Bei den jüngsten Protestaktionen von A 100-Gegner*innen in Berlin-Neukölln und Treptow ist die Berliner und Bundespolizei massiv gegen Journalistinnen und Journalisten vorgegangen, die darüber berichten wollten. Für Renate Gensch, Landesvorsitzende der Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di Berlin-Brandenburg, ist es ein “Unding“, dass Journalist*innen teilweise mit polizeilicher Einkesselung an der Berufsausübung gehindert wurden, sie sieht eine „klare Behinderung der Pressefreiheit“.
Bei den Protesten gegen den Weiterbau der A 100 war Jörg Reichel, Landesgeschäftsführer dju in ver.di Berlin-Brandenburg, vor Ort. Wir sprachen mit ihm über die Ereignisse vom 5. Juni 2021:
M | Jörg, Du warst wieder als Vermittler vor Ort?
Jörg Reichel | Ja, ich war insgesamt etwa zehn Stunden dabei und habe über diese Zeit etwa 20 verschiedene Journalist*innen – Texter und Fotografen – begleitet. Mein Gesicht ist mittlerweile bekannt. Ich bemühe mich immer, presserechtliche Probleme und Fragen der konkreten Arbeitsbedingungen zu klären und gehe da als Vermittler direkt auf die Polizei zu. Mit dieser Arbeit hatte ich allerdings schon einen Tag zuvor begonnen…
Inwiefern?
In einem Vorgespräch mit der Polizei hatte ich die größeren Demonstrationen des Wochenendes angesprochen: Querdenkerdemo in Weißensee, Proteste rund um den AfD-Landesparteitag und die A-100-Proteste. Zu letzteren gab es ja Ankündigungen der Aktivisten. Ich habe deshalb das Thema Platzbesetzungen bereits thematisiert. Man hat mir geantwortet, wenn sich Journalist*innen ordnungsgemäß mit Presseausweis legitimieren könnten, sei Berichterstattung kein Problem.
War es dann aber doch?
Ja. Die Polizei spricht jetzt davon, dass lediglich Kundgebungen und Demonstrationen gemeint gewesen seien, keine „illegalen“ Platzbesetzungen. Die Polizei wirft den Journalisten bei der A-100-Baustelle vor, Hausfriedensbruch begangen zu haben. Nach Polizeiangaben wurde 13 Journalist*innen in Gewahrsam genommen und erhielten Strafanzeigen, ich habe persönlich nur zwölf gezählt.
Laut Polizei hätten sich die Journalist*innen „aktivistisch“ verhalten und seien wegen der zeitlichen Nähe „Teil der Versammlung“ gewesen. Das galt zumindest für die morgendliche Aktion an der Sonnenallee, wo Kolleg*innen massiv an der Arbeit gehindert und zeitweise festgenommen wurden. Später wurden sie von der Bundespolizei geradezu in einen Kessel genommen und sollten neuerlich kontrolliert werden. Als ein Journalist den Beamten nach dessen Dienstnummer fragte, reagierte der Polizist mit einer körperlichen Durchsuchung.
Du selbst bist zeitweise auch festgesetzt worden?
Ja, ich hatte mich frühzeitig an den ranghöchsten Polizeibeamten vor Ort gewandt, um Absprachen im Interesse ungehinderter Berichterstattung zu treffen. Das hat ziemlich schnell dazu geführt, dass auch ich in Gewahrsam und in die polizeiliche Umringung genommen wurde.
Die Journalist*innen waren aber in jedem Fall eindeutig als Berichterstatter erkennbar und konnten sich ausweisen?
Unbedingt. Es waren Vertreter*innen so gut wie aller journalistischen Formate vor Ort: Fotografen, Kameraleute, Schreiberinnen – von Berliner Tageszeitungen, TV und natürlich auch Freelancer.
In Treptow eskalierte die Situation nicht ganz so stark?
Bei der zweiten Aktion konnten Journalist*innen zunächst völlig frei berichten, weil sie frühzeitig vor Ort waren. Später wurden Berichterstatter*innen von der Polizei nicht mehr zu den Protestierenden gelassen, sondern mussten in 50, später 150 Meter Entfernung bleiben, konnten keine Nahaufnahmen machen und keine direkten Gespräche führen. Stundenlang konnten Journalist*innen nicht ungehindert arbeiten, das betraf auch ein RBB-Team. Die Einschränkungen durch die Polizei wurden erst gegen Ende der Aktion aufgehoben.
Wie erklärst Du Dir das Verhalten der Polizei?
Ich bin kein Kaffeesatzleser, aber für mich stellte sich das Ganze dar als eine Mischung aus fehlendem Überblick, pressegegnerischer Einstellung und zum Nachteil von Journalist*innen ausgelegter Rechtsprechung.
Das verwundert angesichts eher positiver Signale im Verhältnis Polizei-Presse gerade in Berlin in den vergangenen Monaten?
Die Polizeispitze selber und die Presseabteilung wollen Pressefreiheit durchsetzen. Und es gibt positive Entwicklungen, ja, die betreffen vor allem stationäre Kundgebungen. Parallel hatten wir in der Vergangenheit immer wieder übergriffige Einsatzhundertschaften und pressegegnerische Einstellungen bei Polizeibeamten, die vor Ort auf Berichterstatter*innen treffen. Und das sind nicht nur einfache Einsatzkräfte, sondern durchaus auch leitende Beamte. Das ist am Sonnabend erneut deutlich geworden. Es muss auf jeden Fall politisch Druck auf die Berliner Polizei gemacht werden, um presserechtliche Standardfragen etwa auch bei Platzbesetzungen für die Zukunft eindeutig zu klären.
Inzwischen hat die Autobahn GmbH als Eigentümer des Geländes erklärt, sie habe keine Anzeigen erstattet und wolle das auch nicht tun. Sind damit zumindest die Strafanzeigen gegen Dich und die Journalist*innen vom Tisch?
Davon gehe ich aus. Wir verlangen von der Polizei trotzdem Erklärungen und eine Entschuldigung. Außerdem müssen alle Daten von Journalist*innen in Zusammenhang mit den Aktionen gelöscht werden.