle werden die gefüttert, die gar nichts zahlen – das sind vor allem die Printmedien. In der englischen Premier League werden Interviewtermine mit Fußballspielern nahezu ausschließlich von Sponsoren ermöglicht. Dies wird zwar durch einen entsprechenden Hinweis am Textende transparent gemacht. Eine Garantie, dass sich der Einfluss des jeweiligen Sponsors darauf beschränkt und nicht auch inhaltliche Aspekte des Interviews tangiert, gibt es allerdings nicht.
Offene Korruption.
Gar nicht so selten erliegen Sportjournalisten den Versuchungen des Gewerbes. Dabei geht es nicht um die kleinen Gefälligkeiten, die akkreditierten Berichterstatter bei Sportevents genießen, etwa das mehr oder weniger opulente Büffet bei Bundesligaspielen. Längst greifen in der Milliarden Euro umsetzenden Branche Methoden offener Korruption um sich, die man bisher eher vom Motor- oder Reisejournalismus kannte. Das hat auch mit dem Auftreten neuer Player im Sport zu tun, etwa autoritären Regimes, die sich mit der Ausrichtung großer Events profilieren wollen.
Zum Beispiel Katar. Die Enthüllungen über menschenunwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen der Wanderarbeiter auf den Baustellen der Fußball-WM 2022 haben nicht verhindert, dass diese Diktatur eine hochkarätige Veranstaltung nach der anderen an sich zieht. Zur Handball-WM der Männer im Januar dieses Jahres schickte das Regime, vermittelt über den von Katar gesponserten Welthandballverband (IHF), eine Einladung an Hunderte von internationalen Journalisten, über das Ereignis zu berichten. Die Kosten übernahm der Verband: Flug, Unterkunft für zweieinhalb Wochen, all inclusive. Insgesamt soll Katar für 680 der 1.711 akkreditierten Medienvertreter auf diese Weise gesorgt haben, berichtete der freie Journalist Jens Weinreich in seinem Blog.
Nach Auskunft von Oliver Kalle, dem Sprecher des Deutschen Handballbundes, seien auch „etwa 20 Medienvertreter aus Deutschland über diese IHF-Einladung vor Ort” gewesen. Klar gebe es den „Zusammenbruch des freien Marktes”, argumentierte Weinreich, „man kann darüber debattieren, dass die Honorare lausig sind und sich kaum ein herkömmliches Medium an Reisekosten beteiligt”. Das alles entbinde die Journalisten nicht von ihrer Verantwortung. Denn: „Sponsored by Katar geht gar nicht”. Entsprechende Hinweise auf dieses großzügige Sponsorship – womit zumindest ein Minimum an Transparenz hergestellt worden wäre – habe er in den betroffenen Medien nirgendwo gefunden. In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen liegt Katar auf Rang 113 von 180 gelisteten Nationen.
Breite Gegenöffentlichkeit.
So weit, so schlecht. Aber es gibt auch positive Entwicklungen. Während der 1. Europaspiele im aserbeidschanischen Baku im Juni sah sich das Regime des Despoten Ilham Alijew erstmals mit einer breiten Gegenöffentlichkeit konfrontiert. Auch hierzulande berichteten Medien von taz bis FAZ über die massiven Einschränkungen der Pressefreiheit im Umfeld der Spiele, über willkürliche Verhaftungen von Oppositionellen und andere Menschenrechtsverletzungen. Der Plan des Regimes, nach dem Eurovision Song Contest vor drei Jahren mittels eines großzügig subventionierten Sportevents eine weitere Propagandaschau abzuziehen, ging nur teilweise auf. Großen Anteil daran hatte die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen, die lange vor den Spielen die Medien über die Zustände in der Kaukasusrepublik informiert hatte. Unter dem Eindruck dieser Aufklärungskampagne verabschiedete sogar der Deutsche Bundestag eine Resolution, in der die Verletzung der Menschenrechte angeprangert wurde. Die Bundesregierung wurde aufgefordert, die Regierung in Baku zur Gewährung von Pressefreiheit für einheimische wie ausländische Journalisten und Internetaktivisten zu drängen.