Klima vor Acht statt Börse vor Acht

Thementag zum Klimawandel – am 24. Februar 2021 im WDR. Foto: WDR/imago images/Christian Ohde

Seit Jahrzehnten warnt die Wissenschaft eindringlich vor den Folgen des menschengemachten Klimawandels – und doch seien viele Medien angesichts dieser Krise zu passiv. Die Initiative Klima vor Acht kritisiert auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der im Bezug auf die Klimakrise seine Aufgabe nicht erfülle. Norman Schumann ist Mitbegründer der Initiative und gehört zum Presseteam. Er sprach mit M über Zuschauerwünsche, Sendeplätze und die Skepsis der Sender.

Klima vor Acht, das erinnert ja nicht zufällig an Wirtschaft vor Acht, ein seit über zehn Jahren zur Primetime in der ARD ausgestrahltes Börsen-Magazin, oder?

Nein, es geht genau darum: Ein Format zur Klimakrise zu haben, was zur besten Sendezeit im Fernsehen läuft – wissenschaftlich fundiert, verständlich und konstruktiv. Klima vor Acht statt Börse vor Acht, oder Wirtschaft vor Acht, wie es seit neuestem heißt.

Die Idee zu so einem Magazin ist allerdings nicht ganz neu. Es gab schon 2019 eine Petition von zwei Studentinnen, gerichtet an die ARD, mit dem gleichen Anliegen. Sie hat 26.000 Unterschriften erreicht. Und es gab Briefe von den Grannies for Future im April 2020 an die Rundfunkräte. Augenscheinlich aber ohne Ergebnis?

Stimmt, das Anliegen wurde ignoriert. Aber um der Debatte neuen Schwung zu geben, haben wir 2020 als Menschen aus der Klimabewegung zusammen mit anderen Interessierte gesagt: Wenn das Öffentlich-Rechtliche kein Klima vor Acht machen will, dann zeigen wie denen, wie das geht.

Und was ist dabei entstanden?

Wir hatten mit einer Crowdfunding-Kampagne innerhalb von dreieinhalb Stunden 20.000 Euro zusammen, das Budget für die sechs Folgen, die wir machen wollten. Das hat uns natürlich bestärkt. Und wir wussten, jetzt muss es gut werden. Wir haben dann die ersten sechs Folgen produziert und dafür viele Wissenschaftler*innen und Journalist*innen gewinnen können. Alles in allem gab es viel Unterstützung für unsere Bewegung. Wer sich allerdings nicht bewegt hat, ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk.

Es gab nicht einmal Gespräche?

Doch die gab es – beschwichtigende Gespräche. „Nette Idee“ hieß es erst und dann „Wir haben schon so viel zu Klima“. Ein Argument war auch, man würde mit einer Sendung dem Thema nicht gerecht, müsse da mehr in die Breite denken. Wir würden da gar nicht widersprechen. Wir fänden es super, wenn es neben einer kurzen täglichen Sendung auch in der Breite häufiger um die Klimakrise ginge. Doch unsere eigene Programmstudie hat belegt, dass dazu überhaupt nichts oder nichts Wesentliches im Programm vorkommt.

Eine aktuelle Studie aus Hamburg bestätigt das, oder?

Ja, die Universität Hamburg hat eine Langzeitstudie-Studie veröffentlicht. Ergebnis: Von der Gesamtsendezeit in den öffentlich-rechtlichen Sendern machen Klimathemen weniger als zwei Prozent aus. Auch die Malisa-Studie hat diese Einschätzung zuletzt bestätigt. Deren Rezeptionsumfrage hat ergeben: Die Menschen wünschen sich ein tägliches Format, das aktuell über die Klimakrise berichtet.

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Die Folgen Klima vor Acht, die ich kenne, zeigen, dass es möglich ist.

Und dennoch wollen wir vor allem Inspiration und Motivation für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sein. Wir sagen explizit: „Wir möchten diese Sendung nicht selbst machen. Das ist eure Aufgabe.“ Aber im Vorfeld hieß es, es sei zu komplex, und jetzt, nachdem wir gezeigt haben, dass es geht, heißt es, es gäbe schon genug. Mir scheint eher, da wurde die Strategie geändert. Dabei wollen viele Menschen aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Journalist*innen und Redakteur*innen, die dort arbeiten und mit denen wir gesprochen haben, sehr gerne so eine Sendung machen. Die sind Feuer und Flamme fürs Thema. Aber das obere Management schiebt den Riegel vor. Es ist also ein massives Management-Versagen bezogen auf die Klimakrise im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Wie gehen Sie jetzt damit um?

Wir lassen uns davon nicht beirren. Wir sind nach wie vor der Überzeugung, dass es so eine Sendung braucht, auch außerhalb der Tagesschau. Denn das ist auch so ein Argument; in der Tagesschau kämen ja Berichte. Ja, ab und zu. Aber Hintergründe gibt es nur zu späten Sendezeiten, etwa 22:50 Uhr, da ist klar, da schaut kaum jemand. Dabei hatten wir 2023 den heißesten Juli seit Jahrtausenden, den heißesten September und sogar den heißesten Oktober. Die Klimakrise beginnt, jetzt richtig Fahrt aufzunehmen. Informationen dazu müssen an die Menschen gebracht werden, darüber muss debattiert werden. Das Schweigen im Öffentlich-Rechtlichen ist schwer auszuhalten. Es scheint eine große Angst zu geben, das Thema offensiv und konstruktiv zu besprechen, weil wir ohnehin in einer Multikrisenzeit, wie es heißt, leben. Es ist die Aufgabe des Öffentlich-Rechtlichen, die Gesellschaft zu informieren. Und er hat zum Beispiel in der Corona-Pandemie gezeigt, wie gut er sie erfüllen kann. Da gab es Sondersendungen, Expertenrunden, Informationsveranstaltungen.

Gibt es denn auf anderen Sendern Beispiele, die zeigen, dass es möglich ist, die Klimakrise angemessen zum Thema zu machen?

Als wir unsere ersten Folgen veröffentlicht haben, ist RTL auf uns zugekommen. Da hieß es, wir finden die Idee super, wir machen jetzt mit euch eine Sendung. Und seit 2021 gibt es das sogenannte Klima-Update  zweimal pro Woche auf RTL, zur Primetime, da werden 2,5 Millionen Zuschauer*innen im Schnitt erreicht. Im ORF gibt es das Zeit im Bild Magazin Klima, einmal die Woche, das läuft abends vorm Spielfilm. In England auf Sky gibt es The Daily Climate Show: Jeden Tag 15 Minuten Klimanachrichten. Das zeigt doch: Wenn man will, geht es.

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