Mehr Transparenz bei Auftragsvergabe durch ARD und ZDF gefordert
Früher funktionierte die Zusammenarbeit zwischen öffentlich-rechtlichen Sendern und Fernsehproduzenten ganz einfach: Die einen erteilten Aufträge, die anderen setzten sie um. Inzwischen aber haben sich die Rahmenbedingungen radikal geändert: Es gibt deutlich mehr Produktionsfirmen, als der Markt ernähren kann; entsprechend hart ist der Wettbewerb. Unternehmen können es sich nicht mehr leisten, auf Aufträge zu warten, sie müssen ihre Stoffe selbst entwickeln und anbieten; die Sender können sich dann die Rosinen rauspicken. Das hat einen Konflikt verschärft, der in der Branche schon lange schwelt. Da alle großen Sender eigene Produktionsfirmen besitzen, sehen unabhängige Produzenten einen klaren Wettbewerbsnachteil.
Für viele kleinere Unternehmen sind die Stoffentwicklungskosten laut Uli Aselmann, Mitglied im Vorstand der Produzentenallianz, zu einem Problem geworden: „weil sie mit einer dünnen Kapitaldecke und eingeschränkten Kreditlinien gegenüber den Unternehmen mit finanzstarken Gesellschaftern im Nachteil sind.“
Vielleicht ändert sich das jedoch. Der MDR hat kürzlich einen für deutsche Verhältnisse ungewohnten Weg gewählt und Produzenten dazu aufgerufen, Konzepte für ein neues Thüringer „Tatort“-Team einzureichen. Den Zuschlag erhielt FFP New Media, was durchaus überraschte: Die Firma hat zwar viel Erfahrung mit Filmen für den Sonntagabend, aber das beschränkt sich auf die Pilcher-Schmonzetten im ZDF. „Wir Produzenten müssen heute viel stärker wie Buchverleger agieren, die den Markt analysieren, und uns fragen, welche Zielgruppe ein Sender erreichen will“, sagt FFP-Geschäftsführer Michael Smeaton. Auch andernorts wird das Vorgehen des MDR begrüßt. Mario Krebs, Geschäftsführer von Eikon-West, weist darauf hin, dass bei Ausschreibungen „auch Quereinsteiger auf Sendeplätze kommen, die sie sonst nie erreichen würden. Normalerweise ergeben sich aus der Zusammenarbeit von Sender und Produzent Folgeprojekte. Entsprechend schwierig ist es für Newcomer, zum Zuge zu kommen.“ Gerhard Schmidt, Geschäftsführer von Gemini Film und Vorstandsmitglied des Film & Fernseh Produzentenverbandes NRW, kommentiert dieses „Pitching“ genannte Verfahren im Hinblick auf den Wettbewerb zwischen unabhängigen Unternehmen und Konzerntöchtern: „In der Regel haben die Senderfirmen bei der Auftragsvergabe einen Wettbewerbsvorteil, weil sie Informationen über frei werdende Programmplätze deutlich früher und präziser bekommen als die unabhängigen Produzenten. Daher sind wir sehr erfreut, dass es nun ein Mittelding zwischen der bislang üblichen willkürlichen Vergabe von Aufträgen und einer formellen Ausschreibung gibt.“ Aus Gewerkschaftssicht forciert das Pitching allerdings den ohnehin grassierenden Unterbietungswettbewerb bei Produktionskosten und Anzahl der Drehtage. „Ein Pitching muss zwingend nicht nur nach Kosten, sondern auch nach klar definierten Kriterien wie fairen Arbeitsbedingungen und Qualitäts- und Produktionsstandard ausgeschrieben werden, insbesondere bei Aufträgen durch ARD und ZDF“, kritisiert der für Rundfunk und Film zuständige ver.di-Tarifsekretär Matthias von Fintel.
Der Interessensverband der nordrhein-westfälischen Produktionsfirmen hat Ende 2012 ein Konzept vorgelegt, das von ARD und ZDF unter anderem mehr Transparenz bei der Auftragsvergabe verlangt. Auch die Allianz der deutschen Film- und Fernsehproduzenten fordert seit Jahren eine detaillierte Auskunft über den genauen Umfang der Auftragsproduktionsmittel. Mehr Transparenz würde zudem dazu beitragen, Missbrauchsfälle wie den Millionenbetrug des Herstellungsleiters beim Kinderkanal oder den Skandal um NDR-Fernsehfilmchefin Doris Heinze zu verhindern. Die öffentlich-rechtlichen Häuser reagieren auf solche Forderungen regelmäßig mit dem Hinweis auf die interne Kontrolle: „Wir werden vom Fernseh- und vom Verwaltungsrat kontrolliert. Die Gremien achten auch sehr genau darauf, wie wir mit dem Geld der Gebührenzahler umgehen“, sagt beispielsweise Reinhold Elschot, Fernsehfilmchef des ZDF. Auch NDR-Fernsehfilmchef Christian Granderath hat für die Haltung der Produzenten „nur bedingt Verständnis. Um Missbrauch zu verhindern, muss man ganz woanders ansetzen.“
Nachholbedarf
Trotzdem sieht ein juristischer Berater der Allianz großen Nachholbedarf: „Die Intransparenz der deutschen Produktionsbranche sucht weltweit ihresgleichen. Anderswo ist die Transparenz viel größer, dort müssen die Sender veröffentlichen, mit welchen Produktionsfirmen sie welche Umsätze machen. In Deutschland gibt es diese Vorschrift nicht.“ Die Hinweise der öffentlich-rechtlichen Sender auf die Kontrolle durch ihre Gremien lässt der Jurist nicht gelten: weil sich „deren Mitglieder in der Regel mit dem Sender solidarisieren.“ Fast naheliegend sei daher „die Vermutung, dass dieser Mangel an Transparenz auch gewisse Tendenzen der Mauschelei nach sich zieht.“ Produzenten hüten sich allerdings, diesen Missstand offen anzusprechen: „Man wird allzu leicht zur persona non grata“, sagt ein Mitglied der Allianz. Mehr Transparenz würde „nicht nur dazu führen, dass sich die Firmen gegenseitig stärker auf die Finger schauen, sondern wäre auch eine Garantie für mehr Vielfalt“, vermutet ein Produzent.
Bei den Sendern sieht man allerdings keinerlei Handlungsbedarf. Elschot findet, das ZDF arbeite „sehr vertrauensvoll und mit großem Erfolg mit vielen Produzenten, größeren wie kleineren, zusammen.“ Die Haltung von Gebhard Henke, WDR-Programmbereichsleiter Fernsehfilm, Kino und Serie, ist ähnlich: „Als gebührenfinanzierter Sender sind wir ohnehin zur Pflege der Produktionslandschaft verpflichtet.“ Er betrachtet Vielfalt „als einen Wert an sich“, denn „an einer Monokultur können Sender kein Interesse haben. Außerdem stehen kleine Firmen oft für überraschend kreative Ansätze.“ Für Christian Granderath hängt die Vergabe eines Auftrags „grundsätzlich vom jeweiligen Projekt ab. Der Stoff steht immer im Mittelpunkt. Wer am besten geeignet ist, ihn umzusetzen, sollte den Zuschlag bekommen.“ Das ergebe sich oft schon durch die bisherigen Arbeiten und die damit verbundene Kernkompetenz: „Das eine Unternehmen steht eher für Krimi, das andere eher für Drama.“ Natürlich spiele bei der Auswahl auch der Ruf einer Firma und ihre ökonomische Seriosität eine wichtige Rolle, aber mindestens genauso wichtig seien kreative Argumente: „Wir arbeiten ja in einem People’s Business und verfolgen selbstverständlich, welche Autoren, Regisseure und Produzenten sich in bestimmten Genres besonders hervorgetan haben.“ Ganz wichtig sei dabei auch, ob es sich um einen Fernsehfilm oder um eine Serie handele: „Für Serien, erst recht für Daily Soaps oder Telenovelas, muss man ganz andere Produktionsabläufe beherrschen als für einen Fernsehfilm. Eine kleine Firma könnte das gar nicht stemmen.“ Elschot, selbst elf Jahre lang Geschäftsführer der ZDF-Tochter Network Movie, sieht das genauso: „Woher weiß ich denn, dass die Firma in der Lage ist, die zwölfteilige Serie, die sie uns anbietet, überhaupt zu realisieren? Um so etwas zu schaffen, muss man sehr, sehr gut aufgestellt sein, kreativ wie ökonomisch.“
Frei in der Auftragsvergabe
Eine besondere Rolle spielen in diesem Zusammenhang die Tochterfirmen der Sender. Mario Krebs ist überzeugt, die vom ZDF 1998 bei der Gründung von Network Movie als Grenze genannte Marke von 10 Prozent sei „mit Sicherheit überschritten. Mittlerweile dürfte sich der Anteil der Eigenproduktionen eher den 20 Prozent nähern.“ Seit 2007 hält das ZDF zudem 50 Prozent der Anteile an der Bavaria Fernsehproduktion GmbH (Grafik S. 13). Die Tochter der mehrheitlich WDR, SWR und MDR gehörenden Bavaria Film produziert für das „Zweite“ unter anderem Serien wie „Rosenheim Cops“ und „Soko Stuttgart“. Network Movie wiederum steht vor allem für Filmreihen wie „Einsatz in Hamburg“ oder „Nachtschicht“ sowie für diverse Serien. Aber wenn man neuen Input bekommen wolle, sagt Krebs, „muss man die Marktvielfalt erhalten. Bevorzugt man strukturell die eigenen Töchter, trocknet man andere Bereiche aus.“ Der früheren NDR-Fernsehfilmchefin, glaubt der Geschäftsführer von Eikon-West, hätten diese Strukturen in die Karten gespielt: „Doris Heinze konnte nach eigenem Gutdünken schalten und walten. Das war nicht nur ein Problem der mangelnden Kontrolle, sondern auch der Monopolbildung bei der Auftragsvergabe an die Studio-Hamburg-Gruppe und der damit verbundenen Abhängigkeit freier Produktionsfirmen von den wenigen verbliebenen Aufträgen. Mit echtem Wettbewerb hätte man solche krummen Geschäfte vermeiden können.“ Elschot bleibt dennoch bei seiner grundsätzlichen Position: „Das ZDF ist selbstverständlich frei in seiner Auftragsvergabe.“ Dabei habe man neben dem Hauptkriterium Qualität „sehr wohl auch die Entwicklung der senderungebundenen Produzentenszene im Blick.“ Mit Nachdruck weist er darauf hin, dass das ZDF niemanden bei der Auftragsvergabe bevorzuge. Das gelte auch für die eigene Tochter. Selbst ein Mitglied der Produzentenallianz räumt ein, dass die Tochterfirmen von ARD und ZDF bei Vertragsverhandlungen nicht besser behandelt würden als externe Unternehmen. Aber natürlich sorgten die Sender dafür, dass ihre Töchter gesund seien, und das gehe aus Gründen der Beihilfekontrolle nur über Aufträge, denn Subventionen seien ja nicht erlaubt: „Wenn die Bavaria über viele Jahre Verluste machen würde, hätten die Gesellschafter irgendwann nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein beihilferechtliches Problem.“
Frühe Produktionsverträge
Kein Wunder, dass es die Branche begrüßt, wenn die Sender öffentlich um konkrete Konzepte für bestimmte Sendeplätze bitten. Kürzlich hat auch der WDR anlässlich des angekündigten Endes der Serie „Die Anrheiner“ zu einem „Pitch“ für neue regional verortete Formate aufgerufen. Medienrechtsexperte Oliver Castendyk erinnert allerdings daran, dass die Medaille zwei Seiten hat: „Einerseits ist es natürlich gut, wenn offen kommuniziert wird, was die Sender brauchen; selbst wenn der Prozess nicht so formalisiert ist wie in Großbritannien, wo die BBC dies auf ihrer Website öffentlich macht. Aber es ist ein großer Fortschritt gegenüber der verbreiteten Gepflogenheit, einen Produzenten zu beauftragen, mit dem man ohnehin schon dauernd zusammenarbeitet. Andererseits: Wenn jeder vakant werdende Sendeplatz ausgeschrieben wird, bedeutet das für die Produzenten, dass sie noch stärker in Vorleistung gehen müssen, ohne zu wissen, ob sich die Investition überhaupt rentieren wird.“ Bei einem fundierten „Pitching“-Papier oder bei Serienkonzepten muss man laut Mario Krebs „von Kosten in Höhe von mindestens 10.000 Euro ausgehen.“ Markus Brunnemann (Phoenix Film) spricht sogar von „sechsstelligen Beträgen, wo vor zwanzig Jahren ein Titel und fünf Zeilen Inhalt reichten.“ Henke (WDR) hat in dieser Hinsicht ein gutes Gewissen: „weil wir schon früh Buch- oder Produktionsvorbereitungsverträge abschließen. Wir bezahlen also für die Stoffentwicklung, ohne die Garantie zu haben, dass ein Projekt am Ende auch tatsächlich realisiert wird.“
Tilmann Gangloff
Bavaria Film GmbH – ein komplexes Firmengeflecht
Die Bavaria Film GmbH ist ein erfolgreiches Film-Produktionsunternehmen und ein Beispiel für die Verflechtungen bei ARD und ZDF mit ihren Tochterfirmen.
Mit Sitz in der Filmstadt Geiselgasteig im Süden von München hat die Bavaria Film heute mehr als 50 Tochter- und Beteiligungsfirmen.
In der Grafik sind im Wesentlichen Produktionsfirmen berücksichtigt, hinzukommen zahlreiche Dienstleistungsbetriebe. Gesellschafter der Bavaria Film GmbH sind die WDR Mediagroup GmbH, die SWR Media Services GmbH, die Bavaria Filmkunst GmbH, die LfA Gesellschaft für Vermögensverwaltung mbH und die DREFA Media Holding GmbH.