In ihrem Buch „Wie wir uns Rassismus beibringen“ spannt die Journalistin und Politikwissenschaftlerin Gilda Sahebi einen Bogen vom Kaiserreich zu heute und zeigt: Wir alle denken rassistisch. Sahebi analysiert nicht nur Politik und Gesellschaft, sondern auch die Rolle der Medien. Ihr Buch bietet gerade Medienschaffenden zahlreiche Anregungen, die eigene Arbeit und die eigenen Narrative zu hinterfragen.
Können wir unsere Demokratie retten, wenn wir den Rassismus nicht verlernen?
Nein. Nicht auf Dauer.
Sind das sonst nur kurzfristige Versuche?
Ich habe kürzlich einen interessanten Satz gehört, im amerikanischen Radiosender NPR. Es gibt sehr viele Bücher über den Aufstieg des Populismus, aber wenige darüber, wie man ihn stoppt. Und ich glaube, das liegt daran, dass es Staaten nur in den seltensten Fällen gelingt, autoritäre Kräfte aufzuhalten. Es wird in der Regel immer schlimmer. Das ist auch der Grund, warum es immer weniger Demokratien gibt – weil wir immer die gleichen Fehler machen.
In dem Buch kombinieren Sie historische und aktuelle Medien- und Politikzitate, die rassistische Narrative verbreiten. Wie haben Sie da die Auswahl getroffen?
Das ist relativ organisch passiert, weil ich die Zitate genommen habe, an die ich mich selbst noch gut erinnert habe. Ich lese ja viel Zeitung und Nachrichten und habe da ein ganz gutes Gedächtnis. Wahrscheinlich habe ich mir die Zitate gemerkt, die bei mir am meisten emotional bewirkt haben. Ich hatte gar nicht so geplant, dass ich zu jeder Historie ein aktuelles Beispiel nehme. Beim Schreiben fiel mir auf: Ach ja, guck mal, das ist doch ähnlich wie da.
Traurig, an wie viele Aussagen man sich da erinnern kann.
Es passiert nun einmal die ganze Zeit. Man muss nur einmal die Zeitung aufschlagen – und dann hast du ein Beispiel.
Wenn Sie Kolleg*innen zitieren, benennen Sie – außer bei Positivbeispielen – nur das Medium. Warum?
Es geht mir nicht darum Menschen vorzuführen. Es geht einfach so weit über das Individuelle hinaus. Es ist etwas Strukturelles und Kollektives. Für mich fühlt es sich falsch an, Namen von Kolleg*innen hinzuschreiben. Bei Politiker*innen nenne ich die Namen. Bei ihnen ist es zum einen leicht nachzuvollziehen, wer das gesagt hat. Und zweitens sollten Politiker*innen daran gewöhnt sein, von Journalist*innen kritisiert und analysiert zu werden.
Sie zeigen, dass vom Kaiserreich bis heute immer wieder ein Narrativ im Mittelpunkt steht. Angeblich herrsche gerade immer eine neue Dimension der Migration, schon 1945 bei den Geflüchteten aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Angeblich immer: „Das Maß ist voll.“ Warum wird das von Medien kaum hinterfragt?
Diese Narrative werden nicht als Geschichten verstanden, die werden als Wahrheit verstanden. Das kennen wir von den persönlichen Storys, an die wir glauben: „Ich bin nicht klug genug. Ich bin nicht schön genug. Ich muss leisten, um wertvoll zu sein.“ Wir hinterfragen diese Geschichten in der Regel auch nicht. Erst, wenn du Glück hast zu erkennen, dass das nur eine Geschichte ist, kannst du anfangen, diese Sätze zu hinterfragen. So weit sind wir als Gesellschaft aber nicht, und unsere Strukturen auch nicht.
2015 gab es einige wenige Monate ein positives Narrativ für Migration, bevor das schnell wieder umschwenkte. Warum lassen sich die Medien da instrumentalisieren?
Darum habe ich die Historie reingebracht – weil das schon immer so war. Die Leute wollen nicht unbedingt rassistische Narrative weiterverbreiten, sondern das wirkt unbewusst: „Die gehören nicht dazu, die müssen wieder raus, es sollen nicht mehr kommen.“ Und es steckt so tief in der Gesellschaft, das ist wie bei den eigenen Geschichten. Man denkt, es ist normal so zu denken. Aber die wenigsten Menschen gehen den Weg, da reinzugehen. Was ist das für eine Geschichte? Wo kommt sie hier? Ist sie wirklich wahr? Warum glaube ich daran? Und jeder, der so eine Arbeit mal an sich gemacht hat, weiß, wie schwer das ist. „Die Ausländer sind schuld“ wird im kollektiven Bewusstsein als normales Narrativ gesehen.
Im Buch bedauern Sie, dass die Ansicht vorherrsche, dass menschenfreundliche, antirassistische Botschaften zu komplex seien. Ist das ein Plädoyer für konstruktiven oder positiven Journalismus?
Diese Erzählungen sind erstmal Aufgabe der Politik. Journalismus sollte berichten und beschreiben. Es darf nicht am Journalismus liegen, die Menschen zu animieren, etwas zu tun oder zu glauben. Es wäre schon ein riesiger Schritt, wenn die Realität abgebildet wird und nicht Projektionen oder Erzählungen. Und natürlich ist es ein gemeinsamer Prozess, politisch, gesellschaftlich, medial, die Erzählungen zu ändern. Aber eine andere Erzählung zu stricken, da hat vor allem die Politik zu tun, glaube ich.
Das Buch gibt am Schluss einen Ausblick: „Es braucht Menschen, die verstehen, dass der Einsatz gegen Rassismus, gegen Menschenfeindlichkeit, für sie selbst ist. Für sich, für ihre Kinder, für ihre Gesellschaft, für ihre Heimat.“
Das ist wie im Sexismuskontext zu sagen: Hey, Männer, ich brauche euch. Ne, ich brauche euch nicht. Aber wenn ihr wollt, dass die Gesellschaft gleichberechtigt ist und demokratisch, dann müsst ihr halt was machen. Und das ist bei Rassismus auch so. Wenn ich nicht anerkenne, dass es meine Gesellschaft ist, die dann kaputt geht, dann brauche ich auch nichts machen. Als nette Geste ist das nicht nachhaltig.
„Deutschland hatte nie die Erzählung eines Miteinanders.“ Wie können Medien diese Geschichte erzählen?
Ich brauche keine antirassistische Berichterstattung. Ich möchte nur eine Berichterstattung haben, die frei ist von Projektionen und rassistischen Erzählungen. Das wäre schon richtig viel, allein daraus würde sich ganz viel ergeben. Automatisch. Wenn man die Realität abbildet, auch an all den Stellen, wo es richtig gut läuft in der Einwanderungsgesellschaft, dann hätte man schon eine andere Geschichte. Und die Geschichten sind ja da. Aber wenn Eingewanderte immer im Kontext von Kriminalität und Islamismus darstellt werden, ist es quantitativ natürlich sehr überzeichnet und von rassistischen Narrativen überschattet. Das heißt nicht, und das ist ganz wichtig, weil das stets als Vorwurf formuliert wird, dass wir uns nicht mit den Problemen auseinandersetzen müssen. Im Gegenteil. Das geht aber erst, wenn wir die Probleme richtig beschreiben können.
Wie müsste also progressiver Journalismus aussehen?
Sich mit seinen eigenen Projektionen und Emotionen auseinanderzusetzen, die man zu den verschiedenen Themen hat, wäre tatsächlich revolutionär. Ich glaube, dass wir dann einfach ganz andere Erzählungen und Debatten hätten. Und das würde schon sehr viel verändern. Und dann öffnet sich eine andere Welt.