Die Auflösung des traditionellen linken Milieus macht den Publikationen am linken Rand des Print-Spektrums seit Jahren schwer zu schaffen. Kaum hatte das ND seine akute Finanzkrise „vorerst“ bewältigt, startete auch die junge Welt kürzlich Anfang November mal wieder eine Rettungskampagne. Doch die immer neuen Appelle an die Spenden- und Solidaritätsbereitschaft des Publikums stoßen in Zeiten von Inflation und schwindender Kaufkraft an Grenzen. Dazu gesellt sich die Identitätskrise der politischen Linken.
Die „junge Welt“ (jW) befindet sich in einem permanenten Überlebenskampf. 1.797 Abos braucht es „bis Ende Januar“, heißt es aktuell in einem gemeinsamen Aufruf von Verlag, Redaktion und Genossenschaft. Bereits zum 1. Dezember werden die Abo- und Einzelhandelspreise moderat erhöht – es gilt, gestiegene Druck- und Vertriebskosten zu decken sowie angesichts der inflationären Entwicklung auch „die bescheidenen Gehälter der Kolleginnen und Kollegen“ zu erhöhen.
Das einstige Zentralorgan der „Freien Deutschen Jugend“ begreift sich als „linke, marxistisch orientierte, überregionale Tageszeitung mit einem hohen Anteil an Hintergrundberichten und umfassenden Analysen“. Thematisch konzentriert man sich auf Themen wie Antimilitarismus, Rechtsextremismus und die Kritik neoliberaler Wirtschaftspolitik. Im Rahmen der aktuellen Abo-Kampagne preist sich das Blatt als Alternative für jene Zeitungen an, die nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr in gedruckter Form erscheinen „oder deren Inhalt beliebig geworden ist“.
Zeitungsvielfalt sinkt
Zu Zeiten der 68er Studentenbewegung waren die Fronten klarer, die wirtschaftlichen Spielräume nicht so eng. Die galoppierende Pressekonzentration dünnte die Zeitungsvielfalt aus. Die Hetze des Springer-Konzerns, die Gleichförmigkeit eines großen Teils auch der regionalen und überregionalen Blätter erzeugten im linken Milieu den Ruf nach Gegenöffentlichkeit. Allein die Tageszeitung (taz) schaffte trotz multipler Krisen den dauerhaften Marktzutritt. Dagegen scheiterte die zeitgleich gegründete gewerkschaftsorientierte Die Neue. Auch die Parteipresse, darunter der wöchentliche SPD-Vorwärts, ist längst Geschichte. Immerhin zehn Jahre lebte zu Beginn des Jahrtausends die linksliberale Die Woche in der Regie von Hans-Ulrich Jörges, später von Manfred Bissinger.
Sie alle scheiterten vor allem an den Gesetzen des Marktes. Das einstige Geschäftsmodell privatwirtschaftlicher Medien – Anzeigen- und Verkaufserlöse – stößt seit der digitalen Zeitenwende an Grenzen. Erst recht funktioniert es nicht bei linken Publikationen. Dort herrschen Selbstausbeutung und tarifvertragsfreie Zonen. Die Misere pflanzt sich auf der Nachfrageseite fort. Auch viele Konsumenten der Linkspresse kämpfen mit wirtschaftlichen Problemen, reduzieren unter dem Druck der Inflation ihr Medienbudget.
Links, alternativ oder radikal?
Die taz hat sich in den letzten Jahren auf bescheidenem Niveau stabilisiert. Aktuell verkauft sie werktags rund 43.000 Exemplare, die Wochentaz immerhin 65.000. Ein Indikator dafür, wohin die Reise geht. Erklärtes Ziel ist schon seit Jahren, perspektivisch nur noch am Wochenende in gedruckter Form zu erscheinen, werktags dagegen angesichts explodierender Druck- und Vertriebskosten in digitaler Form. Dann endet allerdings das vor zehn Jahren eingeführte originelle Monetarisierungskonzept „taz zahl ich“ für den Online-Auftritt. Bislang gilt noch: Freiwilliger finanzieller Beitrag statt harter Paywall.
Von der militanten Stimmung der Gründerjahre ist inzwischen wenig übrig. Die Zeiten, in denen die taz als publizistischer Arm einer „linksalternativen“ Bewegung galt, sind längst vorbei. Denn diese Bewegung gibt es nicht mehr. Exklusives oder Investigatives ist im Blatt eher selten aufzufinden. Auch originelle Aktionen wie zum Beispiel die „Quoten-taz“ zugunsten einer Gleichberechtigung der Geschlechter in den Medien sind selten geworden. Besonders engagiert widmet sich das Blatt ökologischen Themen, unter anderem mit einem Labor für innovative Formate rund um die Klimakrisenberichterstattung. Publizistische Tendenz: irgendwie links-grün, mit Schlagseite zu olivgrün.
Ohnehin verschwimmen die Grenzen im politischen Spektrum mehr und mehr. Was ist links, was rechts? Ist Sahra Wagenknecht eine Linke? Ihre Haltung zu Migrationsfragen wirft zumindest Fragen auf. Ist Olaf Scholz ein Linker? Hm. Sind die Grünen wenigstens noch grün? Einknicken bei der versprochenen Verkehrswende, Zustimmung zu klimaschädlichen Großprojekten wie LNG-Terminals – die Zweifel mehren sich. Das hat Folgen auch für die politische Positionierung von Medien.
Digitalisierung von Links
Auch ND Der Tag – Untertitel „Journalismus von links“ – hat schon bessere Tage gesehen. Im Frühsommer dieses Jahres wurde angesichts einer unvermittelt aufgetretenen Finanzlücke von 635.000 Euro Alarm geschlagen. Anfang Oktober dann eine vorsichtige Entwarnung. Die ausgerufene Rettungskampagne hatte gut 150.000 Euro Spenden, mehr als 1.200 neue Abos und einige Hundert Neueintritte in die ND-Genossenschaft erbracht.
Bis Anfang 2023 schrumpfte die Zahl der Abonnenten auf gut 12.300, darunter ein Fünftel Digitalabos. Spezifische strukturelle Probleme: Überalterung eines Teils der Leserschaft, die starke Ost-Lastigkeit der Verbreitung, eine knappe Kapitaldecke – ein spätes Erbe aus der Vorwendezeit, als das ND noch Zentralorgan der SED war. Mit der gesellschaftsrechtlichen Trennung von der Partei Die Linke begann für das Blatt eine neue Phase. Seit Anfang 2022 hat es die Rechtsform einer Genossenschaft. Ideologisch steht die Zeitung weiterhin der „Linken“ nahe, ohne sich als ihr Sprachrohr zu begreifen. Im August 2023 wurde der Kioskverkauf werktags eingestellt, lediglich die Wochenendausgabe nd Die Woche ist seither im Handel erhältlich.
In den Krisenstrudel des ND geriet auch Oxi, eine 2016 gegründete Monatszeitung für Wirtschaft und Gesellschaft. Oxi“ – griechisch: Nein – lieferte sieben Jahre Analysen und Debatten aus kapitalismuskritischer Perspektive. Eine Zeitlang lag das Blatt der ND-Wochenendausgabe bei. Im August besiegelte die ND-Misere das Aus dieser Kooperation und damit auch das Aus für Oxi.
der Freitag firmierte in den ersten Nachwendejahrzehnten als „Ost-West-Wochenzeitung“, später als „das Meinungsmedium“. Seit 2019 erscheint er mit dem Untertitel „Die Wochenzeitung“. Die Verkaufsauflage hält sich derzeit stabil bei rund 25.000 Exemplaren, davon 18.400 Abos, von denen wiederum 4.200 digital sind. Die Wochenzeitung klingt etwas vermessen: Im schmalen Segment der Wochenpresse dominiert die liberale Zeit aus dem Holtzbrinck-Konzern mit einer Auflage von satten 600.000 Ex. Dem Zeitgeist folgend wartet auch das Blatt von Spiegel-Erbe Jakob Augstein längst mit einem Ökoteil „Grünes Wissen“. Auf. Redaktionelle Beiträge stehen – so der Anspruch – gleichberechtigt neben solchen der Community. In den Online-Auftritt werden im Rahmen eines Syndikationsmodells übersetzte Texte aus dem britischen „Guardian“ integriert. In der Ausgabe vom 9. November gratulierte Gregor Gysi dem Blatt zum 33. Geburtstag für seine Leistung, „Debatten zwischen Ost und West über alle Themen mit Respekt, gedanklichem Tiefgang, Schreibkultur und einem besonderen Gefühl für Zwischentöne zu gestalten“.
Nicht unerwähnt bleiben soll Jungle World, die nach eigenem Verständnis undogmatisch-linke Wochenzeitung, Die Druckauflage liegt nach Verlagsangaben bei 10.500 Exemplaren, Genaueres wird nicht kommuniziert. Inhaltliche Schwerpunkte sind Themen wie: Antifaschismus, Antirassismus, Antisemitismus, Islamismus sowie Kapitalismuskritik. Nach dem Relaunch vor einigen Jahren verortete ein Rezensent das Blatt „jenseits des Hardcore-Antiimperialismus der jungen Welt, der etwas behäbigen Pluralität des ND sowie dem zwischen SPD und Linkspartei changierenden Freitag.
Zeitung für die Bezugsgruppe
Fünf Blätter mit einer Gesamtverkaufsauflage von wenig mehr als 100.000 Exemplaren – eine karge Bilanz für ein Land von der Größe der Bundesrepublik. In der Nische überleben allenfalls noch einige special-interest-Produkte, die Publizistik der Überzeugungstäter: Missy Magazine, Analyse und Kritik, Konkret, gern auch die Titanic. Alle Genannten erscheinen noch überwiegend in analoger Form – gedruckt. Die schlechte Nachricht: Print gilt vielen nicht nur aus ökonomischen Gründen perspektivisch als Auslaufmodell. In der Debatte um staatliche Presseförderung haben die „Holzmedien“ zunehmend einen schweren Stand. In Zeichen der Klimakrise – so dass nicht abwegige Argument – verböten sich lebensverlängernde Maßnahmen für derlei unökologischen Anachronismus.
An der Schwelle zur digitalen Gesellschaft haben sich Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit zudem radikal verändert. Social Media ermöglicht es selbst kleinsten Interessensgruppen, eigene Kommunikationskanäle zu schaffen und die eigene Peergroup zu bedienen. Dieser zunehmenden Parzellierung von Öffentlichkeit entspricht die Zersplitterung der linken Bewegungen. Radikale Klimakritik? Fridays For Future, Attac, Letzte Generation, Extinction Rebelllion. Die Linke? Spaltet sich gerade in zwei Gruppen. Die taz organisierte einst in politisch flauen Phasen eigene Politkampagnen („Waffen für El Salvador“) zur Mobilisierung ihrer Leser*innen. Heute versetzt der Krieg in Israel und Gaza zerstrittene Fraktionen in Bekenntnisstress. Linke Publizistik – ein Schrumpfsegment in bewegten Zeiten.