„Iraqi Odyssey“ – eine politische Familiengeschichte

Ein Dokumentarfilm des irakstämmigen schweizer Filmemachers Samir
Poster: Klein

Nachrichten aus dem Irak erhalten wir täglich, meist schlechte. Wer sich im Medientrubel erinnern mag, hat vielleicht noch das Jahr 2003 im Kopf, als die Bush-Administration mit einer Lüge den ersten Irakkrieg auslöste. Aber was wissen wir sonst vom Land zwischen Euphrat und Tigris? „Iraqi Odyssey“, ein Dokumentarfilm des irakstämmigen schweizer Filmemachers Samir, will da Abhilfe schaffen.

Der Filmemacher erzählt die Geschichte seiner Familie, und es ist eine politische Familiengeschichte, eine Geschichte von Flucht, Migration, Rückkehr, Emigration. Samirs Familie ist über die Welt verstreut, wie viele irakische Familien. Vier Millionen Iraker, vor allem aus dem Mittelstand, leben im Exil.
Samirs Familie war stark politisch geprägt, links orientiert. 1958 erlebte der Irak eine Revolution, die Monarchie wurde abgeschafft und die Republik ausgerufen. Eine weltliche Ära schien heraufzuziehen, es herrschte Optimismus, was die Zukunft angeht. Frauen konnten ohne Kopftücher gehen, durften arbeiten und studieren. Bagdad wurde eine moderne arabische Stadt. Der Aufbruch wurde von den aufkommenden Religiösen und der faschistischen Baath-Partei zerstört, die Kommunistische Partei verfolgt. Die Emigrationsgeschichte von Samirs Familie ist eine direkte Folge.

„Iraqi Odyssey“ ist eine sehr gegenwärtige Geschichtslektion. Sie zeigt, dass die Vorstellung, Menschen, die aus purer Not in ein sicheres und besseres Leben fliehen, würden auf jeden Fall in Europa bleiben wollen. So einfach ist es nicht. In Samirs Familie findet man sehr verschiedene mögliche Haltungen. Einige Familienmitglieder haben es vor Heimweh in der Emigration nicht ausgehalten und sind zurückgekehrt. Andere sind zurückgekehrt, wenn sie für sich und das Land eine Entwicklungschance sahen und als die verschwand, flüchteten sie wieder. Andere haben sich so in einem fremden Land etabliert, dass sie gar nicht daran denken, in ihr altes Leben zurückzukehren. Wieder andere, wie der schon als Kind in die Schweiz ausgewanderte Autor, versuchen sich ihre Herkunft zu erobern. „Iraqi Odyssey“ lehrt, die Flüchtlingskrise nicht eindimensional zu sehen.

Am 14. Januar kommt „Iraqi Odysse“ in einer 90-Minutenversion in die Kinos. Wer die Möglichkeit hat, die ausführliche 3-D-Version zu sehen, sollte das tun. Sie ist komplexer und ästhetisch besonders interessant. Samir inszeniert Geschichte und Figuren auf raffinierte Weise, hat die Interviews in 3-D gedreht – das bringt die Protagonisten den Zuschauern auf sehr eindrückliche Weise nahe.
Mit dem Film verbunden ist ein Online-Projekt . Der Autor versucht damit, eine irakische Community aufzubauen, Zugang zur irakischen Geschichte zu öffnen und zugleich auch das visuelle Gedächtnis des Landes zurückzuerobern – in den Kriegen sind die Bildarchive zerstört worden. Und noch eine Empfehlung: Der Film ist von der Schweiz für den diesjährigen Oscar nominiert.

Mehr lesen: Wolf sieht fern

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Wie berichten über Katastrophen?

Medien müssen immer häufiger über Krisen unterschiedlicher Art berichten. Für die gesellschaftliche Resilienz ist es wichtig, dass dies empathisch, sachgerecht und konstruktiv geschieht. Die Studie "Berichten über Leid und Katastrophen" der Otto-Brenner-Stiftung gibt Anregungen, wie das gelingen kann. Die Ahrtalflut 2021 ist hierfür ein Lehrstück.  
mehr »

Sorge um Pressefreiheit in Osteuropa

„Journalistinnen und Journalisten stehen In vielen Ländern Osteuropas unter enormem Druck von Regierungen. Von Pressefreiheit kann angesichts von Repressalien wie Klagen, Bedrohungen und Inhaftierungen keine Rede mehr sein. Dabei machen die Journalist*innen einfach nur eins – ihre Arbeit“, betont Tina Groll, Bundesvorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di, anlässlich der Verleihung der Free Media Awards 2024 für Medienschaffende in Osteuropa heute norwegischen Nobel-Institut in Oslo.
mehr »

Filmtipp: Die Fotografin

Kate Winslet spielt Lee Miller, die bekannteste Kriegsfotografin der 1940er Jahre, als hochenergetische Künstlerin. Die 1907 geborene Lee Miller kam auf Umwegen zur Pressefotografie. Zunächst absolvierte sie eine komplette Karriere als Model. Der Surrealist Man Ray entdeckte sie für die Bildende Kunst. Bei ihm wechselte sie immer öfter auf die andere Seite der Kamera. Bereits ihr Vater hatte sie in der Funktionsweise verschiedener Apparate unterrichtet. Sie veröffentlichte bald erste eigene Arbeiten und gründete ein eigenes Studio.
mehr »

Die Taz nimmt Abschied vom Papier

Als erste überregionale Zeitung wird die Taz ab Mitte Oktober 2025 unter der Woche nur noch als reine digitale Tageszeitung erscheinen. Die Wochenendausgabe wochentaz wird weiterhin gedruckt. Auf der Generalversammlung der Taz Verlagsgenossenschaft verkündete die Geschäftsführung der Taz den Zeitpunkt der sogenannten Seitenwende für die seit 1979 täglich erscheinende Tageszeitung aus Berlin.
mehr »