Filmtipp: Die Bilderkriegerin

Die Fotografin Anja Niedringhaus (Antje Traue) während der Belagerung von Sarajevo. Foto: ZDF/ Ishka Michocka

„Der Rausch des Kampfes wird oft zu einer mächtigen und tödlichen Sucht. Denn Krieg ist eine Droge.“ Diese Erkenntnis stammt nicht von einem Soldaten, sondern von Chris Hedges, Kriegsberichterstatter der New York Times. Anja Niedringhaus könnte diesen Satz auch gesagt haben. Sie zählte zu den angesehensten Kriegsfotografinnen überhaupt, 2005 ist sie als erste Deutsche mit dem Pulitzer-Preis geehrt worden.

Die Westfälin wollte mit ihren Bildern dazu beitragen, Kriege zu beenden. Nach fast zweieinhalb Jahrzehnten an den Brennpunkten dieser Welt musste sie feststellen, dass sich durch ihre Arbeit rein gar nichts geändert hat, außerdem berührte sie das Schicksal der Menschen vor ihrer Kamera nicht mehr. Als sie 2014 dank des Appells einer afghanischen Politikerin neuen Lebens- und Arbeitsmut gewinnt, wird sie anscheinend grundlos von einem Polizisten erschossen. Mit diesem Schock beginnt der Film. 

Es folgt eine Rückblende ins Jahr 1991, als die Fotografin ihren Chef bei der europäischen Pressefotoagentur EPA davon überzeugen will, sie ins vom Bürgerkrieg zerrissene ehemalige Jugoslawien zu schicken. Der verweist auf ihre fehlende Erfahrung in Kriegsgebieten, und überhaupt: „Krieg ist was für Männer.“ Anja setzt sich durch und muss, kaum gelandet, bereits von einem Reuters-Kollegen vor wütenden Soldaten gerettet werden, die sie ohne Erlaubnis fotografiert hat. Jetzt verheizen sie schon Praktikanten als Kanonenfutter, kommentiert der Italiener ihre Anwesenheit, was ihn nicht daran hindert, eine innige und jahrelange Beziehung zu Anja zu entwickeln. 

Neben dem ausgezeichneten Spiel von Antje Traue und Michele Cuciuffo ist es vor allem die auch handwerklich herausragend gut gelungene Kombination inszenierter und dokumentarischer Aufnahmen, die „Die Bilderkriegerin“ zu einem besondern Film macht. Weil das Budget keine aufwändigen Rekonstruktionen von Kampfhandlungen im Stil von Hollywood-Produktionen wie „Black Hawk Down“ (2001) oder „The Hurt Locker“ (2008) zuließ, findet der Krieg oft nur auf der Tonspur und per Lichteffekt statt. Darüber hinaus haben sich Roman Kuhn (Regie), der das Drehbuch gemeinsam mit Yury Winterberg geschrieben hat, und Sonya Winterberg (Dokumentarregie) vieler authentischer Aufnahmen bedient. Die Übergänge sind oft unmerklich, weil die Spielszenen zunächst in grobkörnigem Schwarzweiß gehalten sind; eine kongeniale Leistung auch von den Gewerken Kamera (Jürgen Rehberg) und Filmschnitt (Clemens Hübner). Ähnlich eindrucksvoll ist ein kühner Zeitsprung gestaltet. Ohnehin hat das ästhetische Konzept enormen Anteil an der Qualität des Films. Bei Anjas Einsätzen in den Kriegsgebieten hat Kuhn konsequent auf bunte Farben verzichtet; die Bilder aus Bosnien sind düster und grauweiß, die Szenen aus dem Irak hell und sandfarben. Entsprechend wirkungsvoll ist die Kolorierung der zu Beginn gezeigten Fotos. Auf einer der Aufnahmen besucht Santa Claus die Soldaten in der Wüste; die im Halbkreis versammelten Soldaten tragen tarnfarbene Uniformen, der Weihnachtsmann ist selbstredend knallrot gekleidet. 

Gerade angesichts der Dichte der durchaus spannenden Kriegsszenen – im Irak gerät Anja gemeinsam mit US-Marines unter Beschuss, in Afghanistan wird sie durch eine Handgranate verletzt – muten die mehrfachen Besuche bei ihrer Schwester (Franziska Hartmann) in der westfälischen Heimat etwas kraftlos an. Vermutlich sollen diese Momente zeigen, welches Leben die Fotografin ihrer Berufung geopfert hat. Ein weiterer Wermutstropfen: Wie im Auslandskrimi donnerstags im „Ersten“ sprechen dank der Synchronisation alle Menschen ein makelloses deutsch, ganz gleich, in welchem Kriegsgebiet die Fotografin unterwegs ist. Die kritischen Anmerkungen können die Gesamtqualität dieses Werks, das an die großen Auslandskorrespondentenfilme der Achtziger (etwa „Die Fälschung“ von Volker Schlöndorff, 1981) anknüpft, allerdings nicht schmälern. 

Wegen der FSK-Freigabe ab 16 Jahren darf der von der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte koproduzierte Film nicht vor 22.00 Uhr ausgestrahlt werden. Das gilt auch für die Mediathek, es sei denn, man hat einen personalisierten Zugang. Viele weitere Informationen zu Anja Niedringhaus bietet die entsprechende Gedenkseite.

 

„Die Bilderkriegerin – Anja Niedringhaus“. D 2022. Buch: Yury Winterberg, Roman Kuhn. Regie: Roman Kuhn, Sonya Winterberg. Mit Antje Traue, Michele Cuciuffo. 25. Juli, ZDF, 22.15 Uhr.  Ab 23. Juli in der ZDF-Mediathek. 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Der Rotstift beim Kinderfernsehen

ARD und ZDF halten es nicht für sinnvoll, wenn die Bundesländer im Reformstaatsvertrag einen fixen Abschalttermin für das lineare Programmangebot des Kinderkanals KiKa festlegen. Die lineare Verbreitung zu beenden, sei „erst dann sachgerecht, wenn die weit überwiegende Nutzung eines Angebots non-linear erfolgt“, erklärten ARD und ZDF gemeinsam auf Nachfrage. „KiKA bleibt gerade für Familien mit kleinen Kindern eine geschätzte Vertrauensmarke, die den Tag linear ritualisiert, strukturiert und medienpädagogisch begleitet.“
mehr »

NRW: Zusammenschluss im Zeitungsmarkt

Die Konzentration im NRW-Zeitungsmarkt, insbesondere in der Region Ostwestfalen-Lippe (OWL), setzt sich fort. Die Neue Westfälische und das Westfalen-Blatt streben eine Kooperation an. Auch die Lippische Landes-Zeitung und das Mindener Tageblatt planen, ihre Verlagsaktivitäten künftig in einer gemeinsamen Holding zu bündeln.
mehr »

Neue Perspektiven für Klimajournalismus

Besondere Zeiten brauchen einen besonderen Journalismus – ein Motto, dass das im Juli gelaunchte deutschsprachige Medienprojekt „Neue Zukunft“ nicht aus werbestrategischen Gründen ausgegeben hat. Die Klimakrise und die Klimagerechtigkeitsbewegung erhalten in vielen Medien der Schweiz, Österreichs und Deutschlands ihrer Meinung nach nicht genügend Aufmerksamkeit. Gerade Gerechtigkeitsfragen erhöhen den Handlungsdruck im Zusammenhang mit den Folgen menschlichen Raubbaus an Ressourcen und Umwelt.
mehr »

Filmtipp: In Liebe, eure Hilde

Worte wie Mut oder Zivilcourage können nicht annähernd erfassen, was die jungen Mitglieder antifaschistischer Widerstandsgruppen wie „Weiße Rose“ oder „Rote Kapelle“ geleistet haben. Abgesehen von den Geschwistern Scholl sind ihre Namen größtenteils in Vergessenheit geraten. Geblieben ist meist bloß noch eine Straßenschildprominenz. Das gilt auch für Hilde Coppi, der Andreas Dresen mit „In Liebe, eure Hilde“ ein Denkmal gesetzt hat.
mehr »