Buchtipp: Verhandeln ohne Kompromisse

Ob Tarifrunden, Mietverhandlungen, Honorarverhandlungen, Autokauf oder Beziehungskonflikte: „Das ganze Leben besteht aus Verhandlungen“, sagt Chris Voss, langjähriger Verhandlungsführer des FBI und Autor des Buchs „Kompromisslos verhandeln“. Auf knapp 300 Seiten vermittelt er darin die wichtigsten Methoden aus Psychologie, Therapie und Krisenintervention, „um das zu erreichen, was Sie wollen, ohne dem anderen Schaden zuzufügen“. Hochaktuell, wenngleich nicht mehr druckfrisch.

Buchcover

Der Schlüssel zum Erfolg und Herzstück des Buches: die taktische Empathie basierend auf der Technik des „aktiven Zuhörens“. „Machen Sie sich für Ihr Gegenüber menschlich“, rät der Autor seinen Leser*innen. Wer erfolgreich verhandeln will, so ist Voss überzeugt, muss eine Gesprächsbeziehung herstellen, Vertrauen schaffen, sein Gegenüber zur Artikulation der eigenen Bedürfnisse bewegen und es von der eigenen Empathie überzeugen. Nur so könne es gelingen, „Zugang zur Gedanken- und Gefühlswelt eines anderen Menschen“ zu bekommen, um dessen Verhalten zu Gunsten der eigenen Vorstellungen zu beeinflussen.

Damit verbunden ist die Akzeptanz, dass der Mensch ein irrationales, impulsives und emotionsgetriebenes Wesen ist. Zu dieser Erkenntnis ist Voss im Laufe seiner 24jährigen Karriere als FBI-Verhandlungsführer bei Geiselnahmen gelangt. Dort hatten sich Verhandlungssysteme, die auf einem rationalen Problemlösungsansatz beruhen, mit dem ein für beide Seiten befriedigender Kompromiss erzielt werden soll, im Laufe der Jahre als zunehmend ungeeignet erwiesen, Geiselnahmen unblutig zu beenden. Stattdessen wandte man sich bei der zentralen US-Sicherheitsbehörde einem Ansatz zu, der eher den Erkenntnissen des Psychologen Daniel Kahnemann entsprach. Danach besitzt der Mensch zwei Denksysteme, von denen das erste, das animalische, emotionale Gehirn, das zweite, das logische und rationale Gehirn, steuert.

Dies habe der Neurowissenschaftler Antonio Damasio Anfang der 2000er Jahre in einer bahnbrechenden Entdeckung wissenschaftlich untermauern können, erläutert Voss. In einer Studie hatte dieser festgestellt, dass Menschen, die einen Hirnschaden in dem Teil des Gehirns erlitten hatten, in dem die Gefühle entstehen, nicht mehr in der Lage waren, Entscheidungen zu treffen. „Mit anderen Worten: Wir mögen zwar Logik anwenden, um scheinbar rationale Gründe für eine Entscheidung zu finden, die eigentliche Entscheidung wird aber von den Emotionen getroffen“.

Heute betreibt Chris Voss die Black Swan Group, eine Beratungsfirma, die Schulungen und Beratungsleistungen zu komplexen Verhandlungsfragen für Fortune-500-Unternehmen anbietet, und hat mittlerweile an zahlreichen Business Schools wie der Harvard School of Business oder der Sloan School of Management des MIT unterrichtet. Dies zeugt nicht nur davon, dass sein Ansatz sich wie bei Geiselnahmen ebenso bei jeglicher anderen Verhandlungssituation erfolgreich bewährt. Aus diesem Erfahrungsschatz schöpft er auch, um die Techniken dieses Konzepts mit Hilfe von Anekdoten für die Leser*innen zu veranschaulichen. Denn nicht immer erscheinen diese auf den ersten Blick plausibel und nachvollziehbar. Wie etwa die Maxime „Nein markiert den Beginn einer Verhandlung, nicht das Ende“ oder der Ratschlag, in einer Preis- oder Gehaltsverhandlung immer ungerade, niemals runde Summen zu nennen.

Der Stil des Autors, offenbar selbst sein größter Fan, ist bisweilen gewöhnungsbedürftig. Doch der Inhalt überzeugt mit einem Methodenkoffer, der jede/n in die Lage versetzen kann, Verhandlungssituationen in Alltag und Beruf erfolgreich zu meistern. Vorausgesetzt, der- oder diejenige ist bereit, die eigene, laut Voss nur natürliche, Scheu vor Verhandlungen, ergo Konflikten, zu überwinden. Der Autor gibt sich jedenfalls viel Mühe, seine Leser*innen dabei zu unterstützen, unter anderem mit einem komprimierten Leitfaden im Anhang des Buchs, der als Grundlage der Verhandlungsvorbereitung dienen kann.

Und einen Fun Fact zum Thema Körpersprache, der vor allem das deutsche Publikum interessieren dürfte, gibt es auch noch dazu: Wer Fingerspitzen und Daumen so zusammenlegt, dass die Hände eine spitze Raute bilden, der drückt damit üblicherweise aus, dass er – oder eben sie – sich überlegen und mächtig fühlt. Gut zu wissen.

Chris Voss: Kompromisslos verhandeln. Die Strategien und Methoden des Verhandlungsführers des FBI, Redline-Verlag, 2017, 320 Seiten, 17,99 Euro, ISBN: 978-3-86881-656-3

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Freie unter Honorar-Druck

Die prekären Arbeitsverhältnisse im Journalismus sind schon lange bekannt. Besonders trifft es aber freie Journalist*innen, deren Honorare sogar noch weiter sinken. Das hat auch Auswirkungen auf die Art des journalistischen Arbeitens.
mehr »

Anti-SLAPP-Gesetz ungenügend

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di kritisiert das von der Bundesregierung beschlossene Anti-SLAPP-Gesetz. Es beschränke den Schutz vor Einschüchterungsklagen nur auf grenzüberschreitende Fälle. Damit bleibe ein Großteil der realen Bedrohungslagen für Journalist*innen in Deutschland unberücksichtigt.
mehr »

Die Newsfluencer kommen

In Deutschland vertraut eine Mehrheit der Menschen beim Nachrichtenkonsum in der digitalen Welt noch immer mehrheitlich auf klassische Medien. Das ist eine Erkenntnis aus einer im Oktober 2025 veröffentlichten Studie des Reuters Institute. Die britische Denkfabrik wollte herausbekommen, wie Menschen sich im Netz informieren. Dafür sind Personen in 24 Ländern befragt worden.
mehr »

Trumps digitaler Medienpranger

Donald Trump verfolgt mit seinen Attacken auf Medien und Journalist*innen drei Hauptziele: Ablenkung von eigenen Verfehlungen, Bindung seiner rechten Unterstützer*innen und Selbstbereicherung. Große Medienkonzerne unterstützen ihn, um eigene Profitinteressen zu fördern. Das Resultat ist eine Bedrohung von Pressefreiheit und Demokratie.
mehr »