Reporter ohne Grenzen (RSF) und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) reichen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Beschwerde gegen das Gesetz über den Bundesnachrichtendienst (BND-Gesetz) ein. Damit reagieren die Organisationen auf ungenügende Reformen des Gesetzes, das den Schutz von Medienschaffenden nicht ausreichend berücksichtigt. RSF und GFF erwarten sich von der Entscheidung ein Grundsatzurteil, das nicht nur Auswirkungen auf die Rechtslage in Deutschland haben wird, sondern auch Strahlkraft in die anderen Mitgliedstaaten des Europarates.
„Das BND-Gesetz ermöglicht immer noch die umfassende Überwachung von Medienschaffenden, vor allem außerhalb Deutschlands, und gefährdet damit die Pressefreiheit“, erklärt dazu Anja Osterhaus, Geschäftsführerin von Reporter ohne Grenzen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte solle deshalb das BND-Gesetz überprüfen. Die internationalen Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention und das neue Europäische Medienfreiheitsgesetz (EMFA) zum Schutz der Presse- und Informationsfreiheit müssten auch in Deutschland beachtet werden. Es gäbe aber „gravierende Schutzlücken“.
Auslandsgeheimdienst verletzt Grundrechte
Nach Auffassung von RSF und GFF verletzt der deutsche Auslandsgeheimdienst mehrere Grund- und Menschenrechte gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Denn die Vorgaben im BND-Gesetz schützen nicht ausreichend vor Verletzungen von Artikel 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens), Artikel 10 (Informations- und Pressefreiheit) und Artikel 13 (Recht auf wirksame Beschwerde). Medienschaffende in und außerhalb von Deutschland sind Überwachungsmaßnahmen ausgesetzt, die nicht den Anforderungen genügen, die der EGMR in seiner Rechtsprechung entwickelt hat: Danach muss die nachrichtendienstliche Aufklärung präzise bestimmbare Ziele haben und darf nur für bestimmte Zwecke genutzt werden.
Überdies verlangen Vertraulichkeitsbeziehungen zwischen Medienschaffenden und ihren Quellen einen besonderen Schutz. Die erlangten Informationen darf ein Nachrichtendienst nur für konkrete Anlässe und eine begrenzte Zeit speichern. Wer vermutet, überwacht worden zu sein, muss eine effektive Möglichkeit haben, eine unabhängige Überprüfung zu verlangen. Das BND-Gesetz werde dem aber nicht gerecht.
Von Karlsruhe nach Straßburg
Weil das Bundesverfassungsgericht in der Sache nicht entscheiden wolle, müsse eben der Weg nach Straßburg vor die Europäische Menschenrechtskonvention eingeschlagen werden, rklärt Bijan Moini, Verfahrenskoordinator und Legal Director der GFF. Weitere Beschwerdeführende sind Medienschaffende und Menschenrechtsverteidiger aus Deutschland, der EU und dem Nicht-EU-Ausland, darunter Meron Estefanos (Schweden), Goran Lefkov (Nordmazedonien), Dragana Pećo (Serbien) und Kerem Schamberger (Deutschland).
Die Medienschaffenden arbeiten überwiegend investigativ und überregional, die meisten zu Korruption, Steuerbetrug, organisierter Kriminalität sowie Menschenrechtsverletzungen wie Folter, Menschenhandel und genozidaler Gewalt. Diese Themen gehören auch zum Aufklärungsauftrag des BND. Die Verfassungsbeschwerde verfasste Prof. Dr. Matthias Bäcker von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, beratend unterstützt durch die Anwältin Stephanie Motz.
RSF und GFF hatten 2020 vor dem Bundesverfassungsgericht ein viel beachtetes Urteil erstritten, das weite Teile der Auslandsüberwachung durch den BND für grundrechtswidrig erklärte und den Gesetzgeber verpflichtete, die Kommunikation ausländischer Medienschaffender besonders zu schützen.