Massive Einschnitte bei Gruner+Jahr

Montage: M, unter Verwendung von Foto:123rf/SalaverrAa Calahorra

Monatelang bangte die Belegschaft der Magazine von Gruner + Jahr um ihre Zukunft. Jetzt wurden schlimmste Befürchtungen wahr. Ein Jahr nach der Fusion des einstigen Renommierverlags mit RTL Deutschland beginnt Bertelsmann mit der Zerschlagung des Traditionsunternehmens. Bis auf einige Kerntitel sollen die meisten Zeitschriften eingestellt oder verkauft werden. Allein in Hamburg droht der Abbau von mindestens 700 Arbeitsplätzen.

Erst vor zwei Wochen hatten an die 250 Mitarbeiter*innen vor dem Verlagsgebäude gegen den von Bertelsmann-Boss Thomas Rabe geplanten „Ausverkauf am Baumwall“ protestiert. Die Redaktionsbeiräte der wichtigsten Zeitschriften hatten in einem Brandbrief an die Eigentümer Liz und Christoph Mohn appelliert, die drohende Zerschlagung zu verhindern. Als „unfassbare Wertzerstörung“ und „desaströse Managementleistung“ verurteilte der langjährige „Geo“-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede das sich abzeichnende Vorhaben der Geschäftsleitung. Rabe sei dabei, „einen der wertvollsten Medienschätze der deutschen Nachkriegsgeschichte zu verscherbeln, womöglich zu verschrotten“.

Einstellen und verkaufen

Auch ver.di-Gewerkschaftssekretärin Tina Fritsche appellierte noch einen Tag vor der Entscheidung an Bertelsmann und Geschäftsführer Rabe, „das ganze Potenzial eines Verlags und seiner Beschäftigten zu erkennen und Titel und Marken nicht zu verscherbeln“. Vergebens. Nach einem Bericht der dpa will die Konzerntochter RTL Deutschland nur einige Kernmarken inklusive diverser Ableger behalten: „Stern“, „Geo“, „Capital“, „Stern Crime“, „Brigitte“, „Gala“, „Schöner Wohnen“, „Häuser“, „Couch“, „Geolino“, „Geolino mini“ sowie die Digitalausgaben von „Eltern“ und „Chefkoch“.

Alle anderen 23 Titel werden eingestellt oder verkauft. Die Abwicklung droht Ablegern von Kernmarken wie „Geo Epoche“ und „Geo Wissen“, „Brigitte Woman“ und „View“ („Stern“-Gruppe). Auch die beiden Personality-Magazine „Guido“ um Designer Guido Maria Kretschmer und „Barbara“ um TV-Moderatorin Barbara Schöneberger werden nicht weitergeführt. Ein Verkauf wird für fünf Marken geprüft: „Business Punk“, „Art“, „P.M.“, „Beef“ und „Salon“. Ebenfalls zum Verkauf stehen die RTL-Beteiligungen am Fußballmagazin „11 Freunde“ und an der Verlagsgruppe Deutsche Medienmanufaktur in Münster („Landlust“, „Essen & Trinken“).

Der mit dieser Operation verbundene Abbau von rund 500 Stellen soll laut Konzernbeschluss schrittweise bis Ende 2025 erfolgen. Der überwiegende Teil der Streichungen betreffe nicht den redaktionellen Bereich, sondern Jobs in der Verwaltung. Kalkuliert werde darüber hinaus mit dem Wegfall von etwa 200 Stellen, die durch den geplanten Verkauf einzelner Titel auf neue Eigner übergehen würden. Die Streichung von insgesamt 700 Stellen betrifft somit mehr als jede dritte der 1.900 Vollzeitjobs, die in der Hamburger Zeitschriftensparte angesiedelt sind.

„Fehlgeleitete Strategie aus Gütersloh“

Für ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz spiegelt sich in der Entscheidung des Bertelsmann-Konzerns die „Unfähigkeit, ein profitables und europaweit beachtetes Zeitschriftenhaus in die digitale Transformation zu führen“. Die „fehlgeleitete Strategie aus Gütersloh“ schneide dem Medienstandort Hamburg und der Presselandschaft „ein großes Stück Vielfalt“ heraus. „Ohne Rücksicht auf die Leistungen und den Wert der Verlagsbelegschaft werden nun hunderte Menschen ihre Arbeit verlieren, die bis jetzt noch zu den Gewinnen in der Bilanz des Konzerns beigetragen haben“, so Schmitz. ver.di werde sich mit den Beschäftigten dagegen wehren.

Die Gewerkschaft rege an, in Hamburg nach Alternativen für dieses von Bertelsmann angerichtete Desaster zu suchen, „mit dem Ziel, Magazin-Vielfalt und Arbeitsplätze zu erhalten“. ver.di geht wegen der verbreiteten Teilzeit im Verlag davon aus, dass deutlich mehr Personen von Kündigungen betroffen sein werden. „Das Entsetzen bei den Beschäftigten im Verlag ist groß“, so Schmitz, die Stimmung werde „sicherlich in Widerstand gegen eine nicht nachvollziehbare Entscheidung von RTL/Bertelsmann umschlagen“.

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