Meinung
Trotz Verärgerung und Enttäuschung über das Ergebnis ist dennoch festzuhalten, dass es uns als ver.di gemeinsam mit unseren Mitgliedern, mit unseren europäischen Kolleg*innen der UNI MEI, der Initiative Urheberrecht und zahlreichen anderen Verbündeten gelungen ist, Verbesserungen für die Urheber*innen und ausübenden Künstler*innen auch in Deutschland durchzusetzen. Auf der Habenseite stehen: eine von Gewerkschaften und Verbänden – wenn auch in letzter Minute erschwert – durchsetzbare Transparenzpflicht der Vertragspartner, die Möglichkeit der Vertragsanpassung für „better seller“ und nicht nur für „best seller“ zu fordern, ein unabpressbarer Direktvergütungsanspruch gegen Inhalteplattformen und der Erhalt der gemeinsam von Urheber*innen, ausübenden Künstler*innen und Verwertern gegründeten Verwertungsgesellschaften. Diese Erfolge sind besonders zu erwähnen – auch und gerade, weil sie in der öffentlichen Diskussion keinerlei Rolle spielen.
Alles wurde und wird überlagert vom Thema der Plattformhaftung: Artikel 17 ehemals Artikel 13. Nirgendwo in Europa war die Aufregung darüber so groß wie in Deutschland. Alt(e Geschäftsmodelle) gegen jung(e Geschäftsmodelle), Urheberrecht oder Freiheit!?! Bezogen aufs Urhebervertragsrecht gilt: Schlecht bezahlt wurden Urheber*innen auch schon vor der Verbreitung des Internets. Deswegen haben wir uns als ver.di und UNI MEI weitestgehend auf die vertraglichen Rechte der Kreativen konzentriert.
Die Verärgerung über das nun vorliegende Ergebnis resultiert daraus, dass die Interessen der Urheber*innen und ausübenden Künstler*innen bei den politischen Entscheidungen immer nur am Rande berücksichtigt wurden: Ach, die gibt es ja auch noch. Sinnbildlich bleibt, dass die maßgebliche Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestags zunächst ohne Beteiligung der Urheberseite angesetzt war. Eingeladen waren all diejenigen, die ihre Geschäftsmodelle auf der Verfügbarkeit von urheberrechtlich geschützten Werken aufbauen. Erst auf Initiative von ver.di und anderen Verbänden der Initiative Urheberrecht wurde ein Vertreter der Kreativschaffenden hinzugezogen. Kommerzielle Angebote, die auf der Verfügbarkeit von Inhalten beruhen, wären ohne die Schöpfenden und Interpretierenden nicht möglich. Eine angemessene Beteiligung an den Einnahmen ist das Mindeste! Gut, dass es weiterhin die gemeinsamen Verwertungsgesellschaften für die Geltendmachung des Direktvergütungsanspruches gibt.
Die Enttäuschung wurde auf den letzten Metern noch einmal verstärkt. Mit einem von der SPD eingebrachten Vorschlag einer Unterlassungsklage für Verbände schien ein bahnbrechender Fortschritt für die Interessen der Urheber*innen und ausübenden Künstler*innen noch möglich. Aber: Der Versuch wurde abgeblockt.
Eine gefühlte Niederlage ist das Gesetz jetzt geworden, weil die jährliche Auskunftspflicht der Verwerter über Nutzungen und wirtschaftliche Vorteile unter einen „allgemeinen Verhältnismäßigkeitsvorbehalt“ gestellt wurde. Hierfür sollten sich die Beteiligten schämen! Rechtlich ändert sich zwar nichts an der Frage, was verhältnismäßig ist und was nicht. Mit dem Vorbehalt wurde jedoch den Verwertern ein Geschenk gemacht. Sie können sich weiterhin auf den Standpunkt stellen, dass sie nur mit großem Aufwand in der Lage seien, Auskunft zu erteilen. Dass sie sich – allen voran die öffentlich-rechtlich finanzierten Anstalten – seit Jahren nicht erkennbar bemühen, die Voraussetzungen für unbürokratische Transparenz zu schaffen, wird hier belohnt. Nur weil in Mainz und den Landeshauptstädten angeblich immer noch jemand aus der Honorar- und Lizenzabteilung in den Keller laufen muss, wo die „handschriftlichen Notizen“ zum Programm gelagert werden, kann man doch nicht den Urheber*innen den Beweis der Verhältnismäßigkeit einer zwingend einzuführenden Transparenzpflicht aufbürden.
Urheber*innen jahrelange Verfahren zuzumuten, das ist keine Klärung interessanter Rechtsfragen (wie es Verwertervertreter*innen ausdrücken), sondern unangemessen, unfair, unmoralisch und der Hauptgrund, warum sehr viele Kreative vor der Geltendmachung bestehender Ansprüche Abstand nehmen. Dieser Vermeidungstaktik wird jetzt nicht nur nichts entgegengesetzt, sie wird – im Gegenteil – bestärkt.
Bei einem Blick auf das Gesamtergebnis konnten die Urheber*innen und ausübenden Künstler*innen gegen die Lobbybüros der Verwerter und Plattformen ein Unentschieden abringen. Für mehr fehlte letztlich der Mut. Einerseits bei den Politiker*innen, die am Ende dem Druck der Verwerter nachgegeben haben. Andererseits vielleicht aber auch bei den Urheber*innen und ausübenden Künstler*innen, die immer höflich und verbindlich geblieben sind und davor zurückschrecken, einzeln und persönlich erkennbar für ihre Interessen und damit gegen die Verwerter einzutreten.
Wer jedoch die Kreativen dafür kritisiert, dass sie in den entscheidenden Momenten nicht sichtbar waren oder sind, und das als Grund anführt, um die Urheberverbände nicht zum Schutz der Einzelnen zu ermächtigen, verkennt bzw. verdrängt, dass die Künstler*innen diejenigen sind, die ob ihrer strukturellen Unterlegenheit geschützt werden müssen: hierfür steht das ‚Urheber‘ im Urheberrecht. Ihnen abzuverlangen, gegen ihre Fans und unter Gefährdung der weiteren Karriere aufzutreten, ist nicht mehr als eine faule Ausrede, um die eigene Mutlosigkeit zu rechtfertigen.
Nach der Reform ist vor der Reform! Vielleicht findet sich eine mutigere Regierung.
Zur am 20. Mai 2021 vom Bundestag beschlossenen Reform des Urheberrechts siehe auch dieser Beitrag