Journalist*innen sollten sich „für Nachhaltigkeit genauso einsetzen wie für Demokratie“, forderte Medienforscher und -praktiker Torsten Schäfer in seiner Keynote auf der Jahrestagung des Netzwerks Medienethik zum Thema „Nachhaltigkeit in der Medienkommunikation“. Ein Schwerpunkt war die Rolle des Journalismus angesichts der Klimakrise – vom veränderten Selbstverständnis bis zur Kritik an dominierenden Wachstumsnarrativen.
Torsten Schäfer, Onlinejournalismus-Professor an der Hochschule Darmstadt und Umweltredakteur, erläuterte, das Bundesverfassungsgericht habe 2021 mit seinem Klimaschutz-Urteil Nachhaltigkeit als Grundwert verankert. Die Konsequenzen für den Journalismus erläuterte er an Äußerungen aus einem Workshop zum Nachhaltigkeitsauftrag der Medien 2022 in Darmstadt. Dort betonte MDR-Rundfunkrat Heiko Hilker, die Medien seien „eine Säule der bundesdeutschen Demokratie“. Wenn Exekutive, Legislative und Judikative dem Erreichen der Klimaschutzziele dienen müssten, dann gelte das auch für die Berichterstattung der Medien.
Nachhaltigkeit als Querschnittsthema
Nachhaltigkeit solle in den Medien nicht nur als Thema, sondern – analog zu Demokratie und Menschenrechten – als eine Dimension jedes Themas, unabhängig von Ereignissen und Ressortgrenzen mitgedacht werden, forderte Schäfer. Als problematisch bezeichnete er die Privatisierung von Nachhaltigkeit und Reduzierung auf die Frage „Was kann ich tun? Wie kann ich die Welt retten, Plastik vermeiden?“ Der Neoliberalismus habe „kollektive Bande aufgelöst und Nachhaltigkeit im Diskurs auf wenige Dimensionen reduziert.“ In diesem Diskurs dominierten „ökonomische und technologische Narrative die Erzählungen im Kontext der Nachhaltigkeit. Deswegen schwindet der Planet und leidet das Klima“, kritisierte der Medienforscher und nannte als Beispiele Dekarbonisierung oder Technologieförderung. Wichtig seien andere Narrative zum Klimaschutz wie Biodiversität stärken, Wertewandel fördern und eine Klimaöffentlichkeit herstellen.
Es gebe „keine Zielkonflikte zwischen Nachhaltigkeit als journalistischem Auftrag und einer unabhängigen und unparteilichen Berichterstattung“, konstatierte Schäfer und präsentierte Beispiele, wie Nachhaltigkeit als neue Dimension im Journalismus und ethisches Leitbild im Praxisfeld des Klima-/Umweltjournalismus umgesetzt werden kann. Fachportale wie „Grüner Journalismus“ , Medien-Doktor Umwelt, Klimafakten.de , RiffReporter KlimaSozial oder Netzwerk Weitblick unterstützen Journalist*innen bei der Berichterstattung über Nachhaltigkeit.
Als erste Tageszeitung legte der britische Guardian bereits 2015 ein „mediales Klimabekenntnis“ ab. In der Initiative Covering Climate Now schlossen sich 2019 mehr als 220 Medien zusammen, um die Relevanz des Klimajournalismus zu betonen und die Berichterstattung zu verbessern. 2020 veröffentlichte die deutsche taz einen Sprachleitfaden für Klimajournalismus und der Stern gestaltete zusammen mit Fridays for Future den Titel „#Kein Grad weiter“. GEO wurde das erste klimaneutral produzierte Magazin. 2022 veröffentlichte das ein Jahr zuvor gegründete Netzwerk Klimajournalismus eine Charta, die Aufklärung im Sinne eines klaren ethischen und ökologischen Ziels festhält: „Erhalt der Lebensgrundlagen für alle Lebewesen auf diesem Planeten“. Die Initiative „Klima vor Acht“ verlangt vom Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk mehr Aufmerksamkeit für die Klimakrise.
Ganzheitliche Bezüge zur Natur: „Die Erde hat Fieber!“
Schäfer resümierte, ein wirksamer Nachhaltigkeitsdiskurs könne nicht ohne ganzheitliche Bezüge und eine unmittelbare Naturanbindung stattfinden. In der anschließenden Diskussion betonte er: „Wir haben kein Wissensproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Wir brauchen nicht nur bessere Narrative, sondern auch mehr politische Regulation“, die durch „harten, investigativen Klimajournalismus“ befördert werden müsse. Ähnlich äußerte sich Anja Windl, Klimaaktivistin der „Letzten Generation“ in Österreich, die Politik mit anderen Mitteln unter Druck setzt, mehr gegen den „sozial-ökologischen Kollaps“ zu unternehmen. Die Klimakrise sei eine Menschheitskrise, man müsse Schutz von Klima und Biodiversität zusammendenken. Viele seien frustriert und denken „Noch zehn schöne Jahre… das Ding ist schon zu Ende.“
Der Arzt Jörg Schmid von der „Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit“ erläuterte, Verdrängung sei ein menschlicher Mechanismus, wenn die Belastung zu hoch werde. Die Diagnose der Klimakrise solle deutlicher formuliert werden: „Die Erde hat Fieber!“ Wenn die Temperatur auf 42 Grad steige, könne das tödlich enden. Bei der Therapie „müssen wir von Angstnarrativen zu Chancennarrativen kommen und uns vorstellen, in was für einer Welt wir leben wollen!“ Schäfer berichtete von Zukunftswerkstätten mit Studierenden, die dort Szenarien für die Welt von morgen entwickeln. Etwa Zweidrittel seien technologisch geprägt, Dreiviertel dystopisch und ein Fünftel „spannend zu lesen“.
Nachhaltigkeit klar benennen und einordnen
Es zeigte sich, wie sehr die gängigen Metaphern und Narrative die Bilder in den Köpfen der Rezipierenden prägen und wie wichtig die Kontextualisierung des schillernden Begriffs „Nachhaltigkeit“ ist. Der Münchener Medienforscher Stefan Kosak demonstrierte das an Beispielen. Wenn etwa die Schwäbische Zeitung titelt „ZF erhält Preis für nachhaltiges Wachstum“, würdige sie damit besonders starkes Wachstum. Nachhaltigkeit werde als ökonomischer Erfolg verstanden im Sinne der alltagssprachlichen Bedeutung von „dauerhaft“ – langfristig zu denken und zu handeln wie in der Forstwirtschaft, die bei der Ressourcennutzung auf die Regenerationsfähigkeit des Waldes achte.
Durch die Unschärfe des Begriffs bleibe für Leser*innen unklar, „was mit der Rede von Nachhaltigkeit gemeint oder beabsichtigt wird“, kritisierte Kosak. Journalist*innen sollten deshalb zur Stärkung demokratischer Teilhabe der Bürger*innen „kontextbezogene Aufklärungsarbeit“ leisten, indem sie Interessen, Standpunkte, Vorhaben verdeutlichen und öffentliche Verlautbarungen von Institutionen einordnen.
Als konstruktive Alternative zu den gängigen Wachstums-Narrativen in der Klima- und Nachhaltigkeitsdebatte präsentierten Vortragende die ethisch verankerte Erzählung vom „besseren Leben“ bzw. „guten Leben“. Medienethiker Rüdiger Funiok verstand darunter „die Sorge für sich, andere und die Umwelt“. Medienforscherin Sigrid Kannengießer definierte „gutes Leben“ als objektiv bestimmbare Lebensform, die nicht nur das individuelle Wohlbefinden, sondern auch das der anderen beinhaltet. Sie analysierte digitale Medientechnologien und kam zu dem Schluss, die Umsetzung einer stärker sozial und ökologisch verstandenen Nachhaltigkeit sei kein technologisches Problem, sondern dem fehlenden politischen Willen geschuldet.