Der Abschied vom Pressebüro

Während die Nachfrage bei automatisierungsanfällige Arbeiten sinkt, steigt sie bei komplexeren Tätigkeiten.

Foto: ver.di

In den 80er und 90er Jahren schlossen sich freie Journalist*innen in Bürogemeinschaften zusammen, um im Kollektiv zu arbeiten. Dahinter stand die Idee eines anderen, herrschaftsfreieren Arbeitens. Die politische Ausrichtung, die Verteilung der Honorare und Aufträge oder Vereinbarungen über den Putzplan wurden individuell ausgehandelt. Das Münchner Pressebüro war ein solches Kollektiv. Im vergangenen Jahr musste es nach rund 40 Jahren seine Räume verlassen und hat sich aufgelöst.

Die Münchner Fliegenstraße war ein Ort, der jahrzehntelang unter dem Radar der stadtüblichen Gentrifizierung lag. Zentral am Sendlinger-Tor-Platz gelegen, war sie auch der ideale Standort für ein Journalistenbüro, das dort in den 1980er Jahren gegründet wurde. Auch die Taz hatte in dieser Straße ihr erstes Büro.

Das Büro wurde Anfang der 1980er Jahre gegründet und verfügte um 2010 herum immer noch über den Charme der frühen Jahre: Es mutete eher WG-ähnlich an und hatte so gar nichts von postmoderner Sachlichkeit. In den Altbau-Räumen fanden sechs freie Journalist*innen Platz. Im Haus selbst waren noch weitere Medienbüros ansässig. Um einen mehr oder weniger stabilen Kern von zwei bis drei Personen, der für Kontinuität im Büromanagement sorgten, gruppierten sich seit dem Jahr 2000 in wechselnden Besetzungen rund 40 Personen, für die das Büro meist eine Durchgangstation zu neuen Biografie-Abschnitten darstellte. Wobei jenseits des „harten Kerns“ die durchschnittliche Verweildauer zwischen einem halben und einem dreiviertel Jahr schwankte.

Journalistisches Selbstverständnis

Spannt man einen Bogen der vergangenen 25 Jahre, dann wird auch der gesellschaftliche Wandel und der Wandel des journalistischen Selbstverständnisses deutlich. Die Anfänge des Büros waren geprägt von kollektiven Strukturen und dem Anspruch eines gesellschaftskritischen, engagierten Journalismus. Lange ideologische Diskussionen, gemeinsames Abstimmen, die kritische Auswahl neuer Büromitglieder verbanden sich mit einem kollektiven gemeinsamen Auftreten nach Außen, was durch einen gemeinsamen Namen und auch einer gemeinsamen Telefonanlage zum Ausdruck kam. „Es war ideologischer, aber auch nerviger“, erinnert sich Ex-Büromitglied Barbara*. Man habe einen „fairen Journalismus“ im Auge gehabt, war politisch sehr sensibilisiert und Wirtschaftsberichterstattung war nahezu ein Tabu beziehungsweise musste man sich dafür rechtfertigen.

Vom Kollektiv zur Ich-AG

Um das Jahr 2008 hatte sich diese Situation völlig verändert. Die kollektive analoge Telefonanlage hatte längst den Geist aufgegeben und kein Fachbetrieb konnte die 20 Jahre alte Anlage noch reparieren. Das war aber auch gar nicht mehr gewünscht. Die Büro-Mitglieder verstanden sich nun in der Regel als „Ich-AG“ mit eigenem Firmennamen, eigenem Internet-Auftritt und eigener Telefonnummer. Aus dem Kollektiv-Büro wurde ein Büro von Einzelkämpfer*innen. Während in der Gründerzeit die meisten Mitglieder etliche Jahre im Büro verblieben, hatte sich nun ein häufiger Personenwechsel eingestellt.

Das Pressebüro befand sich in der Münchner Fliegenstraße. Foto: Münchenwiki

Für viele nahm dabei die freiberufliche Selbständigkeit als Journalist*in eine transitorische Funktion ein. Das Pressebüro war eine Durchlaufstation hin zu neuen biografischen und beruflichen Abschnitten. Anke etwa nutzt das Büro nach dem Verlust ihrer festen Anstellung bei einem Magazin als kurze Zwischenstation, bis sie erneut eine feste Anstellung erhielt. Für Eva wiederum war die Büro-Zeit der Abschnitt zwischen der bewussten Aufgabe eines festen Jobs und der Geburt ihrer Tochter. Sabine wiederum wollte sich beruflich verändern und nutzte die Büro-Zeit als journalistisches Versuchsfeld, bis auch sie eine Festanstellung bekam. Andere Kolleg*innen verließen das Büro wegen des Umzugs in eine andere Stadt, meist wegen Veränderungen im beruflichen und partnerschaftlichen Feld.

Prekäre vereinigt Euch

Eines der wesentlichen Merkmale der meisten Journalist*innen des Büros über die Jahre hinweg ist die Prekarität der Einkommensverhältnisse. Nur die allerwenigsten konnten ausschließlich von ihrer journalistischen Tätigkeit leben. Generell sind es die Aufträge aus der Wirtschaft, von PR-Agenturen und manchmal Verlagen, die einigermaßen „vernünftige“ Honorare generieren. Das alltägliche journalistische Geschäft mit Artikeln für Zeitungen, Zeitschriften oder online-Ausgaben wird dagegen völlig unzureichend vergütet. So verwundert es nicht, dass ein Großteil der Journalist*innen, die das Büro über die Jahre bevölkerten, auf andere Einnahmequellen angewiesen waren und sind. Dazu gehört, dass in einer Ehe oder Partnerschaft der Partner oder die Partnerin mit einem festen Einkommen für die finanzielle Grundversorgung sorgt. Dazu gehören auch privates Vermögen und staatliche Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Kredite für Existenzgründer*innen. Und dazu gehören zusätzliche Jobs, als Komparse beim Film, als Reiseleiterin, als Choreografin oder als Nachtwache in Kliniken. Der ausschließlich von journalistischer Tätigkeit lebende freie Journalist ist, wenn nicht gar eine Chimäre, dann aber zumindest die absolute Minderheit.

Perspektiven für Freie

Die länger Bleibenden ziehen nach einigen Jahren Bilanz. Dann kann das Verbleiben in einer Position des freien Journalisten als persönliche Sackgasse empfunden werden, die weder Aufstiegschancen noch Entwicklungsperspektiven bietet. Für Angelika zum Beispiel hat sich nach den Erfolgen der ersten Jahre als freie Journalistin Ernüchterung eingestellt. Sie hat es mittlerweile satt, für wenig Geld viel zu schreiben. Die anfängliche Motivation, Artikel in renommierten Zeitungen unterzubringen und aufweisen zu können, ist Routine und der Erkenntnis gewichen, dass es dabei auch bleibt – eine Steigerung des Einkommens oder berufliches Fortkommen ist so nicht möglich.

Alternative zum Homeoffice

Warum aber ziehen freie Journalist*innen das Journalistenbüro dem heimischen Schreibtisch dennoch vor und sind dafür auch bereit, Miete und andere Kosten zu tragen? Ein wesentlicher Grund ist das Bedürfnis, Kontakt mit anderen Kolleg*innen zu haben. Manche Kolleg*innen nutzen ihr Büro entsprechend. Sie arbeiten darin nur gelegentlich, nehmen aber gerne die Kontaktmöglichkeiten etwa bei der Mittagszeit oder beim Nachmittagskaffee wahr. Viele freie Journalisten*innen nutzen das Büro, weil ihnen eben „zu Hause die Decke auf den Kopf fällt“.

Das Pressebüro spiegelt die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte wider. Vom sich als gesellschaftskritisch verstehenden Journalistenkollektiv mit gemeinsamem Auftritt hin zu einer pragmatischen Bürogemeinschaft einzelner Kolleg*innen. Von der Dominanz des Politischen hin zur Dominanz des Wirtschaftlichen. Die zunehmende Fluktuation seit einigen Jahren spiegelt auch die „Flexibilisierung“ des Arbeitsmarktes wider, in der die Zahl der Normalarbeitsverhältnisse bei Zeitschriften und Zeitungen, also der „festen Stellen“, in Folge von wirtschaftlichen Krisen schrumpfte. Das Pressebüro stellte dabei für viele einen transitorischen Raum dar, eine Verweilstation zwischen verschiedenen Lebensabschnitten und beruflichen Wendemarken.


*Alle Namen von der Redaktion geändert

 

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