Zu aktuellen Entwicklungen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht mehr denn je unter Druck. Bislang wurde öffentlich hauptsächlich über Skandale diskutiert, weniger über radikale Reformen. Das hat sich spätestens mit dem umstrittenen Auftritt des ARD-Vorsitzenden Tom Buhrow Anfang November in Hamburg verändert. Seitdem scheinen für einige Akteure selbst eine mögliche Fusion von ARD und ZDF sowie massive Programmkürzungen nicht mehr tabu zu sein. Gleichzeitig läuft die Aufarbeitung der Skandale im RBB und im NDR weiter.
In die öffentliche Empörungswelle über die Skandalkette in diversen ARD-Anstalten platzte am 2. November die Rede des noch bis Ende 2022 amtierenden ARD-Vorsitzenden und WDR-Intendanten Tom Buhrow im Hamburger Übersee-Club. „Privatmann“ Buhrow fordert grundlegende Veränderungen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt. Beim „Ausbrechen aus dem bisherigen System“ dürfe es weder Tabus noch Denkverbote geben, sagte der 64-jährige, der in seiner knapp zehnjährigen Amtszeit an der Spitze der reichsten ARD-Landesrundfunkanstalt nicht gerade durch übermäßigen Reformeifer aufgefallen ist. „Deshalb“, so kritisierte der ver.di-Senderverband im WDR, „wundern wir uns umso mehr, dass Tom Buhrow seine Möglichkeiten als Intendant und ARD-Vorsitzender dazu bisher offenbar nicht genutzt hat“. Nun aber brachte er eine Fusion von ARD und ZDF ins Spiel, stellte die Anzahl der Sendeanstalten, Regionalprogramme, Spartenkanäle und Orchester zur Diskussion, zog die Reformfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks insgesamt in Frage, eingekleidet in rhetorische Fragen wie „Wollen die Beitragszahler das? Wollen sie es in dieser Größenordnung?“
Unverständnis bis Zorn
Dass nach all der Negativberichterstattung über Vetternwirtschaft und Selbstbedienungsmentalität in einigen öffentlich-rechtlichen Führungsetagen das Ansehen speziell der ARD gelitten hat, dürfte klar (und verständlich) sein. In dieser Situation aber das System grundsätzlich in Frage zu stellen, zum Sparen und zu Programmkürzungen aufzurufen, ist Wasser auf die Mühlen all derer, denen der gemeinnützige Rundfunk seit jeher ein Dorn im Auge ist. Und – wie ver.di-Referentin Bettina Hesse in M Online kommentierte – ein „Bärendienst“ am Gedanken des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Entsprechend fielen einige der Reaktionen auf die Brandrede Buhrows aus. Vor allem in seinem Haussender WDR schlug ihm Unverständnis bis Zorn entgegen. Auf einer digitalen Betriebsversammlung am 11. November, so berichtete die „Süddeutsche Zeitung“, hätten etliche Redakteure ihrem Intendanten vorgeworfen, „schlicht vor einer langjährigen Anti-ARD-Kampagne der Springer-Presse und der AfD zu kapitulieren“. Bei vielen dürfte das Impulsreferat des „Privatmanns“ Buhrow sogar Existenzängste hervorgerufen haben. Etwa bei Musikern des WDR-Sinfonieorchesters oder bei Mitarbeiter*innen von Radiowellen, deren Zahl der Intendant offenbar für überzogen hält. Und wieso überhaupt eine Rede im fernen Hamburg, ihr Abdruck in der FAZ anstatt auf wdr.de?
Moderat reagierte dagegen Buhrows Amtskollege in Mainz, der erst seit März amtierende ZDF-Intendant Norbert Himmler. Man sei „offen und bereit für eine grundsätzliche Debatte“ und scheue keinen Vergleich der Systeme, erklärte der Nachfolger von Thomas Bellut. Er teile aber nicht Buhrows Skepsis hinsichtlich der Reformfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als Ganzes. Allen Fusionsüberlegungen erteilte er eine klare Absage. Zur Qualität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, so Himmler, gehöre „auch in Zukunft der publizistische Wettbewerb von ARD und ZDF“.
Flexibilisierung des Auftrags
Wenig hilfreich erscheint vielen auch die Anregung Buhrows, ein „Runder Tisch“ solle einen neuen „Generationenvertrag“ ausarbeiten. Mag sein, dass die Mühlen der föderalen Medienpolitik hierzulande langsamer mahlen als manche sich wünschen. Aber eben erst wurde von den Ministerpräsidenten der neue Medien-Staatsvertrag beschlossen, der nach der Ratifizierung durch die Länderparlamente 2023 den Anstalten eine beträchtliche Flexibilisierung ihres Auftrags beschert. Sie können dann weitgehend selbst entscheiden, welche Kanäle sie linear ausstrahlen, ins Internet verlagern oder ganz einstellen. Dabei dürften einige der bisherigen Spartenkanäle auf der Strecke bleiben – mit entsprechenden Einspareffekten.
Zugleich werden die Aufsichtsgremien aufgewertet – ein überfälliger Schritt, spätestens nachdem die Vorgänge beim RBB ein Totalversagen von Verwaltungs- und Rundfunkrat bei der Kontrolle der Geschäftsleitung zutage förderten. Mittlerweile wächst die Erkenntnis in den Ländern, dass zur Unabhängigkeit der Aufsichtsgremien zuallererst auch eine bessere materielle Ausstattung gehört. Mitte November beschloss der Landtag in Wiesbaden eine Änderung des Gesetzes über den Hessischen Rundfunk (HR). Demnach soll die angemessen mit Personal- und Sachmitteln ausgestattete Geschäftsstelle die Mitglieder der HR-Aufsichtsgremien unabhängig vom Intendanten mit fachlicher Expertise unterstützen und beraten.
Das allein wird indes kaum genügen, um den Ruf nach radikaleren, auch programmlichen Reformen einzudämmen. Kai Gniffke, Intendant des Südwestrundfunks (SWR) und ab 1. Januar 2023 ARD-Vorsitzender, zeigt sich neuerdings grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber einer Neujustierung der Dritten Programme. Wozu neun Dritte als Vollprogramme? Denkbar wäre, so Gniffke, die „Organisation eines Mantelprogramms für die Dritten mit höchstmöglichen Regionalanteilen“. Nicht jedes Dritte Programm, mit dieser Anregung steht der SWR-Mann nicht allein, braucht schließlich ein eigenes Gesundheits- oder Verbrauchermagazin.
Beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) setzt derweil Interimsintendantin Katrin Vernau die Aufräumarbeiten fort. Das umstrittene Bonus-System wird abgeschafft. Von den bisherigen Nutznießern erklärten fast alle der 25 außertariflich Beschäftigten ihre Bereitschaft zu freiwilligem Verzicht. Mit Justiziarin Susann Lange und Verwaltungsdirektor Hagen Brandstäter verloren zwei weitere Führungskräfte aus dem Direktorium der Anfang August zurückgetretenen und später fristlos gekündigten Intendantin Patricia Schlesinger ihren Job.
Erste Prüfergebnisse der Anwaltskanzlei Lutz/Abel zu möglichen Regelverstößen und Pflichtverletzungen in der Ära Schlesinger wurden am 20.Oktober vorgestellt. Es gebe, so das Zwischenfazit, eine Reihe von Verstößen, etwa bei den Gehaltszahlungen an die Ex-Intendantin oder bei einer dienstlich abgerechneten Privatreise nach London. Andere, finanziell weitaus gravierendere Vorgänge wie die überzogenen Planungskosten für das „Millionengrab“ Digitales Medienhaus, wurden noch nicht untersucht. Ein weiterer Bericht wird im Dezember erwartet. Gegen Schlesinger, ihren Ehemann Gerhard Spörl und den früheren RBB-Verwaltungsratsvorsitzenden Wolf-Dieter Wolf ermittelt die Berliner Generalstaatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Untreue und der Vorteilsannahme.
Fehlende Rücklagen von 41 Millionen
Neue Unruhe lösten Berichte über fehlende Rücklagen von 41 Millionen Euro aus, die vom RBB für die nächste Beitragsperiode gebildet werden sollten. Gelder, die aber unter Ex-Intendantin Schlesinger bereits verplant wurden – ein klarer Verstoß gegen die Vorgaben der Rundfunkfinanzkommission KEF. Vernau kündigte darauf „deutliche Einsparungen“ an, unter anderem durch die Nichtbesetzung freiwerdender Stellen. Betriebsbedingte Kündigungen gelten zwar als ausgeschlossen. Aber es sei schon jetzt „absehbar, dass vermutlich vor allem die freien Mitarbeitenden… für die Krisen und Fehlplanungen geradestehen müssen“, sagte ver.di-Landesbezirksleiter Frank Wolf in einer Pressemitteilung. „Wenn Streichorgien zu Einschränkungen oder Verschlechterungen im Programm führen“, warnt Wolfs Stellvertreterin Andrea Kühnemann, „wird unausweichlich eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt“. ver.di erwarte von der Interimsintendantin, umgehend die Details ihrer Sparpläne offenzulegen und fordert die rechtzeitige Einbeziehung der Beschäftigtenvertretung und der Gewerkschaft.
Mit Fassungslosigkeit hatte die Belegschaft unlängst auf Meldungen über üppige Ruhegelder, die Führungskräfte des RBB (und anderer ARD-Sender) nach Ablauf ihres Arbeitsvertrags kassieren, reagiert. RBB-Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus etwa hat schon mit seinem ersten Diensttag vertraglichen Anspruch auf ein Ruhegeld, in seinem Fall 8.000 Euro im Monat, lebenslang. Nach Angaben von Intendantin Vernau habe er allerdings von sich aus angeboten, seinen Vertrag zu beenden und auf diese nachvertraglichen Ansprüche zu verzichten. Die Konditionen seines Ausscheidens sind noch nicht abschließend geklärt. Zuvor schon hatten über 1.100 RBB-Beschäftigte die Mitglieder der Geschäftsleitung aufgefordert, ihre Dienstverträge neu zu verhandeln und auf derlei „moralisch schwer erträgliche“ lebenslängliche Absicherungen zu verzichten.
„Diamantener Handschlag“
Zuletzt förderten Recherchen des gemeinsamen Investigativteams von RBB und NDR Details über einen dubiosen Beratervertrag zutage, die der RBB noch unter Patricia Schlesinger mit seinem 2021 vorzeitig in den Ruhestand getretenen Chefredakteur Christoph Singelnstein abgeschlossen hat. In Kombination von Ruhegeld, gesetzlicher Rente und Beraterhonorar soll Pensionär Singelnstein demnach derzeit monatlich an die 15.000 Euro monatlich kassieren – was in etwa der Höhe seines letzten Gehalts als Chefredakteur entspricht. Ein Vorgang, den die „Süddeutsche“ in einem Beitrag mit dem Titel „Das Millionengrab RBB“ als „diamantenen Handschlag“ charakterisierte. Viel Arbeit für den Berliner Rechnungshof, der alle seit 2017 im RBB abgeschlossenen Beraterverträge prüft.
Im Norddeutschen Rundfunk (NDR) sind dagegen die Untersuchungen der Vorwürfe mutmaßlicher Fälle von Filz, Vetternwirtschaft oder gar politischer Einflussnahme auf Redaktionen weitgehend abgeschlossen. Im Landesfunkhaus Hamburg ergab die Prüfung der Antikorruptionsbeauftragten des Senders „keinerlei Korruptionstatbestände durch Handeln oder Unterlassen der Direktorin Sabine Rossbach“, ließ der NDR verlauten. Die Vorwürfe, sie habe ihre Position genutzt, ihren beiden Töchtern Vorteile zu verschaffen, hätten sich als „falsch herausgestellt“. Der Verdacht, die PR-Firma ihrer älteren Tochter habe Veranstaltungen im Programm platzieren können, sei unbegründet. Es gebe jedoch „einen durch Führungs- und Kommunikationsstil bedingten Vertrauensverlust sowie Versäumnisse in puncto Transparenz“. Wegen des „verloren gegangenen Vertrauens zwischen ihr und Teilen der Redaktion (70 Mitarbeiter*innen hatten in einem Offenen Brief Rossbach ihr Misstrauen ausgesprochen) stellt die bisherige Direktorin ihr Amt zum 1. April 2023 zur Verfügung.
Den Redaktionschefs im NDR-Landesfunkhaus Kiel war die gezielte Beeinflussung der journalistischen Berichterstattung im Dienst politischer Interessen vorgeworfen worden. Sie würden kritische Berichte unterdrücken und ließen die nötige Distanz zu Ministerpräsident Daniel Günther vermissen. Auch hier kam eine interne Überprüfung zum Ergebnis, es habe nicht den von Teilen der Redaktion behaupteten „politischen Filter“ gegeben. Allerdings heißt es in dem Bericht weiter, „für einen solch massiven Vorwurf müsste die Berichterstattung des Landesfunkhauses über einen längeren Zeitraum systematisch ausgewertet werden“. Das sei in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich gewesen. Dennoch wurden Chefredakteur Norbert Lorentzen und die Abteilungsleiterin Politik Julia Stein versetzt. Landesfunkhausdirektor Volker Thormählen dagegen kehrte nach einem „unbezahlten Urlaub“ zurück auf seinen Posten.