Die Geburtsstunde des deutschen Rundfunks vor 90 Jahren
Es war am 22. Dezember 1920. Auf dem Mühlenberg in Königs Wusterhausen, auf dem die Deutsche Reichspost ihre Hauptfunkstelle betrieb, gingen seltsame Dinge vor: Schon am Nachmittag war ein Harmonium den Hügel hinauf transportiert worden. In den frühen Abendstunden folgten mehrere Männer mit Musikinstrumentenkoffern. Sechs Enthusiasten bereiteten sich auf einen Auftritt vor. Zum ersten Male sollte an diesem Abend ein Instrumentalkonzert über den auf der Anhöhe befindlichen Langwellen-Sendemast übertragen werden. Das geschah auch und wurde pünktlich um 20 Uhr mit den Worten eingeleitet: „Achtung, Achtung – hier ist Königs Wusterhausen auf Welle 2700“.
Die Übertragung gilt als die Geburtsstunde des deutschen Rundfunks. Eine Stunde lang musizierten die Hobby-Musiker, Beamte der Deutschen Reichspost. Funktechniker des Standortes auf dem Mühlenberg sorgten dafür, dass das „Weihnachtskonzert“ auch gehört werden konnte. Die Reichspost-Sendestelle verfügte über mehrere Sendemasten, die dem Militär während des I. Weltkrieges und davor als Heeres- und Marinefunkstelle gedient hatten und 1919 an die Reichspost übergeben worden waren. Obwohl es noch keine Radiogeräte gab und der Empfang nur über entsprechende Telegrafieempfänger mit Kopfhörern möglich war, wurde das Konzert in behördlichen Empfangsstationen verfolgt. Technisch klappte alles wie gedacht und fand großen Zuspruch – auch im Ausland, wie spätere Zuschriften aus Luxemburg, Holland, England und den nordischen Staaten bestätigten. In den folgenden Monaten folgten ähnliche Darbietungen, etwa zu Ostern 1921.
1922 wurden die Post-Techniker auf dem Mühlenberg – später in „Funkerberg“ umbenannt – kühner und wagten sich an die Übertragung von „Madame Butterfly“ aus der Berliner Staatsoper oder von Reden aus dem Reichstag. Ab Herbst 1922 bemühte man sich um eine regelmäßige Programmgestaltung, schon an mehreren Wochentagen fanden stundenweise Rundfunkübertragungen statt – meist aus einem einfachen Studio und Aufnahmeraum. Die Entwicklung des neuen Mediums machte Fortschritte. Am 29. Oktober 1923 startete mit der „Funkstunde“ vom Dachboden des Vox-Hauses am Potsdamer Platz der „Unterhaltungsrundfunkdienst“, womit der offizielle Rundfunk in Deutschland auf Sendung ging.
Der „Unterhaltungsrundfunk“, zunächst nur mit Detektorengeräten per Kopfhörer über eine viele Meter lange Antennenleitung zu empfangen, fand rasante Verbreitung. Von anfangs 467 registrierten Teilnehmern stieg die Zahl bereits 1925 auf 549.000, 1929 schnellte sie auf ca. 3 Millionen. Weitere Rundfunkgesellschaften entstanden 1924 in Leipzig, München, Königsberg, Breslau Hamburg und anderen deutschen Städten.
Innerhalb kürzester Zeit wuchs der Programmumfang der „Berliner Funkstunde“, die Produktion erforderte bald eigene Räumlichkeiten. In der Masurenallee wurde vom Architekten Hans Poelzig das „Haus des Rundfunks“ gebaut, das 1932 als das damals modernste Funkhaus Europas in Betrieb ging. Damit bekamen auch die Nazis 1933 ein Instrument in die Hand, das ihnen zur Massenbeeinflussung willkommen war.
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Rundfunklandschaft laut Beschluss der Siegermächte neu geordnet; in den vier Besatzungszonen entstanden unter Kontrolle der Alliierten neue Rundfunkanstalten. In der Masurenallee (Britischer Sektor) nahm unter der Leitung der Sowjetischen Militäradministration der „Berliner Rundfunk“ – wie er sich später nannte – den Sendebetrieb auf, etwas später auch der wieder ins Leben gerufene Deutschlandsender mit der Aufgabe, die Rundfunkversorgung für Berlin und die Sowjetische Besatzungszone zu übernehmen. Die häufigen Störversuche gegen das Haus in der Masurenallee seitens der Westmächte – der Kalte Krieg hatte unterdessen begonnen – zwangen zum Umzug, zunächst in ein früheres Bootshaus in Berlin-Grünau. Die junge DDR-Regierung wollte dann eine dauerhafte Lösung und beauftragte den Architekten Franz Ehrlich und den Post-Ingenieur Gerhard Probst, ein geeignetes Gebäude in Ostberlin zu finden. Eine leerstehende Holzverarbeitungsfabrik in der Nalepastraße in Oberschöneweide wurde von 1950 bis 1952 als zentrales Funkhaus des Deutschen Demokratischen Rundfunks für zunächst drei Radioprogramme ausgebaut. Bis 1956 kamen durch drei Neubauten die erforderlichen Produktionsstätten für Musik und künstlerisches Wort hinzu. Vierzig Jahre lang wurde dann in der Nalepastraße Radio gemacht: Ende 1994 stellte die letzte Station des ehemaligen DDR-Rundfunks, DS-Kultur, seinen Betrieb ein.
Und Königs Wusterhausen heute? Der Ort trägt seit 2008 den offiziellen Beinamen „Rundfunkstadt“. Von einst Dutzenden Sendetürmen ist allerdings nur der 210 Meter hohe Sendemast 21 übrig geblieben. Wer mehr über die über 90 Jahre Funkübertragung aus Königs Wusterhausen wissen möchte, kann sich im „Sender und Funktechnischen Museum“ – untergebracht im ehemaligen Sendehaus 1 – informieren. Dort sind auch Teile der Sendeanlage Köpenick ausgestellt. Seit einiger Zeit wird auf dem Funkerberg auch wieder Rundfunk gemacht. Der private „Sender KW“ gestaltet ein lokales Vollprogramm, das in den südlichen Ortsteilen von Treptow-Köpenick und im Altkreis Königs Wusterhausen sowie rund um Erkner und Fürstenwalde auf den UKW-Frequenzen 93,9 MHz und 105,5 MHz zu empfangen ist. Der Rundfunk ist also an seinen Entstehungsort zurückgekehrt. Auf den Funkerberg ist auch der 2008 aus Adlershof vertriebene „Nipkow-Club“ gezogen, eine Vereinigung ehemaliger Mitarbeiter des Deutschen Fernsehfunks, die die Tradition erhalten wollen. Der Club ist Mitglied im Förderverein „Sender KW e. V.“ und gestaltet am 18. Dezember nachmittags das „Weihnachtskonzert 2010“ in der Maschinenhalle des Funkerberg-Museums.