Wie können Journalist*innen den Zustand der Welt noch abbilden, fragte im November die Friedrich-Ebert-Stiftung. Wie kommen sie selbst mit der Dauerkrisensendung klar? Eine Antwort darauf versuchte der Kommunikationswissenschaftler Stephan Weichert zu geben: einen resilienten Journalismus. Ziemlich nüchtern berichtete Andrea Beer über ihre Arbeit als ARD-Hörfunkkorrespondentin in der Ukraine. Angehenden und jungen Journalist*innen zeigte sie per Videostream Fotos von ihren Einsätzen – etwa bei den Toten in der Nähe der zurückeroberten Stadt Isjum im Nordosten.
Journalist*innen im Krieg oder in Nachrichtenredaktionen müssten besonders auf ihre mentale Gesundheit achten, betont Stephan Weichert. Damit die traumatischen Bilder und Erlebnisse nicht zu Krankheit oder Burn-out führten. Doch nicht nur sie seien besonders gefordert. Der Medienforscher verweist auf die Überlappung der Krisen wie Corona, Ukraine-Krieg, daraus resultierender Energiekrise und die galoppierende Inflation, die sich gerade auf dem höchsten Stand seit Jahrzehnten befindet. Das setze gleichwohl Medienschaffende wie Mediennutzende unter Druck.
Der Kommunikationsberater Johannes Hillje hat sich mit der Polykrise intensiv beschäftigt und zitiert Adam Tooze von der Columbia University mit seiner Definition: „Eine Polykrise lässt sich definieren als eine Situation, in der das Ganze gefährlicher ist als die Summe seiner Teile. Oder anders gesagt: Die einzelnen Krisen existieren nicht einfach nebeneinander, sondern beeinflussen sich gegenseitig. Sie sind über vielfältige Wirkungskanäle miteinander verbunden.“
„Letztlich führt das dazu, dass die Menschen erschöpft sind“, sagt Weichert in einem Gespräch mit M. Bei den Journalist*innen verschärfe sich die Situation noch durch die seit Jahren andauernde Medienkrise. Im Hamsterrad der digitalen Transformation steige die individuelle Arbeitsbelastung. Zur ökonomischen Krise komme hier Hass und Hetze im Netz, die durch Corona noch verstärkt wurde.
Stelle sich die Frage: Wie schütze ich mich selbst? Wie kann ich den Beruf weiter ausführen, ohne unter die Räder zu kommen? Weicherts Antwort auf die Polykrise ist der resiliente Journalismus. Robustheit und Widerstandsfähigkeit würden immer wichtiger. Der Begriff stamme aus der Materialtechnik und sei in den 1970er- und 1980er-Jahren in den USA von der Psychotherapie adaptiert worden.
Tipps zur Stärkung der Individuen
Weicherts Ansatz ist nicht die Redaktion als Ganzes, sondern die Stärkung der Individuen. Er referierte in der Veranstaltung fünf Tipps: Netzwerke bilden und stärker den Austausch suchen. Der habe gerade in der Corona-Zeit gelitten. Im Home-Office fehle die Kaffeeküche, der direkte Dialog auf Konferenzen. Mal abgesehen von der klaren Abgrenzung zur Freizeit. Mit Blick auf das eigene Wohlergehen müsse man auch mal Nein sagen können. Außerdem sollte man Neues wagen. Das erfordere Mut und die Bereitschaft zur Veränderung. Des Weiteren sollten sich Journalist*innen Zeit für Recherchen nehmen und nicht in den oft praktizierten Alarmismus verfallen. Letztlich sei es dafür von Vorteil, auch mal den Stecker zu ziehen, eine Auszeit zu nehmen, auch von Social Media, und sich selbst Pausen zu erlauben.
Und obgleich Weichert vom Einzelnen ausgeht, sieht er Resilienz auch als Führungsaufgabe. Er fordert Wertschätzung für die Arbeit des Einzelnen, Teamgeist und Möglichkeiten zur Weiterbildung. In der Redaktion müssten Voraussetzungen geschaffen werden, um die Qualität zu stärken und etwa die nötige Zeit für Recherchen zur Verfügung gestellt werden.
Der Blick auf die Freien
Die gute Nachricht vom Medienforscher: Resilienz kann man lernen, sich antrainieren. „Man kann psychische Widerstandskraft entwickeln. Allerdings gibt es Menschen, die keine Antenne dafür haben, die sich selber so schlecht kennen und immer weitermachen, Überstunden anhäufen, nicht erkennen, wann sie die Handbremse anziehen müssen.“ Hinzu kämen Existenzängste vor allem bei Freien, insbesondere bei denen, die keine festen Strukturen hätten.
Auch die Medienhäuser könnten mehr tun. „Bislang bieten nur große Häuser wie der NDR oder Axel Springer Hilfe an, kleinere und mittlere Häuser können sich das wirtschaftlich nicht leisten. Das ist bitter. Vielleicht gibt es jetzt einen Mentalitätswandel“, sagt Weichert. „Das macht unsere Arbeit, macht die VOCER-Seminare noch wichtiger.“ In der Corona-Zeit hat sein Institut digitale Workshop-Formate aufgesetzt, bei denen es vorrangig um den Umgang mit digitaler Kommunikation, Desinformation und Hassrede geht. Die Nachfrage sei hoch, berichtet Weichert. Vor allem Führungskräfte in „Sandwichpositionen“ und Redakteur*innen nähmen daran teil. Aber auch Freie, die auf Hartz IV zusteuerten. Wurde er anfangs noch belächelt mit seinem Vorhaben, fragen mittlerweile nicht nur Medienvertreter, sondern auch mittelständische Unternehmer oder der DGB an.
Resilienz des Publikums
Sein Rat: den öffentlichen Diskurs stärken, mehr Lösungsansätze und konstruktiven Journalismus anbieten. „Wir als Journalisten müssen uns viel stärker unserer Verantwortung bewusstwerden, worüber und wie wir berichten und warum wir das tun. Dieses dialogische Momentum halte ich für zentral! Wir müssen die Resilienz des Publikums mitdenken, eingedenk unserer Verantwortung“, sagt Weichert. „Wir können die Menschen nicht mit einer schlechten Nachricht nach der anderen zuballern! Wir sollten uns verkneifen, zu viel Alarmismus zu verbreiten. Wir sollten nicht spekulieren. Wir sollten uns unsere Berichterstattung auch aus ethischem Blickwinkel anschauen.“ Berichterstattende sollten sich durchaus fragen, was sie den Leuten zumuten können. Solche Fragen müssten zu jeder Redaktionskonferenz dazugehören.
Andrea Beer, die Ukraine-Korrespondentin des ARD-Hörfunks, beobachtet durchaus eine „schon vorhandene Arroganz der Medienschaffenden gegenüber dem Publikum“. Gerade in der Kriegsberichterstattung halte sie deswegen Demut vor dem Thema für angebracht. Sie setzt auf Empathie, die einen professionellen Journalismus nicht ausschließe. Die keine hätten, könnten einpacken, weil sie zynisch würden. Mit einem konstruktiven Journalismus könne sie als Berichterstatterin aus einem Kriegsgebiet jedoch wenig anfangen.
Auch Weichert plädiert dafür, eher emphatische Menschen in den Beruf holen. Das sei eine Führungsaufgabe. Viele Journalisten überschätzten sich selbst. Nicht die Lautesten gewinnen. Obgleich es die Rampensäue weiter geben werde.
Zugleich beobachtet er, dass gerade für Jüngere die Work-Life-Balance wichtiger werde. Dazu kommt aus seiner Sicht der Verlust an Attraktivität des Berufs – das zeigten die vielen Jobangebote. Besonders schwierig sei die Situation bei Regional- und Lokalzeitungen, doch selbst der öffentlich-rechtliche Rundfunk suche händeringend Volontäre. Auch bei der renommierten Henri-Nannen-Schule hätten sich die Bewerberzahlen drastisch verringert, sagt Weichert.
Er empfiehlt jedem Medienunternehmen, psychologische Betreuung anzubieten und einen Social Health Officer einzusetzen. Der Kommunikationsberater Hillje mahnte in der Berliner Diskussionsrunde eine gesellschaftliche Debatte darüber an, was uns der Journalismus wert sei.
Lesetipp: Matthias Daniel, Stephan Weichert (Hrsg.): „Resilienter Journalismus. Wie wir den öffentlichen Diskurs widerstandfähiger machen“