Wie man mit Netzwerken und Kooperationen Journalist*innen unterstützen kann, um gegen Attacken bei Demonstrationen, vor der Wohnung oder im Internet besser gewappnet zu sein, berichtete Renate Gensch, dju-Vorsitzende Berlin-Brandenburg.
Gensch, lange als Polizeireporterin unterwegs, ist in Berlin, der Hauptstadt der Demonstrationen, aber auch im südlichen Brandenburg als Gewerkschafterin häufig mit den Folgen von Auseinandersetzungen bei Demos oder der mangelnden Kenntnis der Polizist*innen über ihre Aufgaben zum Schutz der Pressefreiheit konfrontiert. Besonders bei den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen sowie der AfD, von Reichsbürgern und der Kleinpartei „3. Weg“ waren die Angriffe auf Reporter*innen zahlenmäßig angestiegen. Mehr als zwei Drittel der Attacken auf Reporter*innen und ihre Ausrüstung fanden während solcher Proteste statt. Auch 2022 waren noch 143 Kolleg*innen nach den Zahlen des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) in Leipzig betroffen.
Um Kolleg*innen bei Großveranstaltungen zu unterstützen, hat die dju in ver.di 2020 die Signal-Gruppe „Demo Watch“ eingerichtet. Hier können sich Journalistinnen und Journalisten eintragen, die über einen Vorfall berichten wollen, Unterstützung benötigen oder sich mit anderen Betroffenen austauschen wollen. Mit dem QR-Code (s. Marginalie) melden sie sich bei der geschlossenen Gruppe an und werden freigeschaltet. Zudem können betroffene dju-Mitglieder bei juristischen Auseinandersetzungen über die Behinderung ihrer Arbeit den ver.di Rechtsschutz nutzen.
Seit 2022 engagiert sich die dju zusammen mit anderen Journalismus-Organisationen für einen Schutzkodex. Medienhäuser, die ihm beitreten, verpflichten sich, feste und freie Mitarbeiter*innen, die akut bedroht werden oder angegriffen wurden, zu unterstützen. Sie benennen Ansprechpersonen im Unternehmen und lassen Betroffenen rechtliche, psychologische und psychosoziale Unterstützung zu kommen. Die Fürsorge seitens des Medienhauses betrifft auch Hassmails und Anstrengungen zur Kontensperrung von sogenannten Hatern bis hin zum Personenschutz zum Beispiel bei Dreharbeiten oder der Hilfe beim Wohnungswechsel, wenn die Verfolgungen bis ins Private reichen. Zu den Medienfirmen, die beim Schutzkodex mitmachen, gehören die dpa, die „Süddeutsche Zeitung“ samt Verlag SWMH, „Die Zeit“, „taz“, „Frankfurter Rundschau“, die Funke-Gruppe und der „Weser Kurier“.
Doch die Angreifer sind bei Demonstrationen nicht das einzige Problem. Ein weiteres ist die Unkenntnis vieler Polizistinnen und Polizisten, dass zu ihren Aufgaben der Schutz der Pressefreiheit ebenso gehört wie die Regelung des Ablaufs der Veranstaltung oder die Verhinderung von Gewaltausbrüchen. Wer sich als Journalistin und Journalist mit dem bundeseinheitlichen Presseausweis oder mit einer Akkreditierung bei Großveranstaltungen ausweisen kann, dem sollte dieser Schutz zuteilwerden. Deshalb sucht die dju das Gespräch mit den Innenministerien, Staatsanwaltschaften und Polizeidirektionen, um das Bewusstsein für den Schutz der Presse zu schärfen und diese Aufgabenstellung in die Ausbildung der Polizei zu integrieren. Dazu gehört nach Beobachtung von Renate Gensch oft genug, dass der vom Deutschen Presserat herausgegebene Presseausweis bei den Beamt*innen nicht gut genug bekannt ist, dass die Polizist*innen ihn von den vielen kursierenden Fälschungen unterscheiden können. In Brandenburg, so Gensch, referieren dju-Kolleginnen inzwischen regelmäßig bei entsprechenden Polizei-Schulungen. Wichtige Informationen über „Journalismus und Polizeiarbeit“ bietet beiden Seiten auch die Broschüre dieses Titels aus der dju-Reihe „Journalismus konkret“.
Wie auf Landes- und Bundesebene ist die dju auch in der Europäischen und Internationalen Journalistenföderation für die Pressefreiheit im Einsatz. Dass dies dringend notwendig ist, zeigen die Zahlen des ECPMF für Europa und die von Reporter ohne Grenzen weltweit. Das ECPMF hat Ende August zusammen mit dem Zeitungsverlegerverband BDZV beschlossen, eine Stelle auszuschreiben, deren Inhaber*in vor allem Abgriffe auf Regional- und Lokaljournalist*innen erfassen und analysieren soll.
Signal-Gruppe Demo Watch: Ein Service für Journalist*innen bei Demonstrationen und Großveranstaltungen
Demo Watch | Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (verdi.de)
Kodex für Medienhäuser zum Schutz von Journalist*innen: https://schutzkodex.de
Broschüre „Journalismus und Polizeiarbeit“: Broschüren | Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (verdi.de)
ver.di Rechtsschutz: ver.di-Rechtsschutz | ver.di (verdi.de)
Europäisches Zentrum für Presse- und Medienfreiheit: Europäisches Zentrum für Presse- und Medienfreiheit – Europäisches Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ecpmf.eu)
Geplante Studie zu Angriffen auf Lokal- und Regionaljournalist*innen: Autor:in für die Studie „Feindbild Journalist:in“ (ecpmf.eu)