Gruner+Jahr: Am Ende verscherbelt

Verlagsgebäude, Flaggschiff und Beschäftigte werden von RTL geschluckt. Foto: picture alliance/ ZB/ Sascha Steinach

Vor zwei Jahren fusionierte RTL Deutschland mit dem Traditionsverlag Gruner + Jahr. Ein „journalistisches Powerhouse“ sollte entstehen, gar ein „nationaler Cross-Media-Champion“, schwärmte damals Thomas Rabe, Vorstandschef des Mutterkonzerns Bertelsmann. Doch schon ein Jahr später begann der Ausverkauf im einst größten Zeitschriftenverlag Europas. Auf der Strecke blieben hunderte Arbeitsplätze. Doch wie steht es heute um die Zeitschriften-Titel von Gruner+Jahr?

Es war ein Schock, als die RTL-Geschäftsleitung Ende 2022 ankündigte, das gesamte G+J-Zeitschriftensegment zu überprüfen. Der Konzern, so Bertelsmann-Boss Rabe, werde „nur solche Titel mit RTL zusammenführen, die wirklich synergetisch sind“. Spätestens da dämmerte den Beschäftigten des Verlagshauses, dass sie die eigentlichen Verlierer der Fusion sein könnten – allen vorherigen Sprüchen Rabes von der Verschmelzung zu einem „nationalen Champion“ zum Trotz. Die „cossmedialen Synergien“ zwischen Print und TV fanden kaum statt. Die Strategie einer gemeinsamen Inhalte-Vermarktung wie zum Beispiel beim gedruckten Stern und Stern TV funktionierte nicht.

Schrumpfen statt Fortschritt

Die Folgen der verfehlten Strategie bekamen die Beschäftigten zu spüren. Anfang Februar 2023 machte Rabe sein dramatisches Schrumpfprogramm publik. Behalten wollte der Konzern nur einige Kernmarken inklusive diverser Ableger. Stern, Stern Crime, Geo, Geolino, Geolino mini, Geo Epoche (nach viel öffentlicher Fürsprache), Capital, Brigitte, Gala bekamen eine Existenzgarantie. Ebenso Schöner Wohnen, Couch sowie die Digitalausgaben von Eltern und Chefkoch.

23 Zeitschriften sollten eingestellt oder verkauft werden. Bereits seit dem Sommer Geschichte: Die Personality-Titel Barbara und Guido. Ebenso die diversen Brigitte-Ableger: Brigitte Mom, Brigitte Woman und Brigitte Wir. Nicht zu vergessen Eltern und Geo Saison.

Verbunden war dieser Kahlschlag mit der Streichung von 700 Stellen in Hamburg. Betroffen waren auch die Kreativen. „Unzählige Freie verlieren langjährige Auftraggeber, mit denen sie Magazine gestalteten und für die sie über Jahre wertvolle Recherchen leisteten“, bilanzierte bitter „Freischreiber“, der Verband freiberuflicher Autor*innen. Vielen Freien brachen die Standbeine weg, der Auftragsverlust entsprach nicht selten der Hälfte ihres Monatsverdienstes. Im Gegensatz dazu konnten Festangestellte mit gewerkschaftlicher Unterstützung immerhin Abfindungen aushandeln. Für die Zerschlagung von Gruner + Jahr, die Auflösung von Redaktionen und den ignoranten Umfang mit Freien verlieh „Freischreiber“ dem Bertelsmann-Chef Thomas Rabe den „Hölle-Preis 2023“.

Leider unfähig

Für ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz zeigte sich im Vorgehen des Bertelsmann-Konzerns seine „Unfähigkeit, ein profitables und europaweit beachtetes Zeitschriftenhaus in die digitale Transformation zu führen“. Die „fehlgeleitete Strategie aus Gütersloh“ beraube den Medienstandort Hamburg und die Presselandschaft um „ein großes Stück Vielfalt“.

Nach und nach gelang es RTL-Bertelsmann, Käufer für eine Reihe von Zeitschriften zu finden. Das Wirtschaftsmagazin Business Punk ging an die Weimer Media Group. 11freunde landete bei der Spiegel-Gruppe. Ergebnislos blieben die Verhandlungen über das Kunstmagazin art – es verbleibt bis auf Weiteres bei G+J. Auch von den zur Deutschen Medienmanufaktur (DMM) zählenden Titeln Landlust, Essen und Trinken, Flow sowie Living at Home trennte sich RTL. Wie erwartet übernahm der Landwirtschaftsverlag Münster mit dem 50prozentigen DMM-Anteil die Gesamtkontrolle über diese Magazine.

Die Blätter der P.M.-Familie gingen an den Münchner Verlag GeraNova Bruckmann. Das Magazin Salon übernahm dessen Redaktionsleiterin Anne Petersen im Rahmen eines Management-Buy-Outs. Kein Interessent fand sich indes für den Gastronomie-Titel Beef. Er wurde sang- und klanglos eingestellt.

Druckerei stellt Betrieb ein

Mit Wirkung zum 31. Januar 2024 wird auch Prinovis, der letzte noch verbliebene Tiefdruckstandort in Ahrensburg, den Geschäftsbetrieb einstellen. Begründet wurde die Schließung in Ahrensburg mit betriebswirtschaftlichen Erwägungen. Bis zuletzt wurden dort unter anderem die G+J-Titel Stern und Gala gedruckt, aber auch die Apothekenumschau, mit gut 7,4 Millionen verbreiteten Exemplaren Deutschlands auflagenstärkste Kundenzeitschrift. Seit Anfang 2023 wussten die 545 Mitarbeiter*innen, dass das Unternehmen keine Zukunft mehr hat. Das Durchschnittsalter der Belegschaft lag bei über 55 Jahren.

Unter den verbliebenen Kernmarken von G+J/RTL wird vor allem dem Stern noch eine Wachstumschance eingeräumt. Die Auflage der Printausgabe des Stern sank allerdings unter der Leitung von Chefredakteur Gregor Peter Schmitz bereits 2022 um gut acht Prozent auf 315.000 verkaufte Exemplare und stagniert seither auf diesem Niveau. Mitte 2023 kündigte Schmitz Investitionen von über 30 Millionen Euro in die digitale Transformation an. Bis 2026 will er 100.000 Digitalabos für Stern+ erreichen – ein Angebot, das Stern, Stern Crime, Geo, Geo Epoche und Capital bündelt. Geplant war die Neueinstellung von 40 redaktionellen Kräften, vorwiegend „Leute, die sehr digital denken“, wie Schmitz im Interview mit der Süddeutschen Zeitung sagte. Er ist in Personalunion auch verantwortlich für Geo und Capital.

Zweifel an Cross-Media-Strategie

Medienkritiker zweifeln, ob die angestrebten crossmedialen Synergien zwischen Print und TV dem Stern guttun. Kaum feierte Sportmoderatorin Monica Lierhaus ein Comeback bei RTL, fand sich parallel ein Interview mit ihr im Heft. Und DSDS-Juror Dieter Bohlen wurde gar als Coverboy des Stern geadelt. Schmitz kann nichts Anrüchiges dabei finden. „Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass Leute uns vorhalten, wir machen einfach Cross-Promotion für RTL“, monierte er in der Süddeutschen. Im Frühjahr soll die rundumerneuerte Seite stern.de online gehen. Das Ziel: den Webablegern von Spiegel und Zeit möglichst viele Digital-Abonnenten abzujagen.

So bleibt am Ende des Verlagsjahres 2023 eine bittere Bilanz: Das Ergebnis ist nicht – wie ursprünglich versprochen – ein „journalistisches Powerhouse“, sondern die weitgehende Verschrottung und Verscherbelung eines der wertvollsten Medienschätze der deutschen Nachkriegsgeschichte.

 

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