Rückschläge für große  Pläne bei Bertelsmann 

Das grün-weiße Gruner-Jahr-Logo ist am Gebäude Am Baumwall in Hamburg verschwunden. Foto: Mathias Thurm

Deutschlands größter Medienkonzern verfolgt ehrgeizige Ziele. Bis 2025 stehen angeblich fünf bis sieben Milliarden Euro für Investitionen zur Verfügung. Auf 24 Milliarden Euro soll der Gesamtumsatz bis 2024 steigen. Die Aktualität sieht grauer aus. In Frankreich scheiterte die Großfusion der TV-Sender TF1 und M6. Für Deutschland kündigte die Geschäftsleitung angesichts der krisenhaften ökonomischen Entwicklung einen rigorosen Sparkurs an. Speziell beim einstigen Flaggschiff Gruner+Jahr drohen massive Einschnitte. 

Konzernchef Thomas Rabe liebt den großen Auftritt. Auf dem Management Meeting, einem Treffen von mehr als 500 internationalen Führungskräften aus dem Hause Bertelsmann am Stammsitz in Gütersloh, präsentierte er Ende September ambitionierte Ziele für Umsatz- und Gewinnentwicklung. „Unsere fünf strategischen Wachstumsprioritäten – nationale Media-Champions, globale Inhalte, globale Dienstleistungen, Online-Bildung und Beteiligungen – zeigen Wirkung und lösen einen Wachstumsschub für Bertelsmann aus“, sagte Rabe. 2022 werde man „beim Umsatz erstmals die Marke von 20 Milliarden Euro überschreiten“ – eine Prognose, die schon mehrmals getätigt, bislang aber nie eingelöst wurde. 2021 lag der Konzernumsatz bei 18,7 Mrd. Euro, davon erbrachte RTL 6,64 Mrd..

Kurz zuvor hatte es noch anders geklungen. Da hatte Rabe im Intranet von RTL Deutschland das Unternehmen angesichts des schwierigen ökonomischen Umfelds auf harte Zeiten eingeschworen. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs habe sich die gesamtwirtschaftliche Lage in Deutschland „deutlich eingetrübt“, sagte RTL-Group- und Bertelsmann-Chef Rabe – nach dem Mitte August erzwungenen Abgang von Manager Stephan Schäfer in Personalunion auch Vorsitzender der Geschäftsführung von RTL Deutschland. 

Erst Mitte September erlitten Rabes hochtrabende Pläne einen neuen Rückschlag. Nach massiven Bedenken der französischen Kartellbehörden bei einer Anhörung Anfang September wurde die von ihm seit mehr als einem Jahr betriebene „Mega-Fusion“ der TV-Sendergruppen M6 und TF1 am 16. September auf Eis gelegt. Die Verschmelzung von M6 mit dem Konkurrenten TF1 war Teil seiner Strategie, „nationale Champions zu schaffen“. In Frankreich wäre auf diese Weise eine Sendergruppe mit einem Zuschauermarktanteil von mehr als 40 Prozent sowie 75 Prozent auf dem TV-Werbemarkt entstanden. Vor allem von einer Konzentration der Werbemärkte hoffte man, den übermächtigen US-Digitalriesen Paroli bieten zu können. 

Nach den strengen Auflagen der Kartellwächter, so erklärten die beteiligten Unternehmen RTL Group und Bouygues, sei man aber zu dem Schluss gekommen, „dass die geplante Fusion keine strategische Begründung mehr hat“. Aussichtslos erscheint damit ein weiteres Lieblingsprojekt Rabes: Das von ihm erwünschte Zusammengehen von RTL mit ProSiebenSat.1 dürfte vor den strengen Augen der Kartellwächter wohl genauso wenig Gnade finden wie eine französische Mega-Fusion. Auch in Deutschland rückt der Titel eines „nationalen Champions“ in immer weitere Ferne.

Auf Kosten von Gruner+Jahr

Zu schaffen machen dem Konzern negative Entwicklungen „bei den Werbebuchungen und im Verlagsgeschäft bei stark gestiegenen Papierpreisen“. Konkrete Zahlen nannte Rabe nicht, aber einen Stellenabbau schloss er grundsätzlich nicht aus. Zuletzt habe man etwa durch den Ausbau des Streaming-Dienstes RTL+ mehrere Hundert neue Stellen geschaffen. Durch das Streaming-Geschäft seien Anlaufverluste von 250 Millionen Euro entstanden – der größte Teil bei RTL+. Daher müssten Ressourcen neu verteilt und Strukturen hinterfragt werden, offenbar auf Kosten von Gruner + Jahr.

Dabei war das von Vornherein als strategisches Hauptziel der Fusion von G+J mit RTL Deutschland proklamiert worden: Kostenersparnis bei gleichzeitigem Aufbau eines Streaming-Angebots unter der Marke RTL+, als lokale Konkurrenz zu globalen Anbietern wie Netflix oder Disney. Die Verschmelzung zu einem „nationalen Champion“, so Rabe Anfang 2022, werde Synergien von rund 100 Millionen Euro pro Jahr schaffen – davon drei Viertel durch zusätzliches Wachstum, etwa ein Viertel durch Einsparungen. Letzteres auch bei den Personalkosten. 

Zu spüren bekommen dürfte den Sparkurs vor allem das Zeitschriftengeschäft von Gruner+Jahr, wie Rabe im Intranet unmissverständlich klarstellte. Dieses stehe „aktuell besonders unter Druck“. Daher werde man „das Titelportfolio überprüfen und nur solche Titel mit RTL zusammenführen, die wirklich synergetisch sind“ sagte Rabe. Eine Ansage, die in Hamburg sämtliche Alarmglocken klingeln lassen dürfte. Um welche Titel es sich handeln könnte, verriet Rabe nicht. Beunruhigen dürfte die einst so selbstbewusste Belegschaft vor allem die Vagheit der Andeutungen: Jedes Unternehmen – auch RTL Deutschland – müsse „aktives Kostenmanagement betreiben, insbesondere in der aktuellen Situation“.  

„Wo soll denn noch gekürzt werden?“ fragt Tina Fritsche, Gewerkschaftssekretärin ver.di Hamburg, Bereich Medien. Seit langem werde gespart an Personal, Geld, Papierqualität, zudem gebe es eine „immense Arbeitsverdichtung“. Eigentlich müsse Bertelsmann „Geld in die Hand nehmen, um das Zeitschriftengeschäft endlich zukunftsgerichtet zu gestalten, angefangen bei der Digitalisierung von Print-Inhalten über solide Tarifgehälter bis hin zu mutigen Haltungen“. Stattdessen scheine es dem Konzern vor allem darum zu gehen, „über Kosteneinsparung Profite einzufahren, ganz egal, welche Opfer das mit sich bringt“. Entsprechend „verstört und verängstigt“ reagierten Teile der Belegschaft.

Eine Art „feindliche Übernahme“

Zu Jahresbeginn hatten viele Verlagsbeschäftigte noch ein Zusammengehen auf Augenhöhe erhofft. Im Lichte der jüngsten Ereignisse erscheinen Rabes Manöver weniger als friedliche Fusion denn als eine Art „feindliche Übernahme“ – wenn auch innerhalb des Konzerns. Was unter diesen Umständen das auf dem G+J-Sommerfest gegebene Bekenntnis Rabes zum Verlagsstandort Hamburg wert ist, muss die Zukunft weisen. 

Dass der Bertelsmann-Boss im Grunde kein Interesse an Print hat, ist im Unternehmen kein Geheimnis. Dennoch erschreckt viele langjährige Verlagsmitarbeiter*innen die Kaltschnäuzigkeit, mit der Rabe offensichtlich Teile des Zeitschriftengeschäfts loswerden will. Für Unruhe sorgt, dass Rabe einstweilen offenlässt, was er mit Titeln vorhat, die sich aus seiner Sicht am Ende als „nicht synergetisch“ mit RTL erweisen: einstellen, verkaufen oder weiterlaufen lassen. Laut „Handelsblatt“ laufen angeblich erste Verkaufsgespräche mit der Bauer Media Group und der Mediengruppe Klambt.

Als „synergetisch“ erscheinen offenbar nur noch solche, die sich für ein TV-Format eignen. Schlechte Karten dürften daher vor allem die Titel aus der Living- und Lifestyle-Sparte haben, also „Schöner Wohnen“, „Hygge“, „Flow“ oder „Guidos Deko Queen“. Auch „Food“-Titel wie „Chefkoch“ oder „Beef“ fallen durch das Raster. 

„Brigitte“-Gruppe gar nicht erwähnt

Auch einstige publizistische Shooting-Stars wie „Barbara“ oder „Guido“, zwei sogenannte Testimonial-Titel um TV-Moderatorin Barbara Schöneberger und Modemacher Guido Maria Kretschmer, stehen vor dem Hintergrund schwächelnder Auflagen offenbar zur Disposition. Bessere Chancen haben dagegen Publikumszeitschriften wie „Stern“, „Geo“ und „Gala“.  Dass die Titel der „Brigitte“-Gruppe in diesem Kontext gar nicht erst erwähnt werden, „bringt sehr viel Unruhe in die Redaktionen“, moniert eine langjährige Mitarbeiterin. 

Der frühere „Schöner Wohnen“-Chefredakteur Stephan Schäfer hatte als Nachfolger von G+J-Vorstandschefin Julia Jäkel die Fusion mit Cash Cow RTL vorangetrieben und war Anfang 2022 zum Co-Vorsitzenden der Geschäftsführung von RTL Deutschland aufgestiegen. Als oberster Inhalte-Chef musste er wohl jetzt für alle Fehler haften, die bei dem zügigen Transformationsprozess zum „nationalen Champion“ gemacht wurden: die wirtschaftlich unbefriedigende Entwicklung im Printgeschäft, vor allem aber auch das Scheitern des großen Prestige-Projekts RTL+ als „One App, All Media“. Stattdessen verkündete RTL Deutschland Mitte August den Start einer eigenständigen Musik-App in Kooperation mit dem Streaming-Dienst Deezer.

Anfang Oktober wurde bekannt, dass mittlerweile auch Ex-Verlagsgeschäftsführer Frank Stahmer, seit 2019 Chef des G+J-Lizenzbereichs Brand das Unternehmen verlassen hat. Damit ist nach dem Abgang von Jäkel und Schäfer nun auch der letzte Vertreter der alten G+J-Garde raus bei Bertelsmann. Ein einziges „Führungschaos“ habe Rabe bei der eigenen Konzerntochter angerichtet, urteilte unlängst „manager magazin“-Chefredakteur Sven Clausen. Und prognostizierte mit Rabe als Chef beim „noch unfertigen Konstrukt RTL Deutschland“ harte Zeiten – vor allem für das offensichtlich zur Ausschlachtung freigegebene einstige publizistische Flaggschiff G+J. 

Logo und Fahne verschwunden

Seit Ende August ist das bekannte grün-weiße Gruner+Jahr-Logo vom Verlagshaus verschwunden. Stattdessen weht am Hamburger Baumwall jetzt die rot-blau-grüne RTL-Fahne. Nicht wenige langjährige Mitarbeiter*innen sollen im Angesicht dieser Umstellung geweint haben. Jetzt verschwindet die Marke auch im Netz: Die Corporate-Seite von G+J wurde abgeschaltet und leitet nun auf RTL Deutschland um. Auch die E-Mail-Adressen mit der Endung @guj haben ausgedient.  Künftig sind die Verlagsangehörigen per Mail über @rtl.de erreichbar. Die Gemütslage in der Belegschaft „changiert zwischen Fatalismus, vorsichtiger Zuversicht und Fluchtgedanken“, registriert ver.di-Sekretärin Tina Fritsche. Nicht wenige sondieren ihre Chancen bei anderen Verlagen. 

Zu den Spekulationen über die Trennung von einzelnen G+J-Magazinen nahm RTL-Co-Geschäftsführer Matthias Dang am 11. Oktober auf einem Branchentreff von „Horizont“ Stellung. Man müsse ehrlich analysieren, bei welchen Titeln eine Zusammenarbeit mit RTL fruchtbar sei und welche Titel vielleicht bei einem anderen Verlag besser aufgehoben seien. Die entsprechende Analyse werde Ende des Jahres abgeschlossen sein. Entscheidungen dürften voraussichtlich im ersten Quartal 2023 fallen.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

ARD & ZDF legen Verfassungsbeschwerde ein

Nachdem die Ministerpräsident*innen auf ihrer Jahreskonferenz Ende Oktober keinen Beschluss zur Anpassung des Rundfunkbeitrags ab 2025 fassten, haben heute ARD und ZDF Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßt die Initiative.
mehr »