Seit der Fusion des Traditionsverlags Gruner + Jahr mit RTL vor einem Jahr leben die G+J-Mitarbeiter*innen in existenzieller Unsicherheit. Welche Zeitschriften werden verkauft? Wer kann bleiben? Wo wird zusammengestrichen? Erst im Februar will die Geschäftsleitung ihre Entscheidungen bekanntgeben. Mit einer „aktiven Mittagspause“ protestierte die Belegschaft am 25. Januar gegen diese Hinhaltepolitik und die befürchtete Abwicklung von Arbeitsplätzen. Auch die Beschäftigten von Prinovis am Bertelsmann-Druckstandort Ahrensburg bangen um ihre Jobs.
„Notruf Hafenkante!“ „Stoppt den Ausverkauf am Baumwall!“ Thomas, sei kein Rabenvater!“ Nur einige der Slogans auf den Plakaten, die von den G+J-Mitarbeiter*innen in die Höhe gereckt wurden. An die 250 Kolleg*innen verschiedener Redaktionen wollen ein Zeichen setzen gegen die Hinhaltepolitik der Geschäftsleitung. „Wir sind stinksauer!“ schimpft Martin Klingberg, ver.di-Vertrauensmann und erntet stürmischen Applaus. Bertelsmann-Boss Thomas Rabe stelle das gesamte Hamburger Printgeschäft des Verlags auf den Prüfstand und schockiere damit die ganze Branche. Dabei habe die Geschäftsleitung versprochen, „dass im Zuge der Fusion mit RTL keiner auf der Strecke bleibt! Wir erwarten, dass dieses Versprechen eingehalten wird!“
Vor vier Monaten hatte Bertelsmann-Chef Thomas Rabe in einem im Intranet verbreiteten Interview angekündigt, das gesamte G+J-Zeitschriftensegment zu überprüfen. Der Konzern, so Rabe, werde „nur solche Titel mit RTL zusammenführen, die wirklich synergetisch sind“. Eine Ansage, die bei den Beschäftigten sämtliche Alarmglocken klingeln ließ. Spätestens jetzt dämmerte ihnen, dass sie bei der Anfang 2022 erfolgten Fusion von G+J mit RTL Deutschland die eigentlichen Verlierer sein könnten – allen Sprüchen Rabes von der Verschmelzung zu einem „nationalen Champion“ zum Trotz.
„Die Zeit des Wartens und Stillhaltens ist vorbei“
„Synergien“ von rund 100 Millionen Euro pro Jahr sollte die Fusion schaffen, davon drei Viertel durch zusätzliches Wachstum und ein Viertel durch Einsparungen. Inzwischen erscheint klar, dass das Sparprogramm vor allem die Redaktionen der Zeitschriften betrifft, die jetzt zur Disposition stehen. Auch wenn das Schicksal der einzelnen Titel noch im Unklaren liege: „Der große Ausverkauf“ – wie die „Süddeutsche Zeitung“ in einer kurz vor Weihnachten 2022 publizierten Reportage titelte – hat längst begonnen.
„Die Zeit des Wartens und Stillhaltens ist vorbei“, ruft Tina Fritsche, Gewerkschaftssekretärin ver.di Hamburg, den Teilnehmer*innen der „aktiven Mittagspause“ zu. „Die Unternehmensführung lässt die Beschäftigten im Dunkeln, ob und welche Titel verkauft werden sollen und was das für die Arbeitsplätze bedeutet. Die Unsicherheit, die dadurch entsteht, ist unerträglich!“
Von Verlagsseite hüllt man sich jedoch einstweilen in Schweigen. Ergebnisse der „Analyse des Titelportfolios“, so heißt es, lägen noch nicht vor. Genaueres werde erst im Laufe des ersten Quartals bekannt gegeben, frühestens Mitte Februar. Die diesjährige Jahreshauptversammlung der Gütersloher findet am 30. März statt.
Dass der Bertelsmann-Boss im Grunde kein Interesse an Print hat, ist im Unternehmen kein Geheimnis. Dennoch zeigt sich die Belegschaft von Gruner + Jahr schockiert angesichts der Kaltschnäuzigkeit, mit der Rabe im Begriffe ist, die Magazine des Traditionshauses einzeln oder en bloc zu verscherbeln. Eines Verlags wohlgemerkt, der nach Corona ökonomisch wieder im Aufwind war. Der Gewinn vor Abzug von Steuern lag 2021 bei 134 Millionen Euro und damit sieben Millionen höher als im Vorjahr. Ergebnisse, die sich auch einem rigorosen Kostenmanagement verdankten.
„Größte Ergebnis- und Wertvernichtung“ im deutschen Medienmarkt
Schon seit langem regierte der Rotstift im Verlag. Gespart wurden an allem – an Personal, Papier, Redaktionsetats. Die Redaktionen bekamen dies zu spüren, unter anderem durch eine „immense Arbeitsverdichtung“, wie Tina Fritsche bereits im Herbst letzten Jahres attestierte.
Angesichts unsicherer Zukunftsaussichten sind viele Kolleg*innen auf dem Absprung oder haben sich schon neue Jobs gesucht. Mit Ausnahme des „Stern“ sei alles andere Verfügungsmasse, soll Rabe zum Jahresende angedeutet haben. Eine Strategie, die nicht unbedingt geeignet ist, den Verkauf einstiger Renditeperlen des Verlags zu begünstigen. Jüngste IVW-Verkaufszahlen sprechen da eine deutliche Sprache. Im Vergleich zum Vorjahr sank die harte Auflage im 4. Quartal 2022 bei „Brigitte“ um satte 14,5 Prozent. Noch schlimmer trifft es „Geo“ mit minus 17 Prozent. „Gala“ verliert 7,6 Prozent, „Stern“ 7,2 Prozent, einigermaßen stabil bleibt nur „Capital“ mit minus 3,6 Prozent.
Einige ehemalige G+J-Führungskräfte stellten am 25. Januar im „Hamburger Abendblatt“ dem Konzernvorstand ein vernichtendes Zeugnis aus. Von einer „Demontage des Verlags“ ist da die Rede. Es handle sich um „die größte Ergebnis- und Wertvernichtung, die ich im deutschen Medienmarkt je erlebt habe“, wird da ein Ex-Top-Manager vertraulich zitiert.
Auch Carsten Brosda, Kultur und Mediensenator bezog dieser Tage Stellung und forderte „eine klare Zukunft“ für die G+J-Mitarbeiter*innen. Er hoffe, “dass die einmalige journalistische Tradition von Gruner + Jahr nicht nur nach aktuellen Marktgegebenheiten und den Interessen des Fernsehsenders RTL bewertet“ werde.
Brodelnde Gerüchteküche über potenzielle Käufer
Längst brodelt die Gerüchteküche über potenzielle Käufer einzelner Zeitschriftentitel. Nach Medienberichten interessiert sich der Spiegel Verlag für die Geo-Gruppe sowie „Capital“. Begehrt ist auch die Brigitte-Gruppe, für die dem Vernehmen nach Funke, der Bauer Verlag sowie die Klambt Mediengruppe mitbieten. Und erst kürzlich bekannte Susan Molzow, Geschäftsführerin des Jahreszeiten Verlags, im Interview mit Meedia, es gebe „sicherlich die eine oder andere Zeitschrift von G+J, die zu uns passen könnte“.
Für den Ausgang der „Portfolioanalyse“ gibt es verschiedene denkbare Szenarien. Für „Freischreiber“, die Interessenorganisation freiberuflicher Autor*innen – auch sie ist auf der Kundgebung präsent – „aller Wahrscheinlichkeit nach so düster wie erwartbar“: Titel, die direkte Mitbewerber wegkaufen, aber nicht weiterführen; Titel, die zwar andere Verlage übernehmen, aber aus den eigenen Redaktionspools bedienen und bei denen künftig Renditeziele wichtiger sein dürften als journalistische Qualität.
Redaktionsbeiräte kämpfen für Zeitschriften-Gesamtpaket
Während in Fachmedien offen über das Verhökern einzelner Marken aus Deutschlands einst angesehenstem Zeitschriftenverlag spekuliert wird, schweigt die Konzernleitung beharrlich. In dieser Situation meldeten sich am 19. Januar die Betroffenen zu Wort. In einem geharnischten Brandbrief, adressiert an die Eigentümer Liz und Christoph Mohn, protestierten die Redaktionsbeiräte von G+J gegen die „Zerschlagung“ des Verlags. Unterzeichner: die Beiräte von „Art“, „Brigitte“, „Eltern“, „Geo/P.M.“, „Geolino“, „Stern“ und dem „Quality Board“, dem „Schlussredaktion“ und „Faktenchecker“ angehören. Der Brief wird unter lauten Beifallsbekundungen auf der Kundgebung vor dem Verlagsgebäude verlesen.
Man sei „erschüttert“ darüber, dass RTL und Bertelsmann sich nicht „schnell und eindeutig“ zu dem spekulativen Berichten über die Zukunft des Verlags geäußert hätten, heißt es darin: „So geht man nicht mit Menschen um, die seit vielen Jahren mit großem Engagement für ihre Marken arbeiten.“ Die sogenannte „Portfolioüberprüfung“ als Umschreibung für „Pläne, nur noch die wenigen Titel zu behalten, die sich für eine Synergie mit der Fernsehsparte von RTL eignen sollen“, laufe auf eine nicht akzeptable Spaltung hinaus. Denn: „Gruner + Jahr ist ein Gesamtpaket, das sowohl in der redaktionellen Zusammenarbeit als auch im Werbemarkt funktioniert.“ Alle Marken hätten eine Strategie für digitale Bezahl-Abos verdient.
Abschließend wenden sich die Beiräte direkt an Liz und Christoph Mohn und beschwören den Schulterschluss von Eigentümer und Belegschaft. Beide hätten ein „gemeinsames, langfristiges Interesse an einem publizistisch unabhängigen und wirtschaftlich starken Medienhaus“. Demgegenüber würden angestellte Manager „oft viel zu kurzfristig“ denken. Der Brief endet mit dem Appell „an Ihre unternehmerische, gesellschaftliche und soziale Verantwortung. Bewahren sie diesen einzigartigen Verlag und führen Sie ihn gemeinsam mit uns in eine gute Zukunft!“
Prinovis von Bertelsmann schließt letzte Tiefdruckerei
Befürchtungen über einen Total-Ausverkauf des Magazinbereichs werden auch durch die für Januar 2024 angekündigte Schließung der Prinovis-Druckerei in Ahrensburg genährt. Angeblich steckt die zu Bertelsmann gehörende Großdruckerei – hergestellt werden Kataloge, Zeitschriften und Beilagen – in den roten Zahlen. Ahrensburg ist der letzte verbliebene Tiefdruckstandort des Gütersloher Konzerns in Deutschland.
Aufgrund der Pandemiefolgen und der gestiegenen Papier- und Energiepreise hätten die Auftraggeber „ihre Marketingaktivitäten in den vergangenen zwei Jahren immer wieder hinterfragt und häufig in Richtung digitaler Kommunikationslösungen verändert“, wird die Prinovis-Geschäftsführung in einem Bericht des Norddeutschen Rundfunks zitiert. Dadurch habe sich das Auftragsvolumen zuletzt stark verringert. In Ahrensburg werden unter anderem die G+J-Titel „Stern“ und „Gala“ gedruckt, aber auch die „Apothekenumschau“, mit 7,4 Millionen Exemplaren Deutschlands auflagenstärkste Kundenzeitschrift.
Die 545 betroffenen Mitarbeiter*innen (Werk- und Leiharbeitsverträge nicht eingerechnet) wollen die Unternehmensentscheidung nicht kampflos hinnehmen. Zwar habe man das Unheil seit einiger Zeit kommen sehen, bekennt Betriebsratsvorsitzender Florian Buchwald, aber die Stimmung sei jetzt doch „ziemlich gedrückt“. Unmittelbar nach Erhalt der schlechten Nachricht hätten viele Kolleg*innen „vor dem Werkstor mit einem Trillerpfeifenkonzert protestiert“.
Über Jahre habe die Geschäftsleitung es versäumt, in Zukunftstechnologien zu investieren. Stattdessen habe es immer nur geheißen „Verzicht, Verzicht“, seien die einzelnen Standorte gegeneinander ausgespielt worden, kritisiert Buchwald. Noch versuche der Betriebsrat, zu eruieren, ob es Möglichkeiten gibt, die komplette Abwicklung zu verhindern, etwa „durch neue Aufträge in der Weiterverarbeitung oder durch Investitionen in eine andere Drucktechnik“. Falls das nicht erreichbar sei, werde der Betriebsrat in Sozialplanverhandlungen versuchen, möglichst viel an Abfindung und sonstigen Leistungen für die Belegschaft herauszuholen. Das Durchschnittalter der Beschäftigten liegt bei über 55. Viele von ihnen treffe es hart, so der ver.di-Mann, „nicht wenige haben ein Leben lang hier gearbeitet“.
Für ver.di-Sekretärin Tina Fritsche sind die Vorgänge bei Prinovis ein neuerlicher Beleg für das schwindende Interesse von Bertelsmann am Zeitschriftengeschäft. Gemeinsam mit den G+J-Mitarbeiter*innen fordert sie die Geschäftsleitung auf, am Qualitätsjournalismus und am Hamburger Verlagsstandort festzuhalten. ver.di-Vertrauensmann Martin Klingberg richtete einen leidenschaftlichen Appell an die Konzernspitze: „Hallo Herr Rabe! Erhalten Sie unsere Arbeitsplätze!“ Und: „Stopp die Zerschlagung von Gruner + Jahr! Stopp den Irrsinn!“