Eine Art politischer Stammtisch

Die beiden Gründer vom News Room Germany: Perdis Kloth-Hoeke und Wichard von Alvensleben. Foto: Jasmin Rathcke

Seit gut drei Jahren gibt es den News Room Germany, wo tagesaktuelle politische und gesellschaftliche Themen diskutiert werden. Ins Leben gerufen wurde der Raum (#nrg) auf der App Clubhouse von der Juristin und Mediatorin Perdis Hoeke und Wichard von Alvensleben. Das Moderatorenteam komplettieren Celine Sen und Peter Kranz. Mittlerweile moderieren sie zwei Mal pro Woche auf der inzwischen auch schon mal totgesagten App Clubhouse. Zu Beginn hatten die Diskussionen schon mal 2.000 Gäste. Jetzt sind es oft mehr als 300. 

Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen, dass so etwas fehlt? Reichen die bestehenden Nachrichtenformate und Experteninterviews nicht aus?

Entstanden ist die Idee in der Pandemie durch die App Clubhouse. In dieser Zeit war der Informationsbedarf unfassbar groß. Vieles war nicht nachvollziehbar. Zahlreiche Fachtermina schwirrten herum. Wir wollten die Dinge von Mensch zu Mensch miteinander besprechen. Und sie mit Unterstützung von Expertinnen und Experten so einfach wie möglich erklären und einordnen.

Wir haben vor allem sehr emotional diskutierte Themen besprochen. Wir wollten also schwierige Themen einfach erklären, den Raum zur Diskussion geben und die Menschen besser abholen. Immer wiederkehrende Themen waren und sind die Pandemie, Fake-News, der Wahl-O-Talk vor Wahlen, die Ampel-Politik oder Dauerbrenner wie Putin, Gaza-Konflikt, AfD oder Migrationspolitik. 

Sie sind vier Moderatoren aus unterschiedlichen Bereichen. War das von Anfang an so?

Ich habe den News Room Germany gemeinsam mit Wichard gegründet. Er ist  Geschäftsführer von AGACO, einem Dienstleistungsnetzwerk aus freiberuflichen Managern und Experten. Mittlerweile gehören Celine Sen, Pädagogin und Gewerkschaftssekretärin bei der IG Metall, und Peter Kranz zum Moderatorenteam. Der frühere ZDF-Journalist und Leiter des Landesmarketing Mecklenburg-Vorpommern kam 2022 dazu. Dann haben wir noch Backups, darunter mehrere Journalist*innen. 

Wie setzen Sie die Themen?

Zumeist setzen Wichard und ich die Themen. Wir schauen zunächst nach der Aktualität. Was bewegt die Menschen gerade? Dazu gehören neben den genannten Themen tatsächlich auch solche rund um und aus der Arbeitswelt. Als Arbeitsrechtlerin schaue ich, was gravierend das Leben und die Arbeit beinflussen könnte. Oft sind es rechtliche Einordnungen. 

Andererseits fordert das Publikum auch Themen ein: etwas brennt auf der Seele oder sie wollen erklärt haben, warum etwas passiert oder warum etwas so und nicht anders gemacht wird. Wir vier haben wegen der Fülle die Themen untereinander aufgeteilt. So blieb das Thema AfD bei mir.

Nach einer Diskussion schrieb mir eine Dame einen Brief und bedankte sich. Weil ich ihr nicht sagte, sie soll diese oder jene Partei wählen, sondern weil sie nun endlich wisse, was gemeint sei. Damit wisse sie zum ersten Mal auch, wen sie wählen soll. Also für mich war es das schönste Kompliment. Viele vertrauen uns einfach. 

Gibt es Tabus?

Es gibt keine Tabuthemen. Bei uns gibt es nur Tabus in den Spielregeln. Es darf nicht beleidigt werden. Es darf sich nicht in Ton vergriffen werden. Wir lassen alle aussprechen.

Da greife ich sehr schnell zum Schutze aller durch. Und natürlich diskutieren wir manche Themen auch erst in der Viererkonstellation, ob sie in die große Runde kommen.

Nach dem 7. Oktober haben Sie mehrfach mehrere Stunden lang über Israel und den Gaza-Konflikt gesprochen. Wie stellen Sie sich, dass solche eine Debatte nicht antisemitisch ausartet? 

Wir reagieren sehr schnell bei antisemitischen oder rassistischen Äußerungen. Bei emotionalen und „harten“ Themen werden die

Perdis Hoeke (53)

hat eine Ausbildung zur Versicherungskauffrau gemacht, bevor sie ein rechtswissenschaftliches Studium mit Schwerpunkt Arbeitsrecht absolvierte und sich außerdem zur Life-Insurance-Expertin und zertifizierten Mediatorin ausbilden ließ. Als Hochschuldozentin lehrt sie unter anderem Arbeits- und Sozialrecht. Sie gründete den New Room Germany. Ihr Lieblingsformat dort ist der Wahl-O-Talk.

Spielregeln im Vorfeld bekanntgegeben. Wenn es ausartet, wird sofort unterbrochen, bzw. nochmal klargestellt. Wir sich nicht an die Regeln hält, darf nicht mehr mitdiskutieren. Der Chat wird grundsätzlich ausgeschaltet – um es nicht eskalieren zu lassen. Das versuchen wir auch bei Falschaussagen. Zwar bleibt der aktuelle Faktencheck eine Herausforderung. Aber wir stellen immer jemanden dafür ab. Zumeist sind es Wichard von Alvensleben und Celine Sen, die mir parallel relativ schnell ihre Recherchen zuzuspielen.

Außerdem versuchen wir, Spekulationen zu vermeiden und Halbgares nicht zu debattieren. Bei solchen Fällen merken wir immer an, dass wir nicht alle Fakten kennen, es Spekulationen sind und die Sache mit Vorsicht zu genießen ist. Wir verweisen darauf, dass wir Aussagen noch nicht verifizieren können.

Wer hört Ihnen denn zu und wer beteiligt sich?

Das ist abhängig vom Thema. Geht es um Bildung, melden sich viele Lehrerinnen und Lehrer wie auch Eltern. Generell spiegelt sich in der Debatte die Bevölkerung im Kleinen wider. Wir haben viele Stammzuhörende und auch viele, die uns im Podcast nachhören. Das Publikum ist wirklich breit gefächert. Das gilt auch für die Experten in der Diskussion, sei es von der NASA, Virologen oder Politikern vor allem vor Wahlen. Extra für letzteres haben wir den Wahl-O-Talk installiert. Vergleichbar ist der mit dem Wahl-O-Mat – Parteien werden mit ihren Wahlprogrammen gegenübergestellt und die Punkte besprochen, die aktuell für die Bürger*innen wichtig sind.

Ich glaube, dem Publikum gefällt hier, dass sie nicht wie bei der „Tagesschau“ nur Empfänger sind, sondern in einen regen Austausch treten können. Das Geheimnis unseres Erfolges liegt wohl tatsächlich darin, dass wir eine Art politischer Stammtisch sind. Ich formuliere es so, obwohl ich den Stammtisch nicht mag. Wir diskutieren kuratiert Themen – sachlich, ohne rumzubrüllen. Jeder am Tisch soll am Ende vielleicht ein anderes Verständnis, eine Bestätigung oder eine Korrektur dessen bekommen, was er oder sie ursprünglich geglaubt hat. Wir wollen mit unserem Publikum auf Augenhöhe sprechen.

Sie machen das alle unentgeltlich?

Es ist ein relativ hoher Zeitaufwand, bei dem man sich manchmal durchaus fragt, warum tue ich mir das an. Oder wenn Sie sieben oder acht Stunden zum Nahost-Konflikt debattieren … Ein Zugeständnis ist der Rhythmus: Früher waren wir jeden Tag on air.  Jetzt senden wir zweimal die Woche, am Sonntag und am Mittwoch.

Zum dreijährigen Geburtstag des News Rooms Germany wurde unter anderem gefordert, das Themenspektrum zu verbreitern, das Schlagwort Gossip fiel mehrfach?

Für mich gehört Klatsch und Tratsch einfach nicht zu den News, um es mal auf den Punkt zu bringen. Viele wollen politische Themen stärker vertiefen, wie etwa rund um die Wahlen in Amerika. Andere fordern mehr Sportthemen.

Wie eng sind Sie mit dem Wohl und Wehe von Clubhouse verbunden?

Logo News Room Germany

Es gab durchaus Überlegungen, sich einen anderen Ort zu suchen. Wir haben es schon auf LinkedIn probiert. Dort haben wir aber festgestellt, dass der Fokus enorm auf arbeitsrechtlichen Themen liegt. Wir bleiben erst einmal bei Clubhouse, zumal wir gar nicht beurteilen können, ob unser Format auf anderen Spielfeldern so erfolgreich sein kann. Und bei Clubhouse ist von einem Ende auch keine Rede.

Denken Sie daran, im News Room Germany auch mit Livebildern anstelle Ihrer Fotos zu senden?

Ich sehe es auf anderen Plattformen, dass das relativ zunimmt. Oftmals werden wir bei Veranstaltungen an unseren Stimmen erkannt. Wir diskutieren das gerade intensiv und überlegen tatsächlich, das zu probieren. 

Sind Sie im News Room Germany eigentlich mehr als Juristin oder mehr als Mediatorin gefragt?

Tatsächlich in beiden Funktionen. Das hält sich die Waage.  Zum einen bei rechtlichen Einordnung. Andererseits haben wir häufig Menschen, die sich bei den Themen konträr gegenüberstehen. Oftmals formulieren sie im Eifer des Gefechts nicht mehr sauber und sagen Dinge, die sie ganz anders meinen. Für uns ist wichtig, dass die Menschen uns vertrauen. Sie sollen keine Angst haben, ihre Meinung zu sagen und Themen anzusprechen. Darum gibt es den News Room Germany noch immer. 

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