Eine Medienplattform für Europa

Symbolfoto: stock.adobe.com

Für ARD und ZDF war es eine richtungsweisende Entscheidung, als sie vor einem Jahr mitteilten, ihre Mediathek-Software gemeinsam entwickeln zu wollen. Mit im Boot ist inzwischen auch das Deutschlandradio. Unter dem Projektnamen „Streaming OS“ laufen die Arbeiten. OS steht für „Operating System“, aber auch für „Open Source“. Die öffentlich-rechtlichen Sender wollen wichtige technische Bausteine für ihre Streaming-Aktivitäten auch anderen Anbietern und Organisationen frei zugänglich machen. Eine europäische Ausrichtung haben sie ebenso im Blick.

„Durch den Aufbau als Netzwerk und mit unserem modularen Entwicklungsansatz wollen wir offen auch für europäische Partner sein“, erklärte das ZDF auf Anfrage: „Wir sehen Streaming OS als Nukleus eines europäischen Netzwerks.“ Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt die ARD. Susanne Pfab, Generalsekretärin des Senderverbunds, geht in ihrem aktuellen „Infobrief“ dabei von einer mittelfristigen Perspektive aus. Weitere Akteure, auch private Marktteilnehmende und gesellschaftliche Institutionen, ließen sich einbeziehen. So könne „die digitale Souveränität Europas“ gestärkt werden. Es gebe bereits „die ersten Schritte hin zum modularen Netzwerk“, und zwar „über die Öffnung für weitere Partner wie Arte und ORF“.

Gegen die Dominanz der Techriesen

Auch für Kai Gniffke, Intendant des Südwestrundfunks (SWR), hat das „Streaming-OS“-Projekt eine große Bedeutung. Ende März verwies er in der Sitzung des SWR-Rundfunkrats auf die Dominanz der US-Techriesen wie Google und Meta im Mediensektor. Er nannte es ein Marktversagen, dass fünf Konzerne weltweit 90 Prozent der Internet-Nutzung bestimmten. Drei davon erhielten zudem „50 Prozent der weltweiten Werbeerlöse“. Das sei „eine Form von Oligopol“, was den Markt zerstöre.

Insgesamt sieht der SWR-Intendant hier es eine einmalige Ballung von ökonomischer, technologischer, publizistischer und erstmals auch politischer Macht. Für diese Konzerne bedeute Meinungsfreiheit „die völlige Abwesenheit von Regulierung“. Ihm sei angesichts all dessen deutlich geworden, dass „unsere Werte“ auch medial zu verteidigen seien. Die Frage „eines europäischen Medienökosystems“ stelle sich somit „dringender denn je“. Hier wären dann, so sieht es Gniffke, „Transparenzregeln, Regeln des Respekts“ klar festzulegen – genauso wie Regeln mit Blick auf „ethische Grenzen“.

Im Rundfunkrat hob der SWR-Intendant zudem die „wertvollen Ansätze bei Arte zur Europäisierung“ hervor. Auch verwies er auf die „Beyond-Platforms-Initiative“. Deren Ziel ist es, Alternativen zu den dominierenden Plattformen zu entwickeln. Diese verschiedenen Aktivitäten würde Gniffke gerne mit den eigenen „Streaming-OS“-Überlegungen zusammenbringen. Und was den Aufbau einer technischen Infrastruktur angehe, könne er sich vorstellen, „dass aus einem 800-Milliarden-Paket der Europäischen Union auch Mittel dafür zur Verfügung gestellt werden“ könnten.

 Eine medienpolitischen Herausforderung

Auf Nachfrage erklärte der SWR, dass es Intendant Gniffke im Rundfunkrat nicht darum gegangen sei, „konkrete Projekte vorzustellen, sondern dem Aufsichtsgremium seine Perspektive auf die medienpolitischen Herausforderungen darzulegen“. Angesichts der weltpolitischen Lage ist für den SWR „die Dringlichkeit für ein europäisches Netzwerk nach öffentlich-rechtlichen Standards“ gestiegen.

In der Rundfunkratssitzung erhielt Gniffke Unterstützung für seine Überlegungen. SWR-Verwaltungsratsmitglied Klaus Koziol beispielsweise sagte, er sehe in einer europäischen Austauschplattform, für die er schon länger werbe, „eine Zukunftssicherung auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk“. Koziol verwies auf Ulrich Wilhelm, den bis Anfang 2021 amtierenden Intendanten des Bayerischen Rundfunks (BR). Bereits vor mehreren Jahren habe Wilhelm dafür plädiert, eine europäische Medienplattform aufzubauen.

Ab Ende 2017 warb Wilhelm regelmäßig dafür. Doch zu konkreten Umsetzungsschritten kam es in der Folge nicht. Ob es diesmal anders sein wird, bleibt abzuwarten. Die Bedingungen für ein solches Projekt sind derzeit jedenfalls günstig: Es gibt einen politischen Willen, gerade auf EU-Ebene, Desinformation zu bekämpfen und Medienvielfalt zu sichern. Hinzu kommen technologische Neuerungen wie etwa KI, die den Aufbau einer europaweiten Plattform unterstützen können.

Ein digitaler Kommunikationsraum

ARD-Generalsekretärin Pfab sieht in den „Streaming-OS“-Aktivitäten der öffentlich-rechtlichen Sender auch Vorgaben des Reformstaatsvertrags erfüllt, den die Bundesländer Ende 2025 in Kraft setzen wollen. Eine der Zielsetzungen darin sei es, einen „Public Open Space“ innerhalb des öffentlich-rechtlichen Systems zu schaffen, also einen gemeinwohlorientierten digitalen Kommunikationsraum. Darum geht es auch beim Forschungsprojekt „Public Spaces Incubator“, das 2023 an den Start ging. Damals tat sich das ZDF mit öffentlich-rechtlichen Sendern aus der Schweiz, Belgien und Kanada zusammen. Inzwischen sind auch die ARD und ABC aus Australien dabei.

In dem Projekt geht es laut dem ZDF darum, „Websites, Apps und andere digitale Plattformen der Sender besser für den öffentlichen Dialog nutzbar zu machen“, konkret: für „mehr Respekt im öffentlichen Austausch“. Derzeit befänden sich die entwickelten Funktionen im Betatest, erklärte das ZDF auf Nachfrage. Ein begrenzter Nutzerkreis könne „die in die ZDFheute integrierten Möglichkeiten der Kommunikation und des Austauschs im Testbetrieb“ anwenden. Ein für alle Nutzer offener Testbetrieb sei für den Sommer vorgesehen.

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