Bei der „Süddeutschen Zeitung“ wurde ein neuer Betriebsrat gewählt. Das Ergebnis ist auch für ver.di ein großer Erfolg: Zehn von 15 neuen Betriebsräten sind ver.di-Mitglieder. Ein beharrliches Angehen von „harten Themen“, das Anlegen gleicher Standards sowie ein Fokus auf die Jugend zeigen, was eine engagierte Gewerkschaft auch in schwierigen Zeiten erreichen kann. Für Betriebsratsvorsitzenden Jens Ehrlinger ist so ein wichtiges Ziel erreicht worden.
Das Ziel war klar: „Wir wollten wieder einen gemeinsamen, großen und damit handlungsfähigen Betriebsrat für alle Kolleg*innen in den sechs Unternehmen, die wir bis dato vertraten, sagt Jens Ehrlinger. „Wir freuen uns sehr, dass uns dies erneut gelungen ist und somit kein Bereich der Gefahr der Betriebsratslosigkeit ausgesetzt wurde.“
Mitte März wurde in der „Süddeutschen“ und fünf weiteren Unternehmen gewählt. Noch unter Pandemie-Bedingungen. Das Ergebnis der Persönlichkeitswahl kann sich für ver.di sehen lassen: 10 von 15 Mitgliedern des neuen Betriebsrats sind ver.di-Mitglieder. Von den zwölf Ersatzmitgliedern sind 7 bei der Dienstleistungsgewerkschaft. „Dafür haben wir im Vorfeld viel getan: Brisante Themen gesetzt und bearbeitet, aber auch ganz gezielt junge engagierte ver.di-Kolleg*innen angesprochen und für die Mitarbeit im Betriebsrat gewonnen.“ Der einzig bittere Beigeschmack für Ehrlinger: Der Stress bei der Durchführung von Betriebsratswahlen unter Pandemiebedingungen und die mit 50 Prozent historisch niedrige Wahlbeteiligung. 2018 waren es noch 68 Prozent. Verantwortlich dafür sei die Politik: Der Gesetzgeber habe nicht für Rechtsklarheit gesorgt bei der Durchführung von Betriebsratswahlen unter Pandemiebedingungen, indem es zum Beispiel erlaubt worden wäre, dass Briefwahlunterlagen einfach automatisch an alle Wahlberechtigte verschickt werden dürfen. Wir mussten deshalb alle Kolleg*innen persönlich erreichen, anschreiben, den Ablauf erklären und sie immer wieder daran erinnern, dass sie laut Betriebsverfassungsgesetz die Briefwahlunterlagen selbst anfordern müssen. „Das hat uns viel Zeit und Energie gekostet: „Viele Wahlunterlagen kamen dann leider nicht mehr fristgemäß zurück“, bedauert Ehrlinger.
Onliner in die Redaktion integriert
Ein wesentlicher Grund für den Erfolg der ver.di-Kandidat*innen dürfte die Beharrlichkeit und große Kontinuität der bisherigen Betriebsratsarbeit sein. Das lässt sich durch positive Nachrichten auch konkret belegen: Dem Betriebsrat gelang zusammen mit der Chefredaktion die ca. 120 Online-Kolleg*innen aus der SZ Digitale Medien GmbH in die Redaktion der Süddeutschen Zeitung GmbH zu integrieren und damit für alle Redakteur*innen den Übergang in einen tarifgebundenen Arbeitsvertrag zu sichern. Das Motto: Ein Unternehmen mit gleichen Bedingungen für alle zu schaffen statt Spaltung und unterschiedliche Standards. In Zeiten eines sich rasant veränderten journalistischen Berufsbildes hin zu crossmedialer Berichterstattung aus gewerkschaftlicher Sicht ein wichtiger Schritt für gute Arbeitsbedingungen mit Perspektive in Verlagen.
„Das war ein sehr großer Erfolg gegen alle aktuellen Trends in der Branche“, freut sich Ehrlinger. Denn in vielen anderen Verlagshäusern sei die Zerschlagung großer Betriebsratsgremien schon längst bittere Realität: Ehemals große Betriebe wurden in den letzten Jahren in immer kleinere Firmen aufgeteilt mit immer kleineren Betriebsräten, häufig ohne Freistellung. Und das angesichts sich ständig verschlechternder Arbeitsbedingungen für die Kolleg*innen sowie massiver Tarifflucht.
Homeoffice klar geregelt
Ausschlaggebend für die Wahlentscheidung waren für Ehrlinger diese „harten Themen“. Statt leerer Versprechungen konnten er und seine Kolleg*innen im Wahlkampf auf reale Erfolge der Betriebsratsarbeit verweisen: Zum Beispiel auf eine Betriebsvereinbarung zum Thema Homeoffice. Sie schließt Regelungen zur Kostenerstattung, zum Datenschutz, zur Datensicherheit zum Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit, zum Gesundheitsschutz und zur Einhaltung der Arbeitszeiten ein.Auch die nächste Auseinandersetzung läuft gegen die „Ausuferung unbezahlter Arbeitszeiten“: Mit Nachdruck kämpft der neue Betriebsrat jetzt für eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung, um die EU-Richtlinien bezüglich Arbeits- und Gesundheitsschutz umsetzen zu können.
Jens Ehrlinger ist ein erfahrener Betriebsrat und engagierter Gewerkschafter: Nach Abitur, Zivildienst und ein paar Semestern Studium des öffentlichen Rechts hat er sich 1994 „ganz bewusst“ für den Süddeutschen Verlag entschieden. 2004 wurde er Schwerbehindertenvertreter und dann 2006 in den Betriebsrat gewählt, es folgten 2008 Freistellung und Stellvertreterposten und seit 2017 der Vorsitz: „Wir haben im Betriebsrat eine gute Mischung aus Jung und Alt, Frauen und Männern, Menschen aus der Redaktion und den anderen Berufsgruppen im Verlag.“ Das Erfolgsrezept dieses Gremiums: „Wir machen das für die Kolleg*innen in einem guten Team. Zu diesem Team gehören alle, angefangen bei den Vorsitzenden bis hin zu den Ersatzkandidat*innen.“
Salamitaktik und Tarifflucht verhindern
Zeit zum Durchschnaufen hat der neue Betriebsrat nicht: Für große Unruhe und Verunsicherung im Verlag hat in den letzten Wochen und Monaten der Verlust namhafter Redakteur*innen gesorgt. Das kratzt am Image der SZ. Die Gründe hierfür sind sicher vielfältig und individuell unterschiedlich. Oft geht es laut Ehrlinger aber um Wertschätzung. Das fängt an bei Fragen von Befristungen und endet bei Eingruppierungen oder der bloßen Einhaltung von geltenden Tarifverträgen. Mal ignoriert man bei Verlagsangestellten die 35-Stundenwoche und damit den geltenden MTV, mal werden bei Redakteur*innen Berufsjahre nicht anerkannt. Jetzt wurde „Ersatz“ für den Weggang prominenter Redakteur*innen versprochen. Der Betriebsrat ist gespannt.
„Wir wollen auf jeden Fall das weitere Herausschneiden von Abteilungen und die damit stets verbundene Tarifflucht inklusive Stellenabbau insbesondere auch in den Verlagsbereichen verhindern“, sagt Ehrlinger. Dafür brauche es in der Zukunft starke Gewerkschaften und Betriebsräte: Nur so lasse sich der ständige Angriff auf Arbeitsschutzrechte stoppen. „Standards erhalten und verbessern, dafür werden wir weiterkämpfen“, so der Vorsitzende. Doch für diese großen „Abwehrkämpfe“ sei vor allem auch der Gesetzgeber gefordert: Er sollte endlich die Lücke des § 613a „Rechte und Pflichten bei Betriebsübergang“ im Bürgerlichen Gesetzbuch schließen. „Solange Unternehmer es für ihren eigenen Vorteil einfach machen dürfen und wir als Betriebsrat dagegen machtlos sind, werden die Aufspaltung der Belegschaften und der damit verbundene Personallabbau und die Tarifflucht weitergehen“, ärgert sich Jens Ehrlinger.