Eine der führenden Regisseurinnen der früheren Sowjetunion, Lana Gogoberidze (95) folgt in ihrem autobiografischen Dokumentarfilm „Mother and Daughter, or the Night Is Never Complete“ den Spuren ihrer Mutter Nutsa Gogoberidze (1902 – 1966), Georgiens erster Filmregisseurin. Zehn Jahre war Nutsa im Gulag inhaftiert und ihr Werk galt als verschollen. Doch 2013 wird ihre Tochter Kopien zweier ihrer von der sowjetischen Zensur weggeschlossenen Filme entdecken.
Ein großer, alter Koffer von Nutsa Gogoberidze wird aufgeklappt. Darin Fotos, die der Beschlagnahmung in Zeiten des „Großen Terrors“ unter Stalin entgangen sind. Lana Gogoberidze betrachtet mit ihrer Tochter Salome Alexi, ebenfalls Filmemacherin, die Fotos der Familie. Auch die von Nutsas Filmsets bei ihren Drehs in den 1930er Jahren. Lana erinnert sich anhand von Collagen dieser Fotos an ihre eigenen Lebenszyklen, chronologisch und immer verknüpft mit dem Leben ihrer Mutter.
Die stammt aus einer Familie mit sechs Töchtern, die alle – untypisch für jene Zeit – akademisch ausgebildet sind. In Lanas Elternhaus in Tiflis gehen Künstler*innen ein und aus. Wenn auch überzeugter Kommunist, fällt der Vater den stalinistischen Säuberungen zum Opfer. Die Mutter erhält Berufsverbot und wird enteignet, als Lana acht Jahre alt ist. Sie müssen Tiflis verlassen. Jedem Lebensabschnitt widmet Gogoberidze ein eigenes filmisches Kapitel. So etwa der Rückkehr der Mutter aus dem Gulag und die spätere Versöhnung mit ihr.
Die Berliner Mauer fällt und die Sowjetunion löst sich 1991 auf. Lana Gogoberidze macht sich mit ihrer Tochter bald auf die Suche nach dem verschollenen Filmwerk ihrer Mutter. 2013 finden sie den experimentellen Dokumentarfilm „Buba“ (1930) über die Lebensverhältnisse von Menschen in Nordgeorgien in einem russischen Archiv. Es folgt der Spielfilm „Uzhmuri“ (1934). Die restaurierten Kopien touren seitdem um die Welt und werden als Meisterwerke gefeiert; „Buba“ wird heute von Kritiker*innen als Wegbereiter von Luis Buñuels „Erde ohne Brot“ (1933) betrachtet.
Eindrückliche Szenen aus den beiden Filmen illustrieren vor allem den dritten Teil von Gogoberidzes Rückblick. „Meine Mutter ist durch diese Filme in mein Leben zurückgekehrt und dadurch trockneten meine Tränen. Diktaturen sind temporär, die Kunst bleibt für die Ewigkeit“, kommentiert Lana aus dem Off.
Um die Geschichte einer vergessenen Frau und ihren vergessenen Filmen zu erzählen, greift Gogoberidze nicht dem Zeitgeist entsprechend auf Filmmaterial aus stalinistischen Wochenschauen und archivierten Gesprächen mit früheren Zeitzeugen zurück. Neben den Fotocollagen bebildert sie „Mother and Daughter…“ mit Sequenzen aus ihren eigenen in der Sowjetzeit entstandenen Spielfilmen, in denen sie traumatische Erlebnisse mit ihrer Mutter bereits in Szene gesetzt hat. In Form eines persönlichen, dokumentarischen Essays blickt Gogoberidze fesselnd auf das zurück, was sie mit ihrer Mutter verbindet.
„Mother and Daughter, or the Night Is Never Complete“. Georgien/ Frankreich 2023, 89 Minuten. Buch und Regie: Lana Gogoberidze, 3003 FilmProduction. Der Film läuft noch einmal am 25. Februar, 12:30, im Delphi Filmpalast.