NDR: Glaubwürdigkeit in Gefahr

NDR-Landesfunkhaus Schleswig-Holstein in Kiel Foto: NDR/Christian Spielmann

Nach Medienberichten über eine mögliche Beeinflussung der politischen Berichterstattung beim NDR in Kiel will der Landesrundfunkrat Schleswig-Holstein die Vorwürfe umfassend prüfen. Gegebenenfalls werde man sich externen Sachverstand dazu holen, sagte die Vorsitzende und DGB Nord-Chefin, Laura Pooth, nach der Sitzung des Gremiums am 29. August. Zuvor hatten 72 Mitarbeitende des Senders einen Brandbrief an den Funkhausdirektor geschrieben, berichtete der „stern“. Der NDR weist die Vorwürfe zurück.

“Wir als alleinzuständiges Kontrollgremium werden diese Prüfung durchführen und dort wo es notwendig ist, externen Sachverstand hinzuziehen“, teilte der Landesrundfunkrat Schleswig-Holstein mit. Es geht um Vorwürfe eines „politischen Filters“, von Zensur und „Hofberichterstattung“ in der politischen Berichterstattung beim NDR in Kiel. “Wir nehmen die erhobenen Vorwürfe sehr ernst. Es darf selbstverständlich keine politischen Filter oder eine Arbeitsumgebung geben, die die unangemessene Einflussnahme oder das Durchregieren Einzelner ermöglicht“, sagte die Landesrundfunkratsvorsitzende. In ihrem Brief distanzieren sich die Mitarbeitenden des Landesfunkhauses vom Verhalten ihrer Chefs und fordern eine lückenlose Aufklärung der Vorwürfe. Nur so sei es möglich, „verlorenes Vertrauen bei uns und bei den Zuschauer*innen, Zuhörer*innen und Usern wieder herzustellen“.

Den Stein ins Rollen hatte „Business Insider“ in der vergangenen Woche gebracht. Das Online-Portal von Springer, das schon bei der RBB-Affäre zuerst berichtete, machte öffentlich, dass sich Journalist*innen aus Kiel mehrfach an den Redaktionsausschuss mit Beschwerden gewandt hatten, die im Vorwurf von einem „politischen Filter gipfelten.

Zu Wochenbeginn hatten sich Fernsehchef Norbert Lorentzen und die Redaktionsleiterin „Politik und Recherche“, Julia Stein, in der Sache für befangen erklärt. Der NDR wies den Vorwurf zurück, es gebe einen „politischen Filter“ im Landesfunkhaus. Die Berichterstattung sei unvoreingenommen und unabhängig. 

Entzündet hatte sich der Fall an der Berichterstattung aus dem Frühjahr 2020 um den durch Ministerpräsident Daniel Günther entlassenen Innenminister Hans-Joachim Grote (beide CDU). Innerhalb der Redaktion im Landesfunkhaus hat es laut NDR unterschiedliche Auffassungen zu einem Interview mit Grote nach dem Rücktritt gegeben. Der hatte es einem Redakteur zugesagt. Der damalige Fernsehchef und heutige Chefredakteur von NDR Schleswig-Holstein, Norbert Lorenzen, und die Politikchefin Julia Stein wollten damals aber noch die Recherche abwarten. Deswegen habe sich der Reporter an den Redaktionsausschuss gewandt. Der kam letztlich in einem 30-seitigen Bericht und einer dreiseitigen Ergänzung zu dem Schluss, das Interview hätte geführt werden müssen. Auch Interviews seien eine Form der Recherche. Die Redaktionsleitung sah dies anders. Der Redaktionsausschuss ermittelte wegen des Verdachts auf politische Einflussnahme im NDR und konnte ihn nicht ganz ausräumen. In einem 30-seitigen Bericht und einer dreiseitigen Ergänzung sah das Gremium im Umkehrschluss aber auch keine Bestätigung für die politische Einflussnahme. 

Es gibt inzwischen aber auch andere Vorwürfe – beispielsweise soll die Berichterstattung über einen Unfall des CDU-Politikers Hans-Jörn Arp unter Alkoholeinfluss 2019 vom NDR Schleswig-Holstein verschleppt worden sein. 


Aktualisierung vom 1.9.2022

NDR-Führungskräfte von ihren Aufgaben entbunden

Der Direktor des Landesfunkhauses Schleswig-Holstein, Volker Thormählen, teilte gestern den Mitarbeitenden in einer Videokonferenz mit, dass Norbert Lorentzen und Julia Stein bis auf Weiteres von ihren Aufgaben entbunden sind. Darum hätten ihn die beiden Führungskräfte gebeten. Der Direktor des NDR-Landesfunkhauses Schleswig-Holstein, Volker Thormählen, nimmt für einen Monat unbezahlten Urlaub. Er habe Intendant Joachim Knuth darum gebeten, berichtet der Norddeutsche Rundfunk am Donnerstag auf seiner Website.


Pressemitteilung vom 1.9.2022

ver.di Nord für lückenlose Aufklärung und harte Konsequenzen 

ver.di Nord fordert „eine schnelle, gewissenhafte und lückenlose Aufklärung der Vorwürfe über Manipulationen durch Führungskräfte im NDR-Landesfunkhaus Schleswig-Holstein“. Sollten sich die derzeit bekannt gewordenen Vorwürfe bestätigen, müsse es einen „harten Schnitt und Neuanfang in Fragen von Führung und Organisationsstruktur „geben, heißt es in einer Pressemitteilung am 1. September.

„Was wir in diesen Tagen erleben, ist geeignet, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seiner gesellschaftlichen Rolle massiven Schaden zuzufügen. Es ist inakzeptabel, dass integre Journalist*innen und loyale Mitarbeiter*innen, wie wir sie beim NDR kennen, in eine Arbeitssituation geraten, die von außen als System der Angst oder der gesteuerten journalistischen Arbeit bezeichnet werden kann“, so Susanne Schöttke, Landesleiterin von ver.di Nord. Aus Sicht der Gewerkschaft müssten die klaren Verantwortlichkeiten und alle bekannten Vorfälle jetzt schonungslos offengelegt und von Seiten der Hausspitze kommuniziert werden.

„Die extern derzeit häppchenweise an die Oberfläche kommenden Vorwürfe treffen die Beschäftigten, die tagtäglich mit äußerster Sorgfalt und sehr gewissenhaft ihre Arbeit erledigen, ins Mark. Es muss jetzt umgehend auf den Tisch, welche Leitungs- oder Führungskräfte wann und von wem über die schwerwiegenden Vorwürfe informiert waren. Daraus sind dann ohne Wenn und Aber personelle Konsequenzen, unabhängig von Amt und Funktion zu treffen. Sowohl die Intendanz des NDR als auch der Rundfunkrat sind in der Verantwortung, weiteren Schaden vom öffentlichen Rundfunk, der auch zukünftig für umfassende, vielfältige und objektive Berichterstattung über politische und gesellschaftliche Themen stehen muss, abzuwenden“, so Schöttke weiter.


Aktualisierung am 9. September 2022

Wegen Vorwürfen Position beim NDR aufgegeben

Die Hamburger Landesfunkhausdirektorin Sabine Rossbach wird in den kommenden Wochen ihre Arbeit im Landesfunkhaus Hamburg ruhen lassen, bis die Prüfergebnisse über die im Raum stehenden Vorwürfe der Vetternwirtschaft vorliegen. Sie hat zudem angekündigt, nicht dauerhaft auf ihre Position zurückzukehren. Ilka Steinhausen übernimmt die kommissarische Leitung des Landesfunkhauses Hamburg. Bei der bisherigen stellvertretenden Landesfunkhaus-Direktorin und Hörfunkchefin von NDR 90,3 liegt damit ab sofort auch die journalistische Verantwortung für alle Programme.

NDR-Intendant Joachim Knuth: „Sabine Rossbach macht in den kommenden Monaten den Weg frei für einen Neuanfang im Landesfunkhaus Hamburg. Wir nehmen uns jetzt die Zeit, die im Raum stehenden Vorwürfe aufzuklären.“

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