Mesale Tolu bleibt Erdogans Faustpfand

Heute findet die 20. „Ulmer Freitagsdemo“ statt, bei der Freiheit für die Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu gefordert wird. Die Hoffnung, dass die 32-Jährige, die wie Reporter Deniz Yücel, Menschenrechtler Peter Steudtner und andere in türkischer Haft sitzt, nach mehr als fünf Monaten frei kommen könnte, hat sich nach dem ersten Prozesstag am 11. Oktober wieder zerschlagen. Der Ruf nach mehr Druck aus Deutschland wird lauter.

Die deutsche Staatsbürgerin Mesale Tolu, die zuletzt als Journalistin und Übersetzerin für die linke Nachrichtenagentur ETHA in Istanbul arbeitete, hat zum Prozessauftakt im Hochsicherheitstrakt von Silivri am Mittwoch alle Anklagevorwürfe zurückgewiesen: “Ich habe keine Verbindungen zu illegalen Organisationen. Ich fordere meine Freilassung.“ In einer zehnminütigen Verteidigungsrede ging sie detaillierter auf die Vorwürfe ein, für die in der Türkei verbotene Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei aktiv zu sein oder Propaganda für sie gemacht zu haben, weshalb ihr bis zu 15 Jahre Gefängnis angedroht sind. Sie wehrte sich gegen Anschuldigungen eines „geheimen Zeugen, der nicht einmal meinen Namen weiß“, und verteidigte die Agentur ETHA, die „in allen Situationen objektiv geblieben“ und ja auch nicht verboten sei. Zum Vorwurf, dass sie an der 1.-Mai-Demonstration in Istanbul mit Molotowcocktails und Waffen habe teilnehmen wollen, erinnerte sie daran, dass sie bereits am Vortag in ihrer Wohnung „von Spezialeinheiten, die ihre Waffen auf meinen zweieinhalbjährigen Sohn gerichtet hatten“ festgenommen worden sei.

Den Antrag ihrer Verteidigung, Tolu aus der Untersuchungshaft zu entlassen, lehnte das Gericht später ab. Acht der Angeklagten wurden auf freien Fuß gesetzt, doch auch Mesale Tolu muss im Gefängnis bleiben, bis der Prozess am 18. Dezember fortgesetzt werden soll. Die Journalistin ist im Istanbuler Gefängnis Bakirkoy mit bis zu 24 Frauen in einer Zelle inhaftiert. Ihr kleiner Sohn ist fast ständig bei ihr. „Präsident Ergogan hat meine Tochter als Geisel genommen“, sagt Vater Ali Riza Tolu, der Tochter und Enkel einmal pro Woche besuchen darf.

Prozessbeobachter aus Deutschland fordern, dass die Bundesregierung den politischen Druck auf die Türkei deutlich erhöhen müsse. Die Bundestagsabgeordnete der Linken Heike Hänsel, die als einzige deutsche Parlamentariern zum Prozess gegen Tolu gereist war, bezeichnete das Verfahren als „politischen Schauprozess“ mit einer „konstruierten Anklage“. Die Atmosphäre sei „martialisch“ und „gespenstisch“ gewesen, unter solchen Bedingungen dürfte es „ganz schwierig“ werden, Mesale Tolu schnell frei zu bekommen. Die Bundesregierung müsse aktiver werden, um etwas für die Journalistin und andere in der Türkei quasi als „Geiseln“ Inhaftierte zu erreichen. Es brauche eine „klare Ansage an Präsident Ergogan“, erklärte die Linken-Fraktionsvize.

Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, hatte vor dem Prozess Entspannungssignale vom türkischen Außenminister wahrgenommen und die Hoffnung geäußert, dass zumindest die Untersuchungshaft für Mesale Tolu ausgesetzt werden könnte. Die Staatsanwaltschaft habe keine neuen glaubwürdigen Belege präsentiert und die Entscheidung, Tolus Haft zu verlängern, zeige erneut, „dass von einer unabhängigen Justiz in der Türkei keine Rede sein kann“, sagt er später.

„Erdogan versteht nur die harte Sprache des Geldes und die müssen wir offenbar sprechen, um Mesale Tolu und den anderen zu helfen“, wird Grünen-Chef Cem Özdemir von der „Schwäbischen Zeitung“ zitiert.

Nachdem am 9. Oktober auch die Anklageschrift gegen den Menschenrechtler Peter Steudtner bekannt geworden war, dem ebenfalls eine langjährige Haftstrafe drohen könnte, hatte ver.di-Vize Frank Werneke die sofortige Freilassung als das nötige Signal gegen eine Fortsetzung von Unrecht gefordert. Deniz Yücel, Mesale Tolu, Peter Steudtner und andere politische Gefangene in der Türkei seien „zum Faustpfand einer Regierung geworden, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit mit Füßen tritt“.

Weitere aktuelle Beiträge

Türkei: Kurdische Journalisten in Gefahr

Nach Angaben der in Istanbul ansässigen Media and Law Studies Association (MLSA) standen zwischen dem 4. und 7. März mindestens 21 Journalisten vor türkischen Gerichten. Diese Zahl mag für deutsche Leser*innen schockierend sein, in der Türkei sind diese Ausmaße juristischer Verfolgung von Journalist*innen leider alltäglich. Unter dem Ein-Mann-Regime von Präsident Recep Tayyip Erdoğan sieht es mit der Meinungs- und Pressefreiheit im Land immer düsterer aus. Auch die jüngsten Daten der Journalistenvereinigung Dicle Fırat (DFG) zeigen deutlich, dass der Druck auf Journalisten wächst.
mehr »

RBB will Fehler analysieren

Der RBB räumte bereits schwerwiegende Fehler bei der Berichterstattung über den Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar ein. In einer internen Sondersitzung soll nun ein weiteres Vorgehen geklärt werden. Um den Aufklärungsprozess „konstruktiv zu begleiten“, habe der rbb-Programmausschuss für kommenden Montag eine Sondersitzung einberufen, so der Sender. Darin soll es offenbar um die Ergebnisse des Untersuchungsberichts der Beratungsfirma Deloitte gehen.
mehr »

Filmtipp: Dietrich Bonhoeffer

Das unter anderem mit August Diehl und Moritz Bleibtreu sehr gut besetzte Drama setzt einerseits ein Denkmal für den Widerstandskämpfer. Andererseits ist es umstritten, weil Dietrich Bonhoeffer im Zusammenhang mit dem Film durch rechtsnationale amerikanische Evangelikale instrumentalisiert wird. Zum US-Start waren die Nachfahren des im KZ hingerichteten deutschen Theologen entsetzt, wie sein Vermächtnis „von rechtsextremen Antidemokraten" und „religiösen Hetzern verfälscht und missbraucht" werde. Inhaltlich ist die Aufregung unbegründet. Trotzdem ist der Film nur mit Abstrichen sehenswert.
mehr »

Beschwerde gegen BND-Gesetz

Reporter ohne Grenzen (RSF) und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) reichen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Beschwerde gegen das Gesetz über den Bundesnachrichtendienst (BND-Gesetz) ein. Damit reagieren die Organisationen auf ungenügende Reformen des Gesetzes, das den Schutz von Medienschaffenden nicht ausreichend berücksichtigt. RSF und GFF erwarten sich von der Entscheidung ein Grundsatzurteil, das nicht nur Auswirkungen auf die Rechtslage in Deutschland haben wird, sondern auch Strahlkraft in die anderen Mitgliedstaaten des Europarates.
mehr »