Freispruch für Meşale Tolu: Nach vier Jahren und mehr als acht Monaten endet damit ein mehr als zweifelhaftes, politisch motiviertes Verfahren der türkischen Justiz gegen die deutsche Journalistin und Übersetzerin. Tolu hatte in Istanbul unter anderen für die linksgerichtete Nachrichtenagentur Etha gearbeitet hatte, war im April 2017 inhaftiert und später wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation sowie Terrorpropaganda angeklagt worden.
Meşale Tolu galt neben anderen deutschen Staatsbürgern wie Deniz Yücel und Peter Steudtner zeitweise als prominentes Faustpfand in der Hand der türkischen Regierung. Auch Tolus Ehemann war verhaftet worden, über Monate saß die Journalistin kurdischer Herkunft getrennt von ihrem kleinen Sohn und dann gemeinsam mit ihm in der Gefängniszelle.
Heute geht ein Willkürverfahren zu Ende, das nicht nur wegen der zeitweise unmenschlichen Haftbedingungen eine breite Solidaritätskampagne u.a von ver.di und „Reporter ohne Grenzen“ (RSF), aber auch in Tolus Heimatstadt Ulm hervorgerufen hatte.
Der Prozess gegen sie begann im Oktober 2017, rund zwei Monate später wurde Tolu unter Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen. Im August 2018 durfte sie nach Aufhebung der Ausreisesperre nach Deutschland zurück. Sie verarbeitet Erlebtes in dem Buch „Mein Sohn bleibt bei mir! Als politische Geisel in türkischer Haft – und warum es noch nicht zu Ende ist“ und setzt sich vehement für Pressefreiheit ein.
Monique Hofmann, Bundesgeschäftsführerin der dju in ver.di, gratulierte zum Freispruch auf Twitter: „Wir freuen uns mit Dir!“ Direkt aus Istanbul kamen Glückwünsche von RSF-Geschäftsführer Christian Mihr, der bei der Urteilsverkündung dabei war. „Die Vorwürfe waren von Anfang an haltlos“, sagte er. Meşale Tolu „hätte niemals die Torturen der monatelangen Untersuchungshaft und die vier Jahre Unsicherheit in einem absurd langen Prozess durchmachen müssen.“ Für Mihr bildet das Verfahren einen weiteren „Beweis für die Nicht-Rechtsstaatlichkeit in der Türkei“. Es landeten inzwischen zwar weniger Medienschaffende in türkischen Gefängnissen, doch seien viele durch Auflagen „geistig eingesperrt.“
Nachdem die türkische Justiz zuvor schon vom Terrorvorwurf abgerückt war, zog sich der Prozess gegen Meşale Tolu dennoch weiter in die Länge. Zwei ihrer Anwältinnen wurden ebenfalls verhaftet. Ein vor Weihnachten 2021 angekündigter Urteilsspruch wurde zuletzt nochmals verschoben. Nun ist die Journalistin am 17. Januar 2022 in beiden Anklagepunkten freigesprochen worden. Freisprüche gab es auch für ihren Mann Suat Corlu und weitere Angeklagte.
Aktuell sitzen laut „Reporter ohne Grenzen“ in der Türkei mindestens noch zehn Medienschaffende im Gefängnis. Die Zahl sei deutlich niedriger als 2017 oder 2018, doch habe sich vorrangig die Art der Repression verändert. Unliebsame Medienschaffende bekämen de-facto Berufsverbote und keine Presseausweise; sie müssten sich regelmäßig bei der Polizei melden und erhielten Ausreisesperren. Auf der RSF-Rangliste der Pressefreiheit steht die Türkei auf Platz 153 von 180 Staaten.
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