Weg vom Trashkanal

„Das Triell“ - direkter Schlagabtausch der Kanzlerkandidat*innen Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz ist auf Sendung bei RTL. Foto: TVNOW/Jörg Carstensen

Mehr Qualität wagen – Privatfunk erweitert sein Informationsangebot

Rundfunk ist in Deutschland nicht allein als Wirtschafts-, sondern auch als Kulturgut definiert. Das gilt auch für die Privatsender und verpflichtet sie zu Informationsangeboten. Wie und womit diese Verpflichtung ausgefüllt wird, darüber stritten die Privaten lange mit der Politik. Nun haben die Sender mit einer ganzen Fülle neuer Formate die seriösen Nachrichten entdeckt und arbeiten an einem Imagewandel.

Den Start von „RTL Direkt“ mit Jan Hofer hat sich der Sender gewiss anders vorgestellt. Die neue Infoschiene am Abend um 22:15 Uhr, zeitgleich zu den Tagesthemen der ARD, brachte mäßige bis schlechte Kritiken. „Konzept taugt nix“ (Berliner Kurier), „Jan Hofer vergisst Baerbocks Namen“ (Watson), „Das muss besser werden“ (Welt). Und das RND spricht vom „bunten Gemischtwarenladen des Politikjournalismus“. 1,87 Millionen Zuschauende waren bei der ersten Ausgabe dabei. Nur wenige Tage nach dem Start fiel die Anzahl an gemessenen Zuschauern mit 0,92 Millionen allerdings unter die für RTL kritische 1-Million-Marke, ein Marktanteil von 4,4 Prozent – eher die Schmerzgrenze. Für Langzeitprognosen ist es viel zu früh, doch es zeigt sich, dass neue Nachrichtenformate bei RTL keine Selbstläufer sein werden, auch nicht mit prominenten, von der ARD abgeworbenen Gesichtern.

Jan Hofer moderiert im Wechsel mit Pinar Atalay montags bis donnerstags in Konkurrenz zu den Tagesthemen um 22:15 Uhr „RTL Direkt“. Foto: TVNOW/Markus Nass
Jan Hofer moderiert im Wechsel mit Pinar Atalay montags bis donnerstags in Konkurrenz zu den Tagesthemen um 22:15 Uhr „RTL Direkt“. Foto: TVNOW/Markus Nass

Mehr seriöse Nachrichten gefordert

Privatfernsehen und Nachrichten: Seit Einführung des kommerziellen Fernsehens in Deutschland eine nicht ganz einfache Liaison. Politisch gewollt, von den Sendern lange eher gemieden oder so boulevarisiert, dass sich die Medienpolitik zum Handeln gezwungen sah. „Mehr Qualität wagen“ war im Jahr 2010 der Titel einer Veranstaltung der Landesmedienanstalten. Nach stetem Ausdünnen der Nachrichten, immer höheren Boulevardanteilen und dem damals geplanten Aus für den Nachrichtensender N24 der ProSiebenSat.1-Gruppe (heute WELT), wollten die Aufsichtsbehörden der Sender im Dialog klären, welchen gesellschaftlichen Beitrag die großen TV-Gruppen mittels seriöser Nachrichten noch zu leisten bereit sind.

Auf die Frage, über welche TV-Nachrichten er sich informiert, antwortete der damalige ProSieben Sat.1-Vorstand Thomas Ebeling mit entwaffnender Offenheit: „Ich schaue die Tagesthemen. Dafür zahle ich meine Gebühren.“ Ein Affront gegen die Landesmedienanstalten. „Wir wissen, dass Politikangebote im Privatfernsehen eher gemieden als gesucht werden“, so Thomas Langheinrich, Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) a.D. „Das heißt aber nicht, dass Informationen über das Zeitgeschehen lediglich als lästiger Kostenfaktor zu betrachten sind und zur Seite geschoben werden können“. Deutlichere Worte fand der damalige rheinland-pfälzische Staatssekretär Martin Stadelmaier. Er forderte, die werbefinanzierten TV-Sender sollten nicht nur mehr, sondern vor allem auch bessere Nachrichtensendungen anbieten. „Es darf nicht so sein, dass sich private Sender allenfalls dann um Qualität im Nachrichtenjournalismus bemühen, wenn es um Skandalöses oder Boulevardeskes geht.“

Die Nachrichten im privaten Fernsehen gingen zu jener Zeit dramatisch zurück. Seit 1998 habe sich der Umfang bei einzelnen Sendern teilweise halbiert, konstatierte die DLM. Medienforscher*innen beobachteten auch die Tendenz, Nachrichten und Informationen auf wenig attraktive Sendeplätze zu verschieben. Zudem hatten sich die Nachrichten auch inhaltlich grundsätzlich verändert. „Entpolitisierung“ lautete das Stichwort. „Nachrichten sind wichtig für unser Image bei den Politikern, nicht aber für unser Image beim Zuschauer“, versuchte Thomas Ebeling das Phänomen zu erklären.

Elf Jahre nach der öffentlichen Auseinandersetzung mit der Medienpolitik ist das deutsche Privatfernsehen in Teilen nicht mehr widerzuerkennen. Deutschlands größter Privatsender RTL ist gerade stark bemüht, beim Thema Seriosität einen Imagewandel herbeizuführen. Statt Haudrauf mit Dieter Bohlen künftig nun gepflegte Unterhaltung mit Thomas Gottschalk und Hape Kerkeling; beides langjährige ARD/ZDF-Gesichter. Wenig Zeit, eigene neue Gesichter aufzubauen, weshalb auch Jan Hofer und Pinar Atalay die Infokompetenz der Tagesschau nun direkt ins neue RTL-Programm transferieren sollen.

Hape Kerkeling spricht am 4. August 2021 bei Sandra Maischberger über Corona, sein neues Buch „Pfoten vom Tisch“ und sein TV-Comback bei VOX. Foto: WDR/Oliver Ziebe
Hape Kerkeling spricht am 4. August 2021 bei Sandra Maischberger über Corona, sein neues Buch „Pfoten vom Tisch“ und sein TV-Comback bei VOX. Foto: WDR/Oliver Ziebe

Auch die RTL-Tochter VOX legt im Bereich Infotainment zu; auch hier mit Hape Kerkeling. Eine Doku über europäische Kleinstaaten hätte wohl inzwischen selbst im ARD/ZDF-Hauprogramm nur wenig Platz; ab Herbst läuft sowas bei VOX. Und ausgerechnet der Scripted-Reality-Sender RTL2 (“Frauentausch“, „Hartz aber herzlich“) sticht nun mit einem „DokuLab“ hervor, einer Innovationswerkstatt für kreative Doku-Filmemacher. RTL2, das sich in der Vergangenheit mit viel Engagement den Ruf eines Trash-Kanals aufgebaut hat, bemüht sich nun um journalistische Produktionen zu relevanten und außergewöhnlichen Themen, „die mutig und innovativ umgesetzt werden“, so RTL2. Partner des „Doku Lab“ sind das Medienboard Berlin-Brandenburg und das Medien-Netzwerk Bayern. Mit einem Budget von 100 000 Euro soll die aufwendige Recherche der Stoffe für hochwertige Dokumentationen gefördert werden – Unterstützung insbesondere für Freelancer und junge Filmemacher*innen.

ntv seit vielen Jahren auf Sendung

Um fair zu bleiben, das Engagement an journalistischen Formaten und Inhalte-Dokus ist nicht ganz neu im RTL-Universum. Nach eigenen Angaben arbeiten bei der Mediengruppe RTL über 700 Mitarbeiter in journalistischen Funktionen, an 11 Standorten in Deutschland – darunter im Sendezentrum in Köln und dem Berliner Hauptstadtstudio, auch an fünf internationalen Standorten sei man journalistisch vertreten, heißt es. Die Mediengruppe bietet auf ihren Sendern täglich ein Portfolio verschiedener Nachrichtensendungen, darunter „RTL Aktuell“, das „RTL Nachtjournal“ und die „RTL2News“. Mit ntv betreibt man darüber hinaus seit vielen Jahren einen eigenen Nachrichtensender. Zu den journalistischen Infoangeboten rechnet die Gruppe allerdings auch Magazinsendungen, die zumeist dem Boulevard näherstehen, als klassischer Information, darunter „Punkt 12“, „Explosiv – Das Magazin“, „Prominent!“ oder „Exclusiv – Das Star-Magazin“.

Was Peter Kloeppel, Chefmoderator bei RTL Aktuell, und die Nachrichten bei RTL durchaus auszeichnet, ist die Kontinuität. An der Platzierung um 18:45 Uhr und einem festen Newsteam hat der Sender nie gerüttelt, ganz im Gegensatz zu den Mitbewerbern Sat.1 oder ProSieben, die ihre News häufiger verschoben, umbenannt, mit immer neuen Gesichtern versehen und es mit stets neuen Konzepten versucht haben.

Umso auffälliger, dass nun auch der als Serien, Show- und Filmkanal positionierte Sender ProSieben inzwischen auf neue Informationsformate setzt. „Unkonventionell. Direkt. Spontan“ nennt der Kanal seine „ProSieben-Bundestagswahl-Show“. „Politik in der Primetime bei ProSieben. Wie geil ist das denn?!“, so Moderator Louis Klamroth zu seiner neuen „Show“. Ebenfalls mit zwei ARD-Importen auf Sendung das neue ProSieben-Journal „Zervakis & Opdenhövel. Live.“

Dass die deutschen Privatsender den Anforderungen an mehr Informationsangebote wie klassische Nachrichten und Dokumentationen jetzt mehr gerecht werden, hat sicher zum einen mit dem stark erhöhten Informationsbedürfnis durch die Covid-Pandemie zu tun. Auch bei den Privaten sind die Nutzerzahlen für entsprechende Angebote seit 2020 gestiegen, im TV und online. Die aktuelle Weltlage – von Klimakrise über die Politik der Bundesregierung bis Chinas wachsendem internationalen Einfluss – lässt kaum erwarten, dass sich das Informationsbedürfnis verringert.

In Konkurrenz zu Streamingdiensten

Der Hauptgrund für den Strategiewechsel der Privaten dürfte allerdings ein anderer sein. Filme und Serien, einst Aushängeware der Privaten, werden inzwischen immer mehr bei den neuen Mitbewerbern Netflix, Amazon Prime und Disney+ gesehen. Laut Ampere/Handelsblatt konnten die Streamingdienste ihre Reichweiten in Deutschland seit Anfang 2020 kräftig ausbauen, demnach hatte Netflix im Jahr 2020 10,9 Millionen Abonnent*innen in Deutschland, Prime Video sogar 14,6 Millionen Nutzer. Entsprechend sind auch Filmrechte nicht mehr ohne weiteres zu erhalten. Immer mehr Studios, allen voran der übermächtige Disney Konzern (inkl. FOX und Marvel), halten diese für ihre eigenen Streamingangebote zurück. Auch mit sonstiger Unterhaltung ziehen die US-Plattformen auf dem regionalen deutschen Markt nach und bieten verstärkt eigenproduzierte deutschsprachige Comedy- und Showformate an (u.a. „Last one Laughing“, „Binge“, oder „Chris Tall presents“ auf Amazon Prime). Auch verfügen die Sender kaum über Budgets, die mit denen von Amazon, Netflix oder Disney mithalten könnten.

Ob die Privaten mit ihrer Strategie erfolgreich sein werden, ist noch nicht ausgemacht. Vor allem die Frage nach der Konkurrenzfähigkeit der Inhalte steht im Raum. Durch ein engmaschiges Korrespondentennetz mit gut ausgebildeten Journalist*innen zeichnen sich die beitragsfinanzierte ARD und das ZDF durch eine beispielhafte Berichterstattung aus. (Allein für die ARD-Stationen sind über 100 Auslandskorrespondenten tägig.) Den Informationen und Analysen von ARD und ZDF wird vertraut, wie langjährige Erhebungen zeigen. Allein die Personality eines Jan Hofer wird das auf Dauer kaum kompensieren.

 

 

 

 

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