Privatfunk: Melden ehe der Kragen platzt

Das Gebäude der Landesmedienanstalt des Saarlandes. Foto: LMS

Vermeintliche Verstöße gegen den Jugendmedienschutz oder fehlende Werbekennzeichnungen im Privatfunk oder auf Onlineplattformen, können auf www.programmbeschwerde.de gemeldet werden. Man kann zu den Angeboten Fragen stellen oder Kritik loswerden. Die Anzahl der Einreichungen hat zugenommen. Das Portal wird im Auftrag aller Landesmedienanstalten in Deutschland von der Landesmedienanstalt Saarland (LMS) betrieben.

Zunächst ein Beispiel: Eine Programmankündigung für die US-amerikanische Krimiserie „Gotham“ bereitet die Zuschauer*innen auf das vor, was sie später erwartet: Knappe Sequenzen zeigen korrupte und kriminelle Bewohner von Gotham City, genretypische Polizeieinsätze und Verfolgungsjagden, drastische Gewaltdarstellungen und Folterandeutungen. So weit, so normal – eigentlich. Ungewöhnlich jedoch: Der Trailer wird im Tagesprogramm von ProSieben um 13:24 Uhr ausgestrahlt, zu einer Zeit, wo nicht nur Hardcore-Krimifans, sondern auch und vor allem Kinder und Jugendliche vor den Bildschirmen sitzen. So gesehen bei ProSieben. Ein typischer Fall für das Portal Programmbeschwerde: Eine eingereichte Beschwerde wurde geprüft und an die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) der Landesmedienanstalten weitergeleitet. Die befand den Trailer geeignet, „Kinder und Jugendliche unter zwölf Jahren in ihrer Entwicklung zu beeinträchtigen.“ Die Sendezeit für weitere Ausstrahlungen der Programmvorschau wurde auf die Zeit zwischen 20:00 und 6:00 Uhr begrenzt.

Über die Jahre hat die Zahl der Menschen, die sich an das Portal wenden, zugenommen: Nach dem Start im Jahr 2004 gingen zunächst jährlich im Schnitt ca. 1.000 Beschwerden bzw. Fragen ein. Inzwischen hat sich die Zahl mehr als verdoppelt: Im Rekordjahr 2018 gab es 2.122 Einwendungen, im letzten Jahr 2.058. Konkret waren das 192 Fragen allgemeiner Art, 545 Beschwerden zu bestimmten Sendungen privater Rundfunkveranstalter und 276 Beschwerden zu Online-Angeboten. „Außerdem führten wir 211 Korrespondenzen zum Ordnungsrahmen. Da wollen die Leute wissen, ob, wie und von wem Verstöße medienrechtlich geahndet werden können“, berichtet der stellvertretende LMS-Direktor Dr. Jörg Uckrow. Das Instrumentarium dafür reiche von bloßen Hinweisen an den Veranstalter über konkrete Beanstandungen bis hin zu Geldbußen der Medienaufsicht. Daneben gingen beim Portal 894 Beschwerden ein, die sich auf die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bezogen. „Für die sind wir jedoch nicht zuständig, wir leiten diese deshalb kommentarlos an die jeweiligen Stellen bei ARD, ZDF und Deutschlandradio weiter“, erklärt Uckrow.

Fragt sich: Sind 2.058 Einreichungen bei ca. 40 Millionen Haushalten in Deutschland wirklich viel? Wenn man bedenke, dass heutzutage nicht mehr sehr viele Menschen bereit seien, sich in Form einer Beschwerde über ein Ärgernis Luft zu machen, halte er das schon für erheblich, so Uckrow: „Außerdem sind wir kein Solitär; nicht alle, die unzufrieden sind und sich beschweren wollen, tun dies bei uns. Wenn jemand ein Problem beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk sieht, kann er sich vernünftigerweise direkt an die zuständige ARD-Anstalt wenden.“

Im Umstand, dass sich die Anzahl der eingegangenen Beschwerden verdoppelt hat, sieht Uckrow eine „gewisse Bekanntheit“ der Beschwerdestelle. „Und wir sind im Netz gut zu finden: Wenn man bei Google das Stichwort `Programmbeschwerde´ eingibt, ist unser Angebot an den vorderen Rängen platziert. Wir haben das Portal nutzerfreundlich und niedrigschwellig gestaltet. Über eine integrierte Maske können die Eingaben dort direkt getätigt werden.“

Die Beschwerden spiegeln aktuelle medienrechtliche Fragestellungen und gesellschaftlich diskutierte Probleme wider. Vermehrt gehen Beschwerden zu Angeboten von Streaming-Diensten und zur Glücksspielwerbung von Online-Casinos ein. Oft geht es auch um den Jugendschutz – angesprochen werden beispielsweise Erotikwerbung, Schleichwerbung und belastende Werbetrailer für spätere Sendungen. Die Zahl der Beschwerden über Telemedienangebote hat sich erhöht. Schwerpunkte sind da fehlende Impressen und Werbekennzeichnungen. „Bei Verstößen gegen die Impressumspflicht weisen wir – soweit wir das können – den Betreiber auf das Versäumnis hin“, erklärt Uckrow. „Aber wenn wir trotz unserer Recherchen nicht ermitteln können, wer der Anbieter ist bzw. wo er seinen Sitz hat, sind wir als Beschwerdestelle natürlich irgendwann am Ende.“

Bei den fehlenden Werbekennzeichnungen werden zunehmend die Posts von Influencer*innen moniert. Hier seien die Nutzer viel sensibler geworden, schätzt Uckrow ein. „Und wer beispielsweise auf Facebook etwas entdeckt, was ethischen Grundsätzen widerspricht, kann sich gern an uns wenden. Nutzer*innen von Online-Angeboten werden von uns genauso behandelt wie die vom Rundfunk: Allgemeine Fragen versuchen wir selbst zu beantworten, Beschwerden zu einem konkreten Telemedium leiten wir an die zuständige Aufsichtsstelle.“

Dabei ist die Landesmedienanstalt Saarland örtlich nur für die im Saarland ansässigen Anbieter zuständig. Bei denen kann sie Verstöße auch ahnden. „Wir haben allerdings bislang mit unseren saarländischen Anbietern keine allzu großen Probleme gehabt: Gerade im Bereich der Werbefilme kommen vielfach Veranstalter schon vor der Ausstrahlung eines Spots auf uns zu. Sie fragen nach, ob der Spot aus unserer Sicht problematisch ist. Durch diese informelle Vorbewertung können viele Zweifelsfälle ausgeräumt werden“, berichtet der Vize-Direktor. Da das Saarland im Vergleich etwa zu Nordrhein-Westfalen eher klein sei, würden sich natürlich viel mehr Anfragen auf Angebote im Bereich der Landesanstalt für Medien in NRW beziehen. „Die leiten wir dann weiter.“

Nach der Trefferquote von fundierten Beschwerden befragt, sagt Uckrow: „Auf der Zeitachse ist zu beobachten, dass die Qualität der Beschwerden zugenommen hat. Häufig wird auf konkrete Rechtsverstöße und Rechtsnormen Bezug genommen. Dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass tatsächlich ein Verstoß vorliegt, entsprechend höher.“ Es spreche somit Einiges dafür, dass die Medienkompetenz bei den Bürger*innen zugenommen hat.

 

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