Faktenchecks und Alternativen

Schaut auf Wikipedia, wenn es darum geht, Transparenzregeln für Soziale Medien zu erstellen, fordert der Autor. Foto: Pixabay

Hat Mark Zuckerberg, der Chef des Meta-Konzerns, einen Tabubruch begangen? Anfang Januar verkündet er das Ende der Faktenchecks in den USA für Facebook und Instagram. Beide Social-Media-Plattformen gehören zu Meta. Es stellt sich die Frage, ob nun auch das Ende der Faktenchecks in Europa und damit in Deutschland droht. Die Gesetzeslage liefert hier keine Eindeutigkeiten. Aber was könnte Facebook in diesem Zusammenhang von Wikipedia lernen?

In den Tagen nach Zuckerbergs Rede an die Social-Media-Nation meldeten sich Fachleute, die befürchten, Facebook und Instagram werde sich nun in eine ähnlich rechtspopulistische Richtung bewegen wie der Kurznachrichtendienst X – ehemals Twitter. Elon Musk, der neue Besitzer von X, hat bekanntlich als erste Maßnahme die inhaltliche Qualitätskontrolle heruntergefahren. Er wolle damit freie Meinungsäußerung fördern, begründete der Tesla-Chef diesen Schritt. Seitdem haben Rechtspopulisten weltweit die Plattform mehr oder weniger gekapert und in Meinungsbesitz genommen.

Aber sind Faktenchecks überhaupt ein geeignetes Mittel, um Desinformation in den sozialen Medien einzudämmen? „Wer checkt die Faktenchecker?“, fragte bereits im Jahr 2018 auf Netzpolitik Leonhard Dobusch. Als Universitätsprofessor für Organisation forscht er an der Uni Innsbruck unter anderem zum Management digitaler Gemeinschaften und Offenheit als Organisationsprinzip. Zudem ist Dobusch Mitgründer und wissenschaftlicher Leiter des gewerkschaftsnahen Momentum Instituts.

Moderation statt Regulation

„Faktenchecks sind wirkungslos und haben einen Trump nicht verhindert“, beginnt Leonhard Dobusch mit seiner Kritik. „Wo Faktenchecks möglich sind, sind sie trivial und damit unnötig. Wo Faktenchecks nötig wären, sind sie nicht machbar, weil man sich komplexen Wahrheiten nur Schritt für Schritt annähern kann.“

Trump sei zudem nicht der Maßstab. Der lüge sowieso für jeden erkennbar, meint Leonhard Dobusch. Das Problem seien andere, klassische Politiker*innen, die verkürzen und zuspitzen, um medial wahrgenommen zu werden.

Leonhard Dobusch plädiert hingegen für eine viel stärke Moderation auf Facebook und anderen sozialen Netzwerken. Hier brauche es viel mehr Härte seitens der Plattformbetreiber. In eine ähnliche Richtung denkt Elizaveta Kuznetsova, Leiterin der Forschungsgruppe Plattform-Algorithmen und digitale Propaganda am Weizenbaum-Institut in Berlin. „Die Inhaltsmoderation funktioniert, aber ich bin der Meinung, dass die Konzerne nicht genug investieren, besonders nicht für eine gute Moderation in allen Sprachen.“

Wikipedia: Radikale Transparenz

Schaut auf Wikipedia, fordert daher Leonhard Dobusch. Kämpfte das Online-Lexikon, an dem grundsätzlich jede Person mitschreiben kann, in seinen Anfängen mit der Glaubwürdigkeit, hat sich die Diskussion darüber komplett gedreht. Inzwischen gilt es als Privileg, als Unternehmen oder Einzelperson über einen Wikipedia-Eintrag zu verfügen. Nach Ansicht von Leonhard Dobusch liegt das an einer Reihe von neuen Regeln und Maßnahmen, die Wikipedia zur Qualitätssicherung einsetzt.

„Der wichtigste Mechanismus zur Qualitätssicherung war und ist dabei radikale Transparenz“, nennt der Österreicher ein wesentliches Kriterium, um Desinformation auf Wikipedia in den Griff zu bekommen. „Jede Änderung ist dauerhaft nachvollziehbar dokumentiert und erlaubt so, Manipulationsversuche zumindest im Nachhinein aufzudecken und zu korrigieren.“ Gerade durch größtmögliche Transparenz werde deutlich, warum Wissen im Allgemeinen immer nur vorläufig und das Ergebnis von Aushandlungsprozessen sei.

Faktencheck-Ende auch in der EU?

Gerade im Bereich der Transparenz liegt, nach Ansicht von Leonhard Dobusch, die größte Schwäche von Faktenchecks. Diese Meinung teilt auch Elizaveta Kuznetsova vom Weizenbaum-Institut und ergänzt: „Wir bewegen uns auch auf einem schmalen Grat: Es ist wichtig, den Menschen beizubringen, wie sie mit verschiedenen Medienquellen umgehen und zuverlässige Informationen finden, ohne spezifische Narrative zu thematisieren oder ihnen zu sagen, was sie denken sollen. In der Praxis ist das eine echte Herausforderung.“

Müssen wir uns also doch keine Sorgen machen, wenn Mark Zuckerberg sich in naher Zukunft entscheiden sollte, Faktenchecks auch in der EU abzuschaffen? Wobei zumindest die gesetzlichen Hürden durch den Digital Service Act (DAS) und das Europäische Medienfreiheitsgesetz (EMFA) für Meta höher wären. „Nach meiner Einschätzung wäre ein Ende der Faktenchecks auch in der EU möglich“, wendet Leonhard Dobusch ein. In den Gesetzen ist nicht explizit die Rede von Faktenchecks. Die Plattformen müssen nur dafür sorgen, illegale Inhalte zu entfernen. Zu den Methoden steht dort nichts.

Selbstverständlich verschließt Leonhard Dobusch nicht die Augen vor den Problemen von Wikipedia. 90 Prozent aller Artikel stammen von Männern, Neulinge kommen schwer rein und es gibt keine offizielle Beschwerdestelle bei falschen Einträgen. Darunter leiden insbesondere Frauen. Dennoch hält er das Modell mit größtmöglicher Transparenz grundsätzlich für den richtigen Weg bei der Bekämpfung von Desinformation in den sozialen Medien. Deswegen seien Community Notes, auf die Mark Zuckerberg und Meta in den USA setzen wollen, grundsätzlich gar kein so schlechter Ansatz.

Politik und Gesellschaft sind gefordert

Bei Milliarden von Postings auf diversen Social-Media-Kanälen Tag für Tag kann es die eine heilsbringende Lösung sowieso nicht geben. KI-generierte Inhalte vergrößern die Problematik mit Desinformation aktuell um ein Vielfaches. Daher müsse bei der Herangehensweise in viel größeren Dimensionen gedacht werden, findet Elizaveta Kuznetsova vom Weizenbaum-Institut. Es handele sich um „ein transnationales Phänomen, das staatliche und ideologische Grenzen“ überschreite. „Wir müssen das als Gesellschaft aushandeln, anstatt nur der Technologie die Schuld zu geben“, betont Kuznetsova.

Dieser Auftrag ist gleichzeitig ein Eintrag in die To-Do-Liste von Politik und Gesellschaft, nach Lösungen und Wegen zu suchen, um die Debattenkultur auf Social Media wieder erträglicher zu gestalten. Zudem tauchen in der medialen Aufregung über das Ende der Faktenchecks auf den Meta-Plattformen in den USA zu früh zu viele eindeutige Gewissheiten auf. Vielleicht zeigt sich in ein paar Jahren, dass die Entscheidung von Mark Zuckerberg am Ende weniger schlimm ist als befürchtet.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Türkei: Kurdische Journalisten in Gefahr

Nach Angaben der in Istanbul ansässigen Media and Law Studies Association (MLSA) standen zwischen dem 4. und 7. März mindestens 21 Journalisten vor türkischen Gerichten. Diese Zahl mag für deutsche Leser*innen schockierend sein, in der Türkei sind diese Ausmaße juristischer Verfolgung von Journalist*innen leider alltäglich. Unter dem Ein-Mann-Regime von Präsident Recep Tayyip Erdoğan sieht es mit der Meinungs- und Pressefreiheit im Land immer düsterer aus. Auch die jüngsten Daten der Journalistenvereinigung Dicle Fırat (DFG) zeigen deutlich, dass der Druck auf Journalisten wächst.
mehr »

RBB will Fehler analysieren

Der RBB räumte bereits schwerwiegende Fehler bei der Berichterstattung über den Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar ein. In einer internen Sondersitzung soll nun ein weiteres Vorgehen geklärt werden. Um den Aufklärungsprozess „konstruktiv zu begleiten“, habe der rbb-Programmausschuss für kommenden Montag eine Sondersitzung einberufen, so der Sender. Darin soll es offenbar um die Ergebnisse des Untersuchungsberichts der Beratungsfirma Deloitte gehen.
mehr »

Filmtipp: Dietrich Bonhoeffer

Das unter anderem mit August Diehl und Moritz Bleibtreu sehr gut besetzte Drama setzt einerseits ein Denkmal für den Widerstandskämpfer. Andererseits ist es umstritten, weil Dietrich Bonhoeffer im Zusammenhang mit dem Film durch rechtsnationale amerikanische Evangelikale instrumentalisiert wird. Zum US-Start waren die Nachfahren des im KZ hingerichteten deutschen Theologen entsetzt, wie sein Vermächtnis „von rechtsextremen Antidemokraten" und „religiösen Hetzern verfälscht und missbraucht" werde. Inhaltlich ist die Aufregung unbegründet. Trotzdem ist der Film nur mit Abstrichen sehenswert.
mehr »

Beschwerde gegen BND-Gesetz

Reporter ohne Grenzen (RSF) und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) reichen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Beschwerde gegen das Gesetz über den Bundesnachrichtendienst (BND-Gesetz) ein. Damit reagieren die Organisationen auf ungenügende Reformen des Gesetzes, das den Schutz von Medienschaffenden nicht ausreichend berücksichtigt. RSF und GFF erwarten sich von der Entscheidung ein Grundsatzurteil, das nicht nur Auswirkungen auf die Rechtslage in Deutschland haben wird, sondern auch Strahlkraft in die anderen Mitgliedstaaten des Europarates.
mehr »