Für ihre Berichterstattung über den mehrfachen Kindsmord in Solingen hat der Deutsche Presserat Bild.de, die Rheinische Post und die Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung gerügt. Eine 27-Jährige Frau soll im September in Solingen fünf ihrer Kinder getötet haben. Alle drei Zeitungen hatten Passagen aus einem WhatsApp-Chat zwischen dem einzigen überlebenden 11-jährigen Sohn und dessen 12-jährigen Freund bzw. einer Freundin veröffentlicht.
Der Presserat sah in den Veröffentlichungen des privaten Chatverlaufs zweier Kinder vor dem Hintergrund eines traumatisierenden Ereignisse seine Verletzung ihrer Menschenwürde nach Ziffer 1 des Pressekodex. Die Redaktionen verstießen zudem gegen Ziffer11, Richtlinie 11.1 des Pressekodex, wonach über einen seelisch leidenden Menschen nicht in einer über das öffentliche Interesse hinausgehenden Art und Weise berichtet werden soll. Nach Richtlinie 11.2 hätten die Redaktionen das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegen die Interessen der Opfer und Betroffenen sorgsam abwägen müssen. Der Bericht bei Bild.de unter der Überschrift „Freund Max telefonierte mit dem Sohn, der überlebte“ verstieß zudem gegen den Opferschutz nicht nur des überlebenden Jungen, sondern auch dessen Freundes, der den Chat zur Verfügung gestellt hatte.
Die Redaktion hatte – mit Zustimmung der Mutter – zudem dessen Foto veröffentlicht. Hier hätte die Redaktion ihrer Eigenverantwortung nachkommen müssen und sich nicht auf die Freigabe durch die Mutter verlassen können. Nach Ziffer 8, Richtlinie 8.3 des Pressekodex dürfen Kinder in der Regel bei der Berichterstattung über Straftaten nicht identifizierbar sein. Bild.de erhielt eine weitere Rüge für Artikel, in denen Fotos zahlreicher äußerer Details vom Tatort-Haus bis hin zur Hausnummer veröffentlicht waren und an denen kein berechtigtes öffentliches Interesse bestand.
Die Süddeutsche Zeitung hatte in ihrem gerügten Online-Artikel die komplette Adresse des Tatorts genannt. Hier überwogen nach Ansicht des Presserats die schutzwürdigen Interessen der mutmaßlichen Täterin und der Opfer. Alle drei gerügten Redaktionen hatten nachträglich die WhatsApp-Nachrichten aus ihrer Berichterstattung gelöscht. Angesichts der Schwere der Verstöße sah der Beschwerdeausschuss aber nicht von den Rügen ab. Über die Veröffentlichung des WhatsApp-Chats auf Bild.de hatten sich 171 Leser*innen beim Presserat beschwert.