Journalisten geraten in Guatemala immer häufiger in das Visier der Justiz. Einer von ihnen ist Carlos Choc, der über einen Umweltskandal am Izabal-See und dessen Verursacher berichtete: die Mine Fénix. Die gehört zu einem Tochterunternehmen der Schweizer Solway Group. Hier wird Nickel abgebaut und dass ohne das nötige Einverständnis der indigenen Gemeinden der Region. Ein Skandal, über den dank der gemeinnützigen Rechercheplattform „Forbidden Stories“ international berichtet wurde. Doch für den indigenen Journalisten Choc hat sich nichts geändert. Er wird weiterhin kriminalisiert – von der guatemaltekischen Regierung.
El Estor heißt der Lebensmittelpunkt von Carlos Ernesto Choc. Hier steht sein Haus, hier hat er bis vor einigen Monaten mit seinen beiden Kindern gelebt. Doch in El Estor ist der Reporter des Online-Portals „Prensa Comunitaria“ nicht mehr sicher. Zwei Strafanzeigen liegen gegen den mittelgroßen, kräftigen Mann mit den munter blickenden Augen und der vollen, warmen Stimme vor. Eine von der Mine Fénix und eine weitere von einer Gruppe von Polizisten. Beide haben in der Stadt am Izabal-See das Sagen. „El Estor ist militarisiert. Alles rund um die Mine wird kontrolliert, um die Förderaktivitäten der Mine zu schützen“, sagt Choc. Er ist immer wieder inkognito in El Estor, um Informationen zu sammeln, um mit den Aktivist*innen der lokalen Umweltbewegung und den Fischern am Izabal-Sees zu sprechen oder alte Freunde zu treffen.
Das ist riskant, denn gegen Choc liegt ein Haftbefehl vor. Deshalb trifft er sich lieber in den Räumen der ihn juristisch vertretenden Menschenrechtsorganisation CALDH in Guatemalas Hauptstadt mit dem Kollegen aus Deutschland. „Ich habe 2017 begonnen, zur Mine, ihrer Konzession und der Kontaminierung des Izabal-Sees zu recherchieren. Dabei habe ich festgestellt, dass es nie eine Befragung der lokalen Bevölkerung gab, ob sie mit der Aufnahme der Nickelförderung in der Region einverstanden ist“, so der 40-jährige Journalist und alleinerziehende Vater. Genau das schreibt aber die Konvention 169 zum Schutz indigener Völker der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) vor. Unstrittig ist, dass die indigene Gruppe der Maya Q’eqchi, der auch Choc angehört, hätte gefragt werden müssen.
Das hat auch das guatemaltekische Verfassungsgericht bestätigt, das im Juni 2020 die Bergwerksbetreiber aufforderte, den Nickelabbau einzustellen. Dem kam das Unternehmen zwar offiziell nach, aber die Laster rollten weiterhin, wie Carlos Choc berichtete. Der Journalist ist incomodo, unbequem – aus der Perspektive der Minen-Betreiber und der guatemaltekischen Regierung. Letztere hat die Nickelförderung am Izabal-See immer verteidigt. „Schon 2017, als ich die Schüsse dokumentierte, die den Fischer Carlos Maaz töteten, der gegen die Kontaminierung des Izabal-Sees protestierte, wiegelten Regierungsstellen ab. Sie bestritten, dass die Mine für die Kontaminierung des Sees verantwortlich sei. Seitdem werde ich kriminalisiert, obwohl ich nur meine Arbeit mache – sauber dokumentiert“, so der seit Anfang 2017 für „Prensa Comunitaria“ arbeitende Journalist.
„Prensa Comunitaria“ unter massivem Druck
Das Online Portal ist in Guatemala derzeit das wichtigste Medium, das direkt aus den ländlichen, oft indigen geprägten Regionen des Landes berichtet. Umweltkonflikte im Kontext des Bergbaus, agroindustrielle Palmöl-Projekte, Korruption oder Landkonflikte sind wiederkehrende Themen, die auch Carlos Choc aufgreift. „Früher sind meine kritischen Beiträge für Regionalradios entschärft, de facto zensiert worden. Deshalb arbeite ich für ‚Prensa Comuntaria‘.“ Das Online-Portal steht unter massivem Druck. Polizei und Justiz gingen nicht nur gegen Choc vor, sondern auch gegen seine Kollegen Jerson Xitumal und Baudilio Choc. Der eine landete 2018 für 38 Tage in Untersuchungshaft und hat die Berichterstattung eingestellt. Den anderen versuchten Polizeibeamte bei Protesten im Oktober 2021 in El Estor einzuschüchtern und seine Berichterstattung zu unterbinden. Ebenso erfolglos wie bei Carlos Choc, dessen Arbeit dank der internationalen Rechercheplattform „Forbidden Stories“ auch international bekannt ist. Die wurde auf den Fall und die Praktiken rund um die Mine Fénix aufmerksam. Im Frühjahr 2021 erschien eine Reihe von Artikeln in Tageszeitungen wie der spanischen „El País“, im britischen „Guardian“, der französischen „Le Monde“ oder der „Süddeutschen Zeitung“.
Für Carlos Choc war die Zusammenarbeit mit den internationalen Kollegen vor Ort eine motivierende Erfahrung. „International hatte sie den Effekt, dass mehrere Unternehmen fortan keinen Nickel mehr vom Mutterunternehmen Solway Investment Group bezogen. In Guatemala gab es hingegen keine direkte Reaktion“.
Allerdings indirekte. Im Oktober 2021 wurde von den Minenbetreibern und den Regierungsstellen nachgeholt, was die ILO-Konvention 169 vorschreibt: die Befragung der lokalen Bevölkerung. „Allerdings wurden nur solche Menschen befragt“, so Carlos Choc, „die für die Bergbautätigkeit stimmten“. Choc weiß von keiner lokalen Maya-Q’eqchi-Gemeinde, die an der Befragung teilgenommen hat. Gleichwohl wird auf dieser Basis seit Januar 2022 in El Estor wieder gefördert – unter massiver Polizeipräsenz, wie auch andere guatemaltekische Medien berichten.
In der kritischen Berichterstattung sieht Choc eine positive Entwicklung. Mehr Solidarität mit „Prensa Comunitaria“ hat er in den letzten Monaten registriert. Ein Grund dafür ist, dass auch andere Medien wie die kritische Tageszeitung „El Periódico“, dessen Verleger in Untersuchungshaft sitzt, unter Druck einer politisch instrumentalisierten Justiz stehen. Ein weiterer, dass sich kritische Medien mittlerweile austauschen, wie Marvin del Cid vom investigativen Portal „Vox Populi“ berichtet. „Das war überfällig“. Das sieht auch Carlos Choc so.
Guatemala steht auf der Rangliste der Pressefreiheit von „Reporten ohne Grenzen“ auf Platz 124 von 180 – Tendenz fallend.