Freie und Solo-Selbstständige sind in Zeiten von Corona besonders benachteiligt, weil passgenaue staatliche Hilfen fehlen. Da ist gut dran, wer sich bei beträchtlichen Umsatzeinbrüchen selbst helfen und auf eine freiwillige Arbeitslosenversicherung zurückgreifen kann. 74.000 Freie und Selbstständige, die so ein „Versicherungsverhältnis auf Antrag“ eingegangen sind, können sich noch bis Ende September zu Sonderbedingungen arbeitslos melden.
Bis dahin riskieren Versicherte auch keinen ungewollten Ausschluss. Doch werden, sofern niemand einschreitet, die Corona-Erleichterungen beim Bezug von Arbeitslosengeld 1 aus der freiwilligen Versicherung ab Oktober wieder beendet. Dabei sollten sie – wie andere sinnvolle Regelungen zur sozialen Absicherung Erwerbstätiger – besser verlängert oder dauerhaft eingeführt werden. Dass Veränderung nötig ist, gehört bei der freiwilligen Arbeitslosenversicherung für Selbstständige allerdings schon zu den Geburtsfehlern. Daran wurde in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten mehrfach herumgedoktert, zufriedenstellend geregelt ist die Absicherung bis heute nicht.
Rettungsleine bei Auftragsflaute
Doch zunächst zu den unbestreitbaren Vorteilen: Die 2006 eingeführte Möglichkeit, sich nach der Gründung eines Gewerbes oder nach Aufnahme einer freien Tätigkeit überhaupt (weiter) gegen das Risiko von Arbeitslosigkeit zu versichern, war – auch von Betroffenen und ver.di – mühsam erstritten worden. Die Versicherung diente und dient dazu, Selbstständige davor zu bewahren, bei einer erheblichen Auftragsflaute sofort in der Grundsicherung zu landen. So erworbene Ansprüche auf Arbeitslosengeld 1 bedingen keine Bedürftigkeitsprüfung oder Anrechnung von Eigentum. Während des Bezugs sind auch keine gesonderten Beiträge für die Kranken- oder Rentenversicherung zu entrichten. Lediglich über die Künstlersozialkasse Versicherte bleiben weiter dort veranlagt.
Die gesetzliche Ausgestaltung sah für die freiwillige Arbeitslosenversicherung im Vergleich zur Pflichtversicherung gegen Arbeitslosigkeit jedoch stets Besonderheiten vor: Für Selbstständige wurde die Höhe des möglichen Arbeitslosengeldes von der Beitragshöhe entkoppelt. Die Beiträge unterscheiden sich bis heute lediglich nach dem Wohnort der Versicherten in Ost und West. Die Höhe des Arbeitslosengeldes richtet sich nur nach der Qualifikation der Antragsteller, nicht nach deren vorherigen Einkünften. So beträgt das ALG bei Hoch- und Fachhochschulabsolventen (Steuerklasse 3, ohne Kinder) aktuell bis zu 1625 Euro monatlich, für Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung bis zu 1178 Euro. Da die Versicherung freiwillig ist, wirkt das Solidaritätsprinzip der Sozialversicherung hier nur bedingt.
Versicherte können sich erwerbslos melden, wenn ihr Auftragsvolumen unter 15 Stunden wöchentlich sinkt. Sie dürfen dann 165 Euro monatlich abzugsfrei hinzuverdienen oder eine bereits laufende geringfügige Beschäftigung fortführen. Vorübergehende Abmeldungen für die Erledigung größerer Projekte sind nur unter bestimmten Bedingungen möglich. Ebenso wie bei Krankheit ruht dann das Arbeitslosenverhältnis.*
Lohnt sich der Aufwand?
Für das Plus an Absicherung waren jedoch etliche Kröten zu schlicken: So ist der Zugang zu Versicherung und Leistungen von Beginn an streng reglementiert: Eine freiwillige Versicherung kann bei der Arbeitsagentur am Wohnort nur beantragen, wer in den letzten 30 Monaten (bis 2019: zwei Jahren) zwölf Monate lang pflichtversichert war oder unmittelbar vor Versicherungsbeginn Entgeltersatzleistungen – etwa Arbeitslosengeld, neuerdings auch Elterngeld – bezogen oder eine längere Weiterbildung absolviert hat. Und: Die selbstständige Tätigkeit muss spätestens nach einem Monat aufgenommen und mindestens 15 Stunden wöchentlich ausgeübt werden.
Nach einer abrupt beendeten Übergangsregelung zum Start 2006, als sich auch langjährig Selbstständige versichern konnten, gilt strikt: Die freiwillige Versicherung muss innerhalb von drei Monaten ab Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit abgeschlossen werden, danach geht nichts mehr. Die Dauer des Arbeitsgeldbezugs richtet sich nach den Versicherungsverhältnissen vor Eintritt in die Versicherung und dem Lebensalter. Personen unter 50 Jahren können maximal ein Jahr lang Arbeitslosengeld beziehen, ab 58 Jahren liegt die Höchstgrenze bei zwei Jahren.
Bewusst unattraktiv?
Nach anfänglich recht moderaten Beiträgen – die Festbeträge lagen unter 20 Euro im Monat und stiegen nur gering – änderte sich das mit neuen gesetzlichen Grundlagen im Sozialgesetzbuch III nach 2010. Innerhalb zweier Jahre wurden die Beiträge erst verdoppelt, dann vervierfacht und kletterten zeitweise über 80 Euro monatlich. Im laufenden Jahr betragen sie 72,24 Euro Ost und 76,44 Euro West, für Gründer im ersten und zweiten Jahr jeweils die Hälfte.
Neben den Kosten schlägt eine weitere gemäß § 28a SGB III eingeführte Bestimmung negativ zu Buche: Zwar können versicherte Selbstständige sich jederzeit arbeitslos melden und die erworbenen Ansprüche ausschöpfen. Doch wenn sie vor dem ALG-1-Bezug nicht abhängig beschäftigt waren, dürfen sie sich aus der Arbeitslosigkeit nicht beliebig oft vorübergehend abmelden. In der jeweiligen selbstständigen Tätigkeit sind dann allenfalls zwei Unterbrechungen möglich.
All diese Hürden kritisiert Veronika Mirschel, Leiterin des ver.di-Referats Selbstständige, als Konstrukte, „um möglichst wenige Selbstständige in die Arbeitslosenversicherung aufnehmen zu müssen und das so unattraktiv wie möglich zu machen“. Tatsächlich ist die Zahl der freiwilligen Arbeitslosenversicherungen langfristig rückläufig. Waren 2013 noch 145.000 Selbstständige und Freie versichert, sank die Zahl bis 2017 auf 81.000, aktuell auf 74.000.
Für alle zugänglich machen
In der momentanen Krise hilft die Rettungsleine gegen Arbeitslosigkeit dennoch Tausenden. Die Statistik der Bundesanstalt für Arbeit weist aus, dass sich 2020 von April bis Juni 29.000 Menschen arbeitslos meldeten, die zuvor selbstständig tätig waren. Im April und Mai bedeutete das eine Steigerung von 44 Prozent gegenüber 2019. Die Bezieher*innen von Arbeitslosengeld profitieren zudem gegenwärtig von „Lockerungen“. Das betrifft die vereinfachte Online-Meldung bei Ämtern und Jobcentern sowie die im „Sozialschutzpaket 2“ beschlossene drei Monate längere Bezugsdauer von ALG 1 unter Corona-Bedingungen. Außerdem gilt eine Ausnahme bei den Unterbrechungen: Das übliche Verfahren, wonach Arbeitslosengeld für Selbstständige auf zwei Auszahlungen während einer „zu dieser Versicherungspflicht führenden Tätigkeit“ begrenzt ist, wurde bis Ende September 2020 ausgesetzt. Auf Intervention von ver.di beim Bundesarbeitsministerium können sich alle Freien und Selbstständigen, die innerhalb der letzten zwölf Monate bereits einmal Arbeitslosengeld bezogen und wegen der Corona-Auswirkungen erneut ALG 1 beantragt haben, danach nochmals freiwillig versichern, ohne ausgeschlossen zu werden.
Was angesichts der Pandemie befristet gewährt wird, sollte zur besseren sozialen Absicherung von Freien und Selbstständigen auch dauerhaft möglich sein. Zudem fordert die ver.di-Bundeskommission Selbstständige schon seit Längerem, die freiwillige Arbeitslosenversicherung, die bisher „zwar theoretisch möglich“ sei, auch für alle Versicherungswilligen zu öffnen, denen sie bislang versperrt bleibt – langjährig Selbstständigen oder denen, die keine Arbeitslosengeldansprüche aus einer vorangegangenen Beschäftigung nachweisen können. Die ver.di-Selbstständigen wollen, dass sich künftig Beiträge und Leistungen wie bei anderen Arbeitnehmer*innen am realen Erwerbseinkommen bemessen. Und schließlich fordern sie, dass das unsägliche Prinzip, „wer zweimal Leistungen in Anspruch nimmt, fliegt raus“ ganz abgeschafft wird.
*Nachtrag vom 12. 10.2020:
Eine Leserin wies darauf hin, dass die Aussage über die vorübergehende Abmeldung und deren Verknüpfung mit dem Bezug von Krankengeld für Missverständnisse sorgen können. Das trifft zu. Die Autorin stellt deshalb klar:
Alle Leistungsempfänger*innen, die vor dem ALG-1-Bezug angestellt waren, können sich für größere Aufträge vorübergehend bei der Arbeitsagentur abmelden. Nach der Erledigung von zeitlich begrenzten Projekten ist dann lediglich ein Wiederbewilligungsantrag zu stellen.
Für diese Zwischenzeit einer befristeten Abmeldung muss man sich jedoch selbst sozialversichern. KSK-Versicherten ist das durch die Meldung auf einem entsprechenden Formblatt relativ problemlos möglich.
Im Unterschied dazu ruht die Pflichtversicherung auf Antrag, wenn zwischenzeitlich andere Versicherungsleistungen bezogen werden, etwa Krankengeld, Mutterschafts- oder Erziehungsgeld. Sie ruht auch, wenn Selbstständige ein vorübergehendes Arbeitsverhältnis eingehen. Die Versicherung lebt danach unbürokratisch wieder auf. Das gilt klassischerweise etwa für Schauspieler*innen, die zwischen selbstständigen Tätigkeiten und (Arbeitnehmer-)Engagements bei Film oder Theater wechseln.