Gespräch mit taz-Chefredakteurin Barbara Junge über Wahlberichterstattung
M | Gibt es so etwas wie einen Masterplan für die kommende Wahl(kampf-)Berichterstattung?
Barbara Junge | Wir haben eine Steuerungsgruppe gegründet. Diese plant in 2021 sowohl die Publizistik rund um die Landtagswahlen als auch um die Bundestagwahl. Sie setzt sich zusammen aus Redakteur*innen verschiedener Ressorts und Bereiche, dem Redakteur für Sonderprojekte, natürlich der Inlandsredaktion. Allgemeine Wahl-Sonderseiten und -Sonderformate, Themenwochen, Livetalks und noch zu entwickelnde Formate hat es bereits gegeben und sind in Vorbereitung. Involviert sind auch die Redaktion Ökologie und Wirtschaft und unser Klima-Hub, das Labor für innovative Formate rund um die Klimakrisenberichterstattung.
Es ist absehbar, dass die Klimathematik diese Wahl enorm prägen wird. Das wollen wir befördern und sind gut darauf vorbereitet. Neben dem Klimahub haben wir jetzt in einem Projekt der taz Panter Stiftung noch eine weitere spezielle Redaktion eingerichtet: Von Juni bis Ende September gibt es ein angeleitetes Team, in dem eine kleine Gruppe aus Volontär*innen und Hospitant*innen den jungen, den diversen, den fordernden Blick auf die Bundestagswahl werfen wird.
Der Wahlkampf findet unter Pandemie-Bedingungen statt. Mit großen Wahlveranstaltungen ist vorerst nicht zu rechnen, sozialen Medien dürfte eine größere Bedeutung zukommen. Wie stellen Sie sich da die Berichterstattung vor?
Wir müssen entsprechend mit einer gewissen Unwägbarkeit umgehen, allmählich dürften aber auch direkte Kontakte wieder vermehrt möglich sein. Für die parlamentarische Sommerpause planen wir Themenwochen, in denen es neben Berichterstattung auch eigene Veranstaltungen geben soll. Nach jetzigem Stand dürften diese im Wesentlichen in digitaler Form stattfinden, möglicherweise im eigenen Haus, mit Podium, aber wohl ohne Besucher*innen. Das Klimahub ist auf Instagram unterwegs. Auf das, was das Nachwuchsteam entwickeln wird, sind wir gespannt.
Politische Beobachter registrieren in jüngerer Zeit eine Zunahme der Parteien-PR: Politiker interviewen sich selbst, Pressestellen der Parteien verwandeln sich in Newsrooms … Brauchen Politiker noch Journalisten?
Das ist nicht gerade meine Vorstellung von einer funktionierenden Demokratie. Natürlich müssen unabhängige Medien und die Wähler*innen die Möglichkeit haben, kritische Fragen zu stellen und sie beantwortet zu bekommen.
Aber Minister und andere Spitzenpolitiker gehen offenbar lieber in Talkshows, wo sie ohne redaktionellen Filter ihre Botschaften loswerden können. Dagegen haben es Politmagazine wie Monitor oder Panorama schwer, an Interviewpartner zu kommen. Wie sind da Ihre Erfahrungen?
Diese Tendenz gibt es, aber im Moment, unter Pandemiebedingungen, ist das Ausmaß dessen schwer zu beurteilen. Natürlich ist es einfacher, in eine Talkshow zu gehen und dort ohne allzu kritische Fragen zu sprechen. Nur gibt es auch sehr gute TV-Talkformate. Ich will weder die Talkshowisierung noch die aktuelle Krise der gedruckten Medien weg reden. Aber es gibt interessierte, es gibt lesende Menschen im Lande, die explizit noch eine kritische Berichterstattung erwarten. Das bestätigen unsere Zahlen. Da die „taz“ ein besonderes gesellschaftliches Segment erreicht, machen wir auch die Erfahrung, dass durchaus das Interesse existiert, eine Botschaft zu senden – und sei es mit einem kritischen Interview.
Es heißt, in Zeiten des digitalen Wandels schwinde die Bindungskraft traditioneller Medien, während andere Akteure auf den Plan treten, zum Beispiel Influencer wie Rezo. Laufen sie nicht manchmal den sozialen Medien hinterher?
Die Bedingungen der Willens- und Meinungsbildung verändern sich. Es wäre überheblich, zu sagen, die neuen Medien spielten keine Rolle, seien irrelevant oder in sozialen Medien seien keine vernünftigen Player unterwegs. Allerdings habe ich gelegentlich große Schwierigkeiten mit der fragwürdigen Meinungsbildung, die über soziale Medien stattfindet. Umso wichtiger ist es, dass wir unseren Job erledigen.
Auch Journalist*innen nutzen soziale Netzwerke. Allzu schnell abgeschossene Twitter-Botschaften haben schon manche Politiker, aber auch Journalisten, in Schwierigkeiten gebracht, etwa die affirmativen Tweets Tina Hassels (Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios) über Grünen-Parteitage. Gibt es in der „taz“ so etwas wie einen Twitter-Knigge?
Im vergangenen Jahr haben wir einen Konflikt über eine Polizei-Kolumne und die unmittelbar folgenden Reak-tionen darauf „taz“-intern sehr lebhaft ausgetragen. Wir haben uns im Zuge dessen damit auseinandergesetzt, wie wir etwa Twitter nutzen. „taz“-Mit-arbeiter*innen sind auch auf social media „taz“-Mitarbeiter*innen. Das Bewusstsein dafür muss da sein.
Zu Beginn der Corona-Krise wurde vielen Medien ein gewisser „Tunnelblick“ vorgehalten. Der Vorwurf lautete, sie zeigten eine Tendenz zur unhinterfragten Bejahung staatlicher Maßnahmen. Wie ist heute die Situation?
Wir konnten und können nicht Maßnahmen oder Beschlüsse verurteilen, nur um auf Distanz zu gehen. Ja, Leser*innen haben uns oft mangelnde Distanz vorgeworfen. Also haben wir die Kommunikation mit unseren Leser*innen verstärkt. Aber gerade in der Anfangsphase von Corona gab es doch so viel Unwissen über diese Pandemie. Es wäre wohl nahezu überheblich gewesen, aus der eigenen Annäherung an die Themen sofort auf richtig oder falsch zu schließen. Wer das als zu viel Nähe zu einer tastenden Regierungspolitik bewertet, hat eine sehr verkürzte Betrachtungsweise. Wir haben aber selbst Mängel festgestellt, sind insbesondere sehr daran interessiert, uns im Wissenschaftsjournalismus besser aufzustellen. Aber: Keine Distanzierung um der Distanzierung willen! Dazu stehen wir trotz anfangs vehement vorgetragener Proteste aus der „taz“-Community.
Journalismus bewegt sich zunehmend zwischen den Polen von Wissenschaft und Boulevard. Private TV-Sender wie ProSieben oder RTL rüsten auf, was den Bereich Information angeht. Aber sie nähern sich der Politik auf ganz spezielle Weise. Beim ProSieben Talk mit der Grünen-Spitzenkandidatin wurde der Studiogast am Ende sogar beklatscht. Ist das noch seriös?
Dass sich die politische Kommunikation nach US-Vorbild hin zu Personalisierung verändert, stellen wir schon seit Jahren fest. Andererseits erreicht Politik auf diese Weise vielleicht auch Menschen, die sich sonst nicht dafür interessiert hätten. Aber um die Frage zu beantworten: Nein ich denke nicht, dass Journalist*innen applaudieren sollten, nachdem sie jemanden interviewt haben.
In diesem Wahlkampf treten gleich drei Kanzlerkandidat*innen an. Einige Medien haben sich an einem Hype um die Kandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, beteiligt. Ein Vergleich zum Umgang mit Martin Schulz drängt sich auf: Von der Heilserwartung bis zum gnadenlosen Herunterschreiben war nur ein kurzer Schritt. Funktioniert Politikberichterstattung nur entlang solcher Extreme, durch starke Personalisierung?
Den Martin-Schulz-Hype hat seinerzeit die SPD selbst verursacht, weniger die Medien. Jetzt haben wir eine andere Situation. Wenn ich mir anschaue, wie präsent die Grünen-Themen derzeit sind, dann hat die gute Prognose der Grünen mit der Kandidatin nur bedingt zu tun. Welche Partei agiert derzeit eigentlich nicht mit den urgrünen Themen? Wenn es einen Hype gibt, dann eher um diese Themen. Jenseits dessen sind Personalisierungen für Leser*innen oder Rezipient*innen doch interessant. Es war Angela Merkel, die die Politik in den letzten 16 Jahren stark geprägt hat, nicht nur die Union. Insofern ist es doch legitim, die Kandidatin genau anzuschauen. Vielleicht ist es möglich, auf diese Weise noch mehr Menschen dafür zu interessieren, wer das Land regieren soll. Ich lese auch gern Geschichten, die mit Personen zu tun haben. Ein reiner Bericht über Parteiprogramme ist meist nicht sexy.
Manchmal entsteht der Eindruck, die permanenten Meldungen über Beliebtheitswerte und Umfragehochs verdrängen Inhalte und Meinungen.Werden die Ergebnisse der Demoskopie überschätzt?
Selbstverständlich ist die Auseinandersetzung mit den Inhalten der Parteien wichtiger. Das heißt aber nicht, dass die Demoskopie keine Rolle spielt. Politische Meinungsforschung ist ein sehr wertvoller Beitrag im Wahljahr. Demoskopie auf reine Zahlen zu verkürzen, ist falsch, die können in die Irre führen. Aber wichtig ist doch: Welche Tendenzen gibt es, welche Ängste, welche Hoffnungen bewegen die Menschen im Land? Die qualitative Forschung in den USA ist für mich ein Vorbild. Vielleicht sollte die mehr im Vordergrund stehen als die Wahlumfragen.