Wahlergebnis gefährdet Pressefreiheit

Lars Hansen, Redakteur in der Funke Mediengruppe und Co-Vorsitzender der dju in ver.di Foto: Stephanie von Becker

Meinung

Das Erstarken der rechtspopulistischen Parteien bei der Europawahl ist ein Alarmsignal für die Pressefreiheit und dem Qualitätsjournalismus in der EU. Wichtige Meilensteine der europäischen Medienpolitik, die in den vergangenen Jahren erreicht wurden, könnten bedeutungslos werden, wenn sich die Rechten entscheidend an der Gestaltung der Politik beteiligen können. Auch in Deutschland ist vielen Menschen nicht bewusst, wie viel Europapolitik zur Pressefreiheit beiträgt.

Allein in der vergangenen Wahlperiode des Europäischen Parlaments wurden sechs entscheidende Richtlinien und Rechtsnormen verabschiedet, die die Medien- und Informationsfreiheit schützen und die dafür sorgen sollen, dass Journalist*innen in der gesamten EU ihrer Arbeit professionell nachgehen können. Da wären die Urheberrechtsreform, die seit 2019 die Beteiligung von Journalist*innen an digitaler Verwertung ihrer Arbeit garantiert; das Gesetz über digitale Dienstleistungen, das unter anderem Whistleblower schützt oder aber große Internetplattformen verpflichtet, sich an publizistische Standards zu halten; das Gesetz über künstliche Intelligenz; die Anti-SLAPP-Richtlinie, die Journalist*innen vor juristischer Einschüchterung schützt und das Europäische Medienfreiheitsgesetz. An der Gestaltung all dieser Regelungen hat sich übrigens die Europäische Journalist*innen-Föderation (EFJ), der auch die dju angehört, aktiv beteiligt.

Rechtsnormen für Pressefreiheit

Manche dieser Regelungen mögen aus der Perspektive deutscher Journalist*innen unnötig erscheinen, weil die Rechte, die sie garantieren, hier als selbstverständlich wahrgenommen werden. Ein Blick in andere EU-Länder zeigt aber schnell, dass gute europäische Rechtsnormen notwendig sind, um  die Pressefreiheit und Meinungsvielfalt zu schützen. In Italien greift die Regierung Meloni massiv den öffentlich-rechtlichen Rundfunk an, in Kroatien wurden allein 2022 über 1000 Einschüchterungsklagen gegen Journalist*innen gezählt, in Ungarn konzentriert sich die Presse mittlerweile in der Hand Präsidenten-naher Unternehmer und in der Slowakei will die Regierung den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ganz auflösen. Die Liste ließe sich noch fortsetzen.

Allen Populist*innen ist eines gemeinsam: Kritische, differenzierte, Berichterstattung stört die Verbreitung der ebenso simplen, wie polarisierenden Narrative, denen sie ihre Wahlerfolge verdanken. Sie setzen deshalb alles daran, eine solche Berichterstattung einzuschränken, sei es durch direkte Angriffe auf die Pressefreiheit oder auf die Finanzierung unabhängiger Medien, wie dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Das gilt nicht nur anderswo in Europa. Auch in Deutschland zeigt die Taktik Wirkung, etwa wenn bürgerliche Ministerpräsidenten in der Hoffnung damit Wähler*innen der AfD zurückzugewinnen, die notwendige Anpassung des Rundfunkbeitrags blockieren.

Für ihre Wiederwahl als Präsidentin der Europäischen Kommission ist Ursula von der Leyen auf die Stimmen weiterer Fraktionen als die ihrer EVP angewiesen. Sollte sie sich dabei auf die erstarkte Rechten-Fraktion stützen wollen, wird diese Zugeständnisse einfordern, nicht zuletzt in der Medienpolitik. Dann könnte die gute Arbeit der letzten fünf Jahre auf einen Schlag zunichtegemacht werden. Das gilt es zu verhindern.

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